Katholischer Pfarrer: "Connewitz ist definitiv kein Kriegsgebiet"
"In Connewitz wüten Linksextreme hemmungslos", "Wie der Hass nach Connewitz kam", "Ein Kiez unter Beobachtung": Diese und ähnliche Schlagzeilen über den Leipziger Stadtteil Connewitz waren in den vergangenen Wochen immer wieder zu lesen. Vor allem seit den Ausschreitungen an Silvester, bei denen auch Polizisten verletzt wurden, hat das Viertel im Süden der sächsischen Großstadt bundesweit einen Ruf als linksextreme Hochburg. Doch stimmt dieses Bild? Im Interview mit katholisch.de spricht der Connewitzer Pfarrer Christoph Baumgarten über den Alltag im Viertel, die Ursachen der Konflikte und die Frage, inwieweit seine Pfarrgemeinde St. Bonifatius von den Unruhen betroffen ist.
Frage: Pfarrer Baumgarten, Connewitz ist spätestens seit den gewalttätigen Auseinandersetzungen an Silvester zum Synonym für linke Gewalt geworden. Wie erleben Sie selbst die Situation im Stadtteil?
Baumgarten: Keine Frage: Connewitz ist ein linksalternativer Stadtteil, das merkt man hier an jeder Ecke. Aber das Bild, das die Medien vor allem nach Silvester von Connewitz gezeichnet haben, wird dem Viertel nicht gerecht. Im Alltag erlebe ich hier ein ziemlich entspanntes Miteinander von Menschen mit unterschiedlichen Lebensentwürfen und Überzeugungen. Die gewalttätigen Ausschreitungen, die in jüngster Zeit die Schlagzeilen dominiert haben, beschränken sich zeitlich auf wenige Tage und räumlich auf das Gebiet um das Connewitzer Kreuz, wo es traditionell eine besonders aktive linksextreme Szene gibt. Doch von den Konflikten dort kriegt man schon ein paar hundert Meter weiter praktisch nichts mehr mit. Ein Kriegsgebiet, wie es mitunter kolportiert wird, ist der Stadtteil definitiv nicht.
Frage: Wie weit ist denn Ihre Pfarrkirche vom Connewitzer Kreuz entfernt? Sind Sie in die dortigen Auseinandersetzungen irgendwie involviert?
Baumgarten: Unsere Kirche und unser Pfarramt liegen im Süden des Stadtteils und sind vom Connewitzer Kreuz rund eineinhalb Kilometer weg. Wenn es dort zu Ausschreitungen kommt, sind wir also nicht betroffen. Wir werden lediglich regelmäßig Opfer einer sehr aktiven Sprayer-Szene, die auch vor unserem Gemeindehaus nicht Halt macht. Dabei handelt es sich in der Regel aber um unpolitische Graffitis, insofern hat das mit den politisch motivierten Auseinandersetzungen im Viertel vermutlich nichts zu tun.
„Manche Aktivisten wollen aus dem Stadtteil mit aller Gewalt eine 'bullenfreie Zone' machen – so wird das wörtlich propagiert.“
Frage: Können Sie mal für alle Nicht-Leipziger erklären, was überhaupt die Ursachen für die Konflikte in Connewitz sind?
Baumgarten: Das ist vielschichtiger, als man zunächst denken mag. Natürlich: Ein wesentlicher Grund für die Konflikte ist, dass es hier eine linksextreme Szene gibt, die den Staat und seine Institutionen ablehnt. Und diese Ablehnung richtet sich vor allem gegen die Polizei. Manche Aktivisten wollen aus dem Stadtteil mit aller Gewalt eine "bullenfreie Zone" machen – so wird das wörtlich propagiert. Die Folge sind zum Beispiel regelmäßige Farbanschläge auf das örtliche Polizeirevier, aber eben leider immer wieder auch gewalttätige Auseinandersetzungen. Daneben gibt es hier im Viertel aber auch noch andere Konfliktherde – zum Beispiel mit Blick auf die lokale Fußball-Szene. Das sind dann teilweise persönliche Konflikte, die nicht so viel mit den politischen Auseinandersetzungen zu tun haben; aber natürlich vermischen sich die unterschiedlichen Konfliktherde auch.
Frage: Was wissen Sie denn über die konkreten Ursachen der Krawalle an Silvester? Die Deutung der Ereignisse an diesem Tag geht ja – je nach Lager – sehr weit auseinander ...
Baumgarten: Dazu kann ich nicht viel sagen, weil ich selbst nicht vor Ort war. Ich habe aber hinterher mit dem evangelischen Pfarrer der Petrigemeinde gesprochen, der schon viele Jahre hier in Leipzig tätig ist und über zahlreiche Kontakte zu vielfältigen Gruppen und Einzelpersonen verfügt. Er hat mir gesagt, dass die Ursache für die Übergriffe auf die Polizisten wohl tatsächlich auch in den Konflikten in der Fußball-Szene zu suchen ist. Es ist ja inzwischen bekannt, dass die beiden verletzten Beamten während des Einsatzes keine Helme getragen haben und deshalb für die Angreifer identifizierbar waren. Die Vermutung liegt also nahe, dass hier nicht wahllos irgendwelche Polizisten angegriffen wurden, sondern gezielt alte Rechnungen beglichen wurden. So oder so sollte man es sich mit Erklärungsversuchen für die Gewalt in Connewitz aber nicht zu leicht machen. Wer die Konflikte hier im Stadtteil verstehen möchte, muss tiefer bohren und länger zurückblicken, als das zuletzt vor allem in den Medien getan wurde.
Frage: Was sagen Sie denn zu der anhaltenden Kritik an der Polizei und ihrer Einsatztaktik an Silvester? Halten Sie diese Kritik für gerechtfertigt?
Baumgarten: Das kann ich nicht beurteilen, weil ich wie gesagt nicht selbst vor Ort war. Ich habe nur mitbekommen, dass die Polizei schon sehr früh am Silvestertag Präsenz gezeigt hat und ein Polizeihubschrauber lange über dem Stadtteil gekreist ist. Ich persönlich würde nicht sagen, dass das ein Belagerungszustand war oder die Polizei irgendwie unangemessen agiert habe; das wird aber natürlich unterschiedlich beurteilt. Grundsätzlich, das möchte ich auch sagen, ist die Polizei hier in einer schwierigen Rolle: Egal, wie sie angesichts der zahlreichen Konflikte im Stadtteil agiert – irgendwer beschwert sich immer. Entweder wird den Beamten vorgeworfen, nicht konsequent genug gegen Gewalttäter vorzugehen, oder es wird ihnen direkt Polizeigewalt unterstellt. Für die Polizisten ist das im Einsatz ein schmaler Grat.
Frage: Welche Rolle spielt bei den Auseinandersetzungen in Connewitz denn das zunehmende Problem fehlenden Wohnraums und steigender Mieten? Es ist ja bekannt, dass alteingesessene Bewohner gerade aus beliebten Großstadtvierteln zunehmend vertrieben werden, weil sie sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten können und es nicht genug günstige Wohnungen gibt. Ist das in Connewitz auch so?
Baumgarten: Ganz so extrem ist die Situation hier noch nicht – vor allem im Vergleich zu Berlin, München oder anderen beliebten Großstädten. Man kann in Connewitz immer noch relativ preiswerten Wohnraum finden, das sind dann aber teilweise noch unsanierte Häuser und Wohnungen. Klar ist aber auch: Die Einwohnerzahl von Leipzig wächst rasant, insofern wird auch der Druck auf dem Wohnungsmarkt sicher noch deutlich ansteigen. Unabhängig von der konkreten Entwicklung muss man aber klar sagen, dass steigende Mieten und knapper Wohnraum nie eine Rechtfertigung für gewalttätige Auseinandersetzungen sein dürfen.
„Die Menschen hier ärgern sich, dass Connewitz inzwischen in ganz Deutschland als linksextremer und von Gewalt geprägter Stadtteil gebrandmarkt ist.“
Frage: Unabhängig von den konkreten Ursachen sind die jüngsten Gewaltausbrüche für Connewitz auch psychologisch eine große Hypothek. Fürchten Sie, dass das Zusammenleben im Stadtteil angesichts der bundesweiten Aufmerksamkeit Schaden nehmen könnte?
Baumgarten: Zurzeit sehe ich diese Gefahr noch nicht. Aber die Menschen hier ärgern sich natürlich schon, dass Connewitz inzwischen in ganz Deutschland als linksextremer und von Gewalt geprägter Stadtteil gebrandmarkt ist. Denn das entspricht einfach nicht dem Alltag, wie die Menschen ihn hier erleben.
Frage: Unternehmen Sie oder Ihre Pfarrgemeinde derzeit irgendwelche Versuche, bei den Auseinandersetzungen im Stadtteil zu vermitteln?
Baumgarten: Nein, nicht direkt. Die Schwierigkeit ist ja vor allem, dass man von allen Beteiligten als Gesprächspartner akzeptiert werden muss, sonst macht eine wie auch immer geartete Vermittlung gar keinen Sinn. Hinzu kommt, dass ich noch relativ neu hier in der Pfarrei tätig bin und ein sehr großes Gebiet mit mehreren Kirchorten betreuen muss. Da bleibt mir kaum Zeit, mich über die Grenzen des Gemeindelebens hinaus zu engagieren. Das bedauere ich, aber so ist derzeit die Situation. Allerdings veranstalten wir als Kirchen im Stadtteil jedes Jahr im Mai ein ökumenisches Straßenfest. In diesem Jahr lautet das Motto "Brücken bauen", und damit wollen wir die Situation im Stadtteil durchaus aufgreifen.