Heilige Scholastica – Die Frau hinter Benedikt von Nursia
Dass hinter jedem starken Mann auch eine starke Frau steht, gehört wahrscheinlich mittlerweile in die Schublade der antiquierten Sprüche. Immerhin wurde der Satz ja schon mehrfach abgewandelt, dass die Frau eigentlich noch viel stärker ist, als es der Mann je sein könnte. Wie auch immer man das Verhältnis zwischen Mann und Frau bewerten möchte, eines wird doch deutlich: Beide gehören irgendwie zusammen, sie bilden keine Gegensatzpaare, sondern können gemeinsam Großes bewirken. Keiner ist hier zurückgesetzt, beide stehen vielmehr auf Augenhöhe.
Und das ist eigentlich keine Erkenntnis, die man erst in den letzten Jahren oder Jahrzehnten gewonnen hat. Gerade im Blick auf viele unserer Heiligen wird das deutlich. Nicht nur starke heilige Frauen hat es in den vergangenen Jahrhunderten gegeben, sondern in der Kirche verehren wir auch gerade viele Paare als Heilige, und längst nicht nur Liebespaare. Das Kaiserpaar Heinrich und Kunigunde könnte man hier anführen. Oder den heiligen Franziskus von Assisi und die heilige Klara. Sie zeigen: Erst zusammen können sie das Gute wirken, erst im Miteinander wird eine ganz neue Form der Verkündigung des Evangeliums möglich.
Details über ihr Leben hat ein Papst überliefert
Auch hinter dem heiligen Benedikt von Nursia stand eine solche starke Frau, die wir heute als Heilige verehren. Es ist Scholastica, von der Papst Gregor der Große schreibt, sie sei die Schwester des heiligen Benedikt gewesen. Historisches freilich ist über Scholastica nicht viel zu erfahren, die einzigen Zeugnisse über ihr Leben und Wirken finden sich in einer Schrift Gregors. Dort heißt es, Scholastica sei seit ihrer Kindheit Gott geweiht gewesen und pflegte es, einmal im Jahr ihren Bruder zu besuchen. Sie selbst habe in einem Kloster gewohnt, das wohl nicht unweit der Abtei von Montecassino gelegen habe. So scheint auch Scholastica ein asketisch-monastisches Leben gepflegt zu haben, wenngleich offenbleibt, in welchem Kloster sie sich nun genau aufgehalten hat.
Scholastica scheint wohl mehr gewesen zu sein, als nur die Schwester des berühmten Ordensgründers. Immerhin berichtet Gregor darüber, dass sie sich bei ihrem Zusammentreffen immer über geistliche Themen ausgetauscht haben. Vielleicht war Scholastica die geistliche Lehrerin ihres Bruders, zumindest war sie ihm eine ebenbürtige Gesprächspartnerin. Dass Scholastica die geistlichen Gespräche mit ihrem Bruder stets genossen hatte, zeigt folgende Geschichte, die Gregor überliefert: Bei einem der Besuche Benedikts waren beide so sehr in das Lob Gottes und die heiligen Gespräche vertieft, dass der Tag sich schon bald neigte. Scholastica wollte den Bruder aber noch nicht ziehen lassen und bat ihn, die Nacht in ihrem Kloster zu verbringen und den Austausch am folgenden Tag fortzusetzen. Benedikt jedoch beharrte darauf, nach Montecassino zurückzukehren, da er die Nacht nicht außerhalb der eigenen Klostermauern verbringen wollte. An jenem Tag herrschte klares Wetter, nicht ein Wölkchen trübte den Himmel. Scholastica begann zu Beten und faltete die Hände, als sie ihr Gebet beendet hatte, begann es aus heiterem Himmel zu Donnern und zu Blitzen. Da Benedikt und seine Begleiter das schützende Dach des Klosters nicht verlassen wollten, waren sie gezwungen, die Nacht doch noch bei Scholastica zu verbringen. Die ganze Nacht, so heißt es, haben die Geschwister dann bei geistlichen Gesprächen zugebracht.
Gott ist die Liebe
Diese Episode zeigt für Gregor den Großen sehr deutlich den Einfluss, den die Liebe der Scholastica ausgeübt hat. Er schreibt: „Denn wenn wir auf den Willen des ehrwürdigen Mannes sehen, so ist kein Zweifel, dass er wollte, es solle das heitere Wetter, bei dem er gekommen war, andauern; aber seinem Wollen stellte sich ein Wunder entgegen, das der allmächtige Gott nach dem Herzensverlangen einer Frau bewirkte. Es darf uns nicht wundernehmen, dass die Frau, welche ihren Bruder länger zu sehen wünschte, mehr als er vermochte; denn weil nach dem Worte des Johannes Gott die Liebe ist, so vermochte nach einem gerechten Entschlusse Gottes jene mehr, die mehr liebte.“ Die Tränen der Scholastica bewirken ein Wunder, durch das sie mit der Gegenwart ihres Bruders beschenkt wird.
Kurz nach dieser Szene berichtet Gregor auch über den Tod Scholasticas. Dieser habe sie bereits drei Tage nach dem Besuch ihres Bruders ereilt. Benedikt, so berichtet Gregor, stand in seiner Zelle und erhob die Augen zum Himmel. Dort sah er, wie die Seele seiner Schwester gerade zum Himmel aufstieg und in die Schar der Heiligen aufgenommen wurde. Benedikt war erleichtert, dass seine Schwester bei Gott angekommen war und nun den schauen durfte, über den sie sich so oft und so intensiv ausgetauscht hatten. Die Brüder aus dem Kloster schickte Benedikt hinunter, um den Leichnam Scholasticas zu holen. Dieser wurde in dem Grab beigesetzt, das Benedikt für sich selbst bestimmt hatte. „So kam es, dass auch das Grab die Leiber derer nicht trennte, deren Geist immer eins in Gott gewesen war“, so beendet Gregor den Bericht über das Leben der heiligen Scholastica.
Die Reliquien Scholasticas befinden sich bis heute unter dem Hauptaltar der Basilika der Abtei Montecassino. Teile ihrer Gebeine gelangten nach Rom in die Kirche San Paolo fuori le Mura und nach Frankreich in die Stadt Les Mans. Auch wenn nichts Historisches über die heilige Scholastica belegbar ist, wurde sie doch besonders aufgrund ihrer ungebrochenen Liebe zu Gott schon bald verehrt. Besonders die erste Szene, die bei Gregor überliefert ist, bringt diese Liebe zum Ausdruck: Der geistliche Austausch mit ihrem Bruder ist ihr ganzer Lebensinhalt, die Liebe zu Gott erfüllt sie so sehr, dass sie das Wunder bewirkt, welches sie mit der Gegenwart ihres Bruders Benedikt beschenkt.
Die Liebe prägt auch die Liturgie ihres Gedenktages
Dieser Gedanke der Liebe ist es auch, der bis heute in besonderer Weise die Liturgie ihres Festtags prägt. Einerseits die Lesung aus dem Hohelied, die darauf hinweist, dass die Liebe stärker als der Tod ist. Und zum Zweiten die Geschichte um Maria und Marta aus dem Lukasevangelium, die deutlich macht, dass aktives und kontemplatives Leben zusammengehören. Es braucht diejenigen, die sich wie Marta treu und aufmerksam um die Menschen kümmern, die erfüllt sind von der Sorge um das Wohl des Nächsten. Aber ebenso ist die kontemplative Seite nötig, das aufmerksame Hinhören auf die Worte Jesu, mit Achtsamkeit und Bedacht seine Stimme vernehmen. Wie Maria aus dem Evangelium, so ist es auch der heiligen Scholastica ergangen: Die Stimme des heiligmäßigen Bruders hat sie immer und immer wieder vernommen, sie hat sich sorgfältig auf das geistliche Gespräch vorbereitet, um dann mit neuer Kraft ihr Tagewerk zu verrichten. So ist sie heute ein Beispiel nicht nur für ihre ungebrochene Gottesliebe, sondern auch für ihre Aufmerksamkeit, mit der sie die Worte Benedikts und in ihnen das Wort Gottes in sich aufnimmt und wirksam werden lässt.
„Höre, mein Sohn, auf die Weisung des Meisters, neige das Ohr deines Herzens, nimm den Zuspruch des gütigen Vaters willig an und erfülle ihn durch die Tat“: Mit diesen programmatischen Worten beginnt die Ordensregel des heiligen Benedikt. Am Anfang eines jeden Mönchseins steht das Hören, nicht das eigene Reden, sondern das achtsame Aufmerken auf das Wort des Anderen. Es scheint, als habe Scholastica diese Regel durch und durch mit Leben erfüllt. Sie war die erste Hörerin, welche die Worte ihres Bruders als überaus kostbar angesehen hat. Ihr ganzes Leben war erfüllt von der Liebe zu Gott und zu seinem Wort. Auch wenn nicht viel von ihrem Lebenslauf überliefert ist, so lässt sich von Scholastica doch lernen, wie ein gelingendes Leben in der beständigen Suche nach der Gegenwart Gottes möglich ist. Und diese Suche nach den Spuren des lebendigen Gottes in dieser Welt verbindet sie aufs Engste mit ihrem Bruder Benedikt.