Theologin Dorothea Sattler zum Positionspapier der EKD zur Familienpolitik

"Belastung für die Ökumene"

Veröffentlicht am 25.06.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Familienbild

Bonn ‐ In der vergangenen Woche veröffentlichte die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ein Positionspapier zur Familienpolitik. Darin formuliert sie ein neues Verständnis von Familie, das sich nicht auf die Ehe von Mann und Frau beschränkt. Gegenüber katholisch.de spricht Dorothea Sattler, katholische Theologin und Direktorin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster, über die Auswirkungen des Papiers auf die Ökumene und erklärt, warum es Ausdruck eines grundsätzlicheren Auseinanderlebens der beiden Kirchen ist.

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Frage: Frau Sattler, welchen Stellenwert hat das Papier - ist es mehr als nur ein Diskussionsvorschlag?

Sattler: Ja. Eine Orientierungshilfe ist zwar kein Synodenbeschluss. Aber es ist mehr als eine persönliche Stellungnahme und wenn der Ratsvorsitzende sie veröffentlicht und kommentiert, dann hat das eine gewisse Autorität. Letztendlich ist das Papier eine Sammlung von Argumenten auf theologischer Ebene und der Versuch, einen weiteren Gesprächsprozess anzustoßen. Das Papier wird nun in den entsprechenden Gremien diskutiert. Auch innerhalb der evangelischen Kirche ist es ja durchaus kontrovers aufgenommen worden.

Frage: Welche Punkte des Papiers entsprechen nicht der katholischen Auffassung von Familie, wo gibt es Gemeinsamkeiten?

Sattler: Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten: Familie als verlässliche Gemeinschaft, Treue und Verbindlichkeit in der Partnerschaft. Auch die sogenannten sozialdiakonischen Aspekte sind in großer Deutlichkeit und sehr umfassend dargestellt: Themen wie Gewalt in der Ehe, Generationengerechtigkeit, Pflege, Armut und Reichtum und Migrationszusammenhänge werden aufgegriffen. Das finde ich sehr stark an dem Papier und das eröffnet Möglichkeiten zu sehr konstruktiven Gesprächen mit der römisch-katholischen Position. An anderen Stellen sehe ich jedoch Probleme. Martin Luthers Satz von der Ehe als 'weltlich Ding', wird so zitiert, dass der Eindruck entsteht, es gehe es nicht um eine göttliche Ordnung, sondern nur die menschliche autonome Entscheidungsfreiheit sei wichtig. Das ist aber in Wirklichkeit weder die Sicht Luthers noch der ökumenische Stand – wir sind in den Gesprächen bereits weiter. Da wurden alte Kontroversen bemüht. Es wäre sinnvoll gewesen, die gemeinsamen ökumenischen Ergebnisse in den Text aufzunehmen.

Dorothea Sattler ist Leiterin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster.
Bild: ©Benedikt Plesker

Dorothea Sattler ist Leiterin des Ökumenischen Instituts an der Universität Münster.

Frage: Inwiefern bedeutet das Papier eine Belastung für die Ökumene oder sogar eine bewusst in Kauf genommene Provokation der katholischen Kirche?

Sattler: Eine Belastung ist es auf jeden Fall. Zur Frage ethischer Urteilsbildung gibt es ja eine ökumenische bilaterale Dialogkommission, der auch ich angehöre und die genau zu diesen Themen gegenwärtig arbeitet. Einen Hinweis darauf hätte man in dem Papier ruhig wagen können. Jetzt müssen wir sehen, wie wir in dieser Kommission von Bischofskonferenz und Vereinigter Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands mit der neuen Situation umgehen, die das Papier geschaffen hat. Von einer gezielten Provokation zu sprechen, halte ich jedoch für überzogen. Die Adressatenschaft des Papiers ist ja nicht primär die katholische Kirche, sondern es geht um einen innerevangelischen Verständigungsprozess und darum, sich in der gesellschaftlichen Diskussion mit einer aktuellen Fragestellung zu positionieren. Präses Schneider hat ja auch eingeräumt, dass er mit kritischen Rückfragen rechnet.

Frage: Ist das Papier auch Ausdruck einer grundsätzlichen Auseinanderentwicklung der Positionen von evangelischer und katholischer Kirche - so wie das der katholische Familienbischof Tebartz-van Elst ja angedeutet hat ?

Sattler: Ja, diese grundlegende Fragstellung sehe ich durchaus. Das Ziel ist ja eigentlich, dass in Zukunft Stellungnahmen zu solch sehr sehr wichtigen Themen in gemeinsamer ökumenischer Verbundenheit entstehen und veröffentlicht werden – so wie das etwa in den 80ger Jahren mit der Schrift 'Gott ist ein Freund des Lebens' zum Lebensschutz der Fall war. Jetzt haben wir wieder die Situation, dass eine konfessionelle Perspektive erscheint. Etwa bei bioethischen Fragen besteht schon länger die Sorge, dass wir gesellschaftlich nicht mehr mit einer Stimme sprechen können. Leider ist es noch nicht üblich, dass bei den Arbeitsgruppen, die solche Papiere stellen, ein Beobachter von der jeweils anderen Konfession dabei ist. Man wird vom Ergebnis überrascht, ohne im Prozess beteiligt zu sein. Und das ist ungut.

Frage: Der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider begründet die Orientierungshilfe unter anderem damit, dass mit dem "früheren" Familienbild Diskriminierungen einhergingen – unter anderem von unehelichen Kindern und Homosexuellen. Muss sich die Kirche damit nicht auseinandersetzen?

Das tut die römisch-katholische Kirche. Es ist ja nicht so, dass sie an dieser Wirklichkeit vorbeischaut. Sie fragt sich, wie geht man mit dem um, was unübersehbar ist: die Zerrüttung von Familiensituationen, die Erfahrung von Scheitern. Insofern gibt es eine große Nähe und auch römisch-katholischerseits eine hohe Bereitschaft, nüchtern auf die Frage etwa der Situation von wiederverheiratet Geschiedenen zu blicken. Das ist seit Jahrzehnten der Fall. Beim Thema Honosexualität wundere ich mich schon, wie weit der Text da geht. Er signalisiert ein Verstehen der Wünsche nach Adoptionen von gleichgeschlechtlichen Paaren – eine Position, die weltweit innerevangelisch hoch umstritten ist. Damit nimmt die EKD eine Position ein, die zwar dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung trägt. Ich bin mir aber sicher, dass es auch innerevangelisch zu kritischen Rezeptionen kommt.

Frage: Welche Kritikpunkte sehen Sie noch an dem Papier?

Sattler: Ich bin nicht einverstanden mit der Schriftauslegung. Der biblische Appell an die christliche Versöhnungsbereitschaft, also der Aspekt einer lebenslang angestrebten Bindung, kommt in dem Text zu kurz. Das finde ich sehr traurig. Es gibt im Alten und Neuen Testament sehr eindeutige Aussagen zur Ehe, die nicht in genügender Weise gesichtet worden sind. Das Wort aus dem Evangelium, dass der Mensch nicht trennen soll, was Gott verbunden hat, wird vollkommen ausgeklammert.

Das Interview führte Gabriele Höfling

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