Streit um Gänswein: Gibt es einen neuen Star im Vatikan?
Für etliche italienische Zeitungen ist es der Tag des Gerichts über Georg Gänswein. "Der Papst sägt Pater Georg ab", heißt es auf dem Titel des "Giornale". Mit Franziskus sei "das Verhältnis angeschlagen", schreibt "La Stampa". Laut "La Repubblica" liegen Gänswein und der Papst "über Kreuz". Nach dem "Corriere della Sera" war es ein "Signal von Bergoglio: Jetzt reicht's".
Schlagzeilen von einer "Kündigung" (so "Il Messaggero") liegen indessen sachlich daneben. Ausdrücklich betonte das vatikanische Presseamt am Mittwoch, es gehe um eine "übliche Umverteilung" der Aufgaben des Präfekten des Päpstlichen Hauses. Seit dem 22. Januar ist bei öffentlichen Auftritten des Papstes nur noch der zweite Mann des Protokollamts zu sehen, Leonardo Sapienza. Über eine Verabschiedung Gänsweins von seiner Rolle in der Präfektur gebe es aber "keine entsprechenden Informationen", so das Presseamt.
Hintergrund der Personalie ist nach Meinung vieler Beobachter eine Buchveröffentlichung von Kurienkardinal Robert Sarah, der unter dem Titel "Aus der Tiefe unseres Herzens" eine Lanze für den Zölibat bricht – gemeinsam mit Benedikt XVI. Die Publikation wurde von manchen als Affront gegen Franziskus verstanden, der sich für Ausnahmen von der Regel der priesterlichen Ehelosigkeit zumindest offen zeigt.
Benedikt XVI.: Ich bin nicht Co-Autor des Buches von Sarah
Jetzt ist es raus: Benedikt XVI. distanziert sich höchstpersönlich von der Autorschaft des Buches über Priestertum und Zölibat, das Kurienkardinal Robert Sarah herausgegeben hat. Erzbischof Georg Gänswein teilte mit, er habe auf Bitten des Emeritus Sarah angerufen und weitere Schritte veranlasst.Die Beteiligung des emeritierten Papstes, der sich gegenüber seinem Nachfolger zu einem zurückgezogenen Leben verpflichtet hatte, weckte Irritationen und Fragen. Sarah, bei allem Respekt vor seiner Position als Leiter der Gottesdienstkongregation, hat nicht das theologische Format, dass ein Joseph Ratzinger mit ihm auf einem Cover erscheinen wollte. Was das Zustandekommen des Buchs angeht, steht bei Gänswein und Sarah Aussage gegen Aussage.
Naheliegend scheint vielen die Deutung, dass Franziskus für das mediale Reingrätschen auf dem hochsensiblen Feld des Zölibats nun Gänswein als Privatsekretär des 92 Jahre alten Emeritus haftbar machen wollte: Pater Georg "zahlt für die Freundschaft zu Ratzinger", titelte "Libero".
Gänsweins Beurlaubung eine Pflege-Auszeit?
Eine andere, eher beunruhigende Interpretation brachte der Blog "Sismografo" ins Spiel: Die Beurlaubung Gänsweins als Protokollchef sei in Wahrheit eine Pflege-Auszeit. "Die eigentliche Nachricht betrifft den Gesundheitszustand Benedikts XVI.", schrieb Blog-Herausgeber Luis Badilla. Gänswein, keine Frage, wird seinem früheren Papst auf dem letzten Weg zur Seite stehen, vielleicht auch in Eile und Diskretion, wie es der Umstand erfordert, die letzten Gäste herbeirufen. Steht es so ernst?
Womöglich nicht. Vor kurzem zumindest wollen Besucher den Hochbetagten noch rege und heiter erlebt haben. "Er hat kräftig gelacht, wir hatten Spaß miteinander", erzählt einer.
Selbst wenn man Kuriengerüchten von einem harten Wortwechsel zwischen Franziskus und seinem Hauspräfekten keinen Glauben schenken will, sieht es so aus, als gehe es vorrangig darum, Gänswein bis auf weiteres dem Papst und der Welt aus den Augen zu schaffen. Ist der deutsche Erzbischof doch so etwas wie der ständig sichtbare Verweis auf Benedikt XVI., unter dem aus Sicht der Franziskuskritiker vieles klarer, straffer und irgendwie katholischer zuging.
Eigene Mitteilung und gewinnendes Kurzporträt für "den Neuen"
Franziskus predigt Klerikern wiederholt eine Dienstgesinnung, die auch eine gewisse Selbstzurücknahme verlangt. Dafür wäre der Rückzug Gänsweins ins Verborgene ein feines Beispiel. Auf der anderen Seite bedachte der Vatikan den neuen Privatsekretär von Franziskus offiziell mit einer eigenen Mitteilung und einem gewinnenden Kurzporträt – ungewöhnlich für einen Mann, der eigentlich unterm Radar bleiben soll.
Medien griffen den Ball auf und feierten den 40-jährigen Gonzalo Aemilius als das schöne neue Gesicht des Vatikan. "Franziskus hat seinen Georg gefunden", titelte die italienische Ausgabe der "Huffington Post" in Anspielung auf Gänswein, der früher einmal als "George Clooney des Vatikan" etikettiert wurde.
Faktisch war Aemilius, der als Sproß einer wohlhabenden Familie in Uruguay seine Berufung zum Geistlichen für Straßenkinder entdeckte, schon länger für Franziskus tätig, tatsächlich weit unter dem Radar. Die Veröffentlichung der Personalie – auch noch zur vatikanischen Prime-Time vor dem Sonntagsgebet des Papstes – wird im Flurfunk der Kurie inzwischen als "Versehen" bezeichnet.
Aemilius, der Papstliebling, Gänswein, der Gestürzte? Der Schmied-Sohn aus dem Südschwarzwald durchmaß im Vatikan das, was man im weltlichen Leben glanzvolle Laufbahn nennt. Seine Berufung zu Ratzingers Sekretär kurz vor dessen Papstwahl erwies sich als Glückslos. Kurz vor dem Amtsverzicht Benedikts XVI. machte dieser ihn noch zum Präfekten des Päpstlichen Hauses und verlieh ihm den Titel eines Erzbischofs.
Gänswein war es, der Präsidenten und Königinnen im Vatikan empfing, er blieb ein gesuchter Gesprächspartner und Vortragsgast, es gab die Fotoshootings für das Magazin der "Süddeutschen" und andere, noch immer hatte er die große Bühne. "Der Assistent, der nicht im Schatten stehen wollte", lautete am Donnerstag die Überschrift über einem Kommentar in "La Nazione".
Vor Jahren, als Benedikt XVI. noch rüstiger war, sagte Gänswein über seinen Dienstherrn im Alterssitz: "Er ist wie eine Kerze, die langsam und in Ruhe erlischt." Jetzt mag es scheinen, als beschreibe dieses Bild auch die Karriere des 63-jährigen Erzbischofs.