Schwester Charis Doepgen über das Sonntagsevangelium

Gegen den freudlosen Mindesteinsatz

Veröffentlicht am 15.02.2020 um 17:45 Uhr – Lesedauer: 
Ausgelegt!

Kellenried bei Ravensburg ‐ So fordernd und bestimmt tritt Jesus selten auf wie in diesem Sonntagsevangelium: Trost und Ermutigung klingen anders. Schwester Charis Doepgen gibt sich einen Ruck, schaut genauer hin – und hat schon bald einen Verdacht, wen Jesus meint.

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Impuls von Schwester Charis Doepgen

Es gibt Stellen in der Bibel, da möchte ich schnell weiterblättern. Wenn ich Trost suche und Belehrung finde, ist dieser Reflex da. Zwar gibt es die guten Erfahrungen, dass ein Nicht-Ausweichen sich lohnt, aber zuerst ist im Herzen immer wieder die Erwartung einer sanft ermutigenden Botschaft und nicht einer Provokation, obwohl der Kopf auch diese kennt.

Das Evangelium des heutigen Sonntags wird uns von der Liturgie aufgeschlagen – weiterblättern ist nicht möglich! Gleich der erste Satz hat es in sich: "Denkt nicht, ich sei gekommen..." – die Jünger haben also möglicherweise eine falsche Vorstellung von Jesus im Kopf. Erwarten sie einen, der Gesetz und Propheten über den Haufen wirft?

Dem wird der Riegel vorgeschoben. Darauf legt übrigens Matthäus mehrmals den Finger (vgl. 7,12; 22,40). Nach der einleitenden Feststellung, "kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes" werden vergehen, zeigen fünf Beispiele, welche Konsequenzen das hat.

Die Redewendungen "ihr habt gehört" und "ich aber sage euch" rahmen vier menschliche Verhaltensweisen ein, die Jesus aus dem Gesetz zitiert und mit seiner Ethik überbietet. Das fünfte Wort in der Mitte beginnt mit dem persönlichen "wenn du..." und schließt mit dem Appell "Amen ich sage dir". Diese direkte Anrede lässt kein Ausweichen zu. Dieses Evangelium geht mich an; Jesu hat mich im Blick. Was soll ich denn tun?

Betrachte ich die Struktur der heutigen Perikope, sehe ich einen Flügelaltar. In der Mitte das Bild: Du –  versöhne dich, dann opfere – schließe Frieden, solange du noch auf den Weg (des Lebens) bist – ich sage dir: Du wirst in die Pflicht genommen. Das also will Jesus von mir: Versöhnung, Frieden!

Mein "Altar" hat Seitenflügel mit je zwei Feldern. Alle vier bilden ab, was zwischen "ihr habt gehört" und "ich aber sage euch" steht. Auf dem linken Flügel: Gerechtigkeit – ohne wenn und aber; und Mitmenschlichkeit und Wertschätzung des Bruders, der Schwester. Der rechte Flügel zeigt die Botschaften: Sexuelles Begehren ohne Liebe "verstümmelt" den Menschen; Wahrhaftigkeit und Geradlinigkeit des Lebens stehen gegen Fake News.

So betrachtet entsteht auf dem Hintergrund von "ihr habt gehört" ein Bild, dass die Sprache von Gesetz und Propheten aus der Perspektive Jesu verstehen lässt. Mein "Altar" ist aber noch nicht vollständig. Die Seitenflügel können zugeklappt werden. Dann steht außen in goldenen Lettern: "Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen." Und: "Eure Rede sei: Ja, ja, nein, nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen."

Mit diesen beiden programmatischen Sätzen hat das heutige Evangelium einen Rahmen, in den viel hineingeschrieben ist von Jesu Selbstverständnis. Er will nicht einfach die Messlatte höher legen, aber er will in seiner Nachfolge Menschen, denen ein Gutsein über den Mindesteinsatz hinaus nicht Last ist, sondern Freude.

Von Sr. Charis Doepgen OSB

Evangelium nach Matthäus (Mt 5,17-37)

In jener Zeit sprach Jesus zu seinen Jüngern: Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben! Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Amen, ich sage euch: Bis Himmel und Erde vergehen, wird kein Jota und kein Häkchen des Gesetzes vergehen, bevor nicht alles geschehen ist.

Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt und die Menschen entsprechend lehrt, der wird im Himmelreich der Kleinste sein. Wer sie aber hält und halten lehrt, der wird groß sein im Himmelreich. Darum sage ich euch: Wenn eure Gerechtigkeit nicht weit größer ist als die der Schriftgelehrten und der Pharisäer, werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht töten; wer aber jemanden tötet, soll dem Gericht verfallen sein. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein; und wer zu seinem Bruder sagt: Du Dummkopf!, soll dem Spruch des Hohen Rates verfallen sein; wer aber zu ihm sagt: Du Narr!, soll dem Feuer der Hölle verfallen sein.

Wenn du deine Opfergabe zum Altar bringst und dir dabei einfällt, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, so lass deine Gabe dort vor dem Altar liegen; geh und versöhne dich zuerst mit deinem Bruder, dann komm und opfere deine Gabe!

Schließ ohne Zögern Frieden mit deinem Gegner, solange du mit ihm noch auf dem Weg zum Gericht bist! Sonst wird dich dein Gegner vor den Richter bringen und der Richter wird dich dem Gerichtsdiener übergeben und du wirst ins Gefängnis geworfen. Amen, ich sage dir: Du kommst von dort nicht heraus, bis du den letzten Pfennig bezahlt hast.

Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Du sollst nicht die Ehe brechen. Ich aber sage euch: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen.

Wenn dich dein rechtes Auge zum Bösen verführt, dann reiß es aus und wirf es weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird. Und wenn dich deine rechte Hand zum Bösen verführt, dann hau sie ab und wirf sie weg! Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verloren geht, als dass dein ganzer Leib in die Hölle kommt.

Ferner ist gesagt worden: Wer seine Frau aus der Ehe entlässt, muss ihr eine Scheidungsurkunde geben. Ich aber sage euch: Wer seine Frau entlässt, obwohl kein Fall von Unzucht vorliegt, liefert sie dem Ehebruch aus; und wer eine Frau heiratet, die aus der Ehe entlassen worden ist, begeht Ehebruch.

Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst keinen Meineid schwören, und: Du sollst halten, was du dem Herrn geschworen hast. Ich aber sage euch: Schwört überhaupt nicht, weder beim Himmel, denn er ist Gottes Thron, noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße, noch bei Jerusalem, denn es ist die Stadt des großen Königs! Auch bei deinem Haupt sollst du nicht schwören; denn du kannst kein einziges Haar weiß oder schwarz machen.

Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.

Die Autorin

Schwester Charis Doepgen OSB ist Benediktinerin in der Abtei St. Erentraud in Kellenried bei Ravensburg.

Ausgelegt!

Katholisch.de nimmt den Sonntag stärker in den Blick: Wie für jeden Tag gibt es in der Kirche auch für jeden Sonntagsgottesdienst ein spezielles Evangelium. Um sich auf die Messe vorzubereiten oder zur Nachbereitung bietet katholisch.de nun "Ausgelegt!" an. Darin können Sie die jeweilige Textstelle aus dem Leben Jesu und einen Impuls lesen. Diese kurzen Sonntagsimpulse schreiben Ordensleute und Priester für uns.