"Ohne moralischen Zeigefinger"

Wie Pater Josef jeden Sonntag in Berlin die Kirche voll bekommt

Veröffentlicht am 07.03.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ Wie kann man heute noch Menschen für die Heilige Messe begeistern? Ein Berliner Pater hat gleich an mehreren Stellen an Stellschrauben gedreht: Dazu gehört die richtige Uhrzeit, die richtige Musik – aber vor allem die richtigen Worte.

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Pater Josef Schulte (77) ist seit 34 Jahren Seelsorger in der Berliner Kirchengemeinde Sankt Ludwig. Seine "Messe für Ausgeschlafene" sonntags ab 12.00 Uhr ist immer rappelvoll - ungewöhnlich in der heutigen Zeit, zumal in der eher kirchenfernen Hauptstadt. Auch viele Diplomaten und Prominente wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) und ZDF-Chefredakteur Peter Frey sind regelmäßig in dem Gotteshaus zu sehen, das nicht weit vom Kurfürstendamm entfernt ist. Im Interview spricht der Franziskaner über Menschen auf Sinnsuche und die Kunst des Predigens.

Frage: Pater Josef, jeden Sonntag haben Sie in Ihrer Messe in Sankt Ludwig um 12.00 Uhr bis zu 400 Besucher. Irgendetwas scheinen Sie richtig zu machen ...

Pater Josef: (lacht) Ich glaube, es kommt einfach Mehreres zusammen. Mir hat mal jemand gesagt, was ihn nach Sankt Ludwig zieht - zunächst einmal die Uhrzeit: 12.00 Uhr, das entspricht wohl eher dem Lebensgefühl der Großstadt als 10.00 Uhr. Es ist eben eine "Messe für Ausgeschlafene". Dann das schöne Gebäude, es ist eine richtige Kirche mit Säulen und Gewölbe und kein Neubau mit Flachdach. Die Musik – wir haben hier wunderbare Organisten und bieten wirklich gute Kirchenmusik. Und schließlich ein Wort, das unter die Haut geht.

Frage: Und hier kommen Sie ins Spiel ...

Pater Josef: Ich versuche es jedenfalls. Wenn ich meine Predigt vorbereite, versuche ich, den Entzündungspunkt zu finden. Jede Predigt braucht einen Glutkern, eine zentrale Botschaft. Und wichtig ist auch, dass ich selbst davon überzeugt bin. Das heißt, ich halte die Predigt auch für mich, das ist nichts Fremdes, was ich transportiere. Ich versuche, die tiefere Schicht der Seele zu berühren.

Frage: Wie bereiten Sie sich vor?

Pater Josef: Ich meditiere schon sehr früh in der Woche über die Texte, die am Sonntag dran sind. Dann lese ich dazu Literatur, etwa Christian Morgenstern, oder ich schaue mir Kunstwerke zum Thema an. Schließlich mache ich mir Notizen. Ich denke bei der Vorbereitung auch intensiv an die Gemeinde, zum Beispiel, indem ich mir einzelne Personen vorstelle.

Eine Bibel liegt auf dem Ambo vor leeren Kirchenbänken.
Bild: © fotosmile777 – stock.adobe.com

"Gesprochenes Wort ist Handschrift der Seele", findet pater Josef.

Frage: Lesen Sie die Predigt ab?

Pater Josef: Nein, eine Predigt sollte ein gesprochenes Wort sein. Gesprochenes Wort ist Handschrift der Seele. Wenn einer nur vorliest, kommt es nicht an. Das Gesprochene ist glaubwürdiger, lebendiger, erreicht den Zuhörer auch innerlich. Meine Predigt ist auch nicht fertig vor der Messe, sie wird geboren im Sprechen. Da orientiere ich mich an Heinrich von Kleist, der ja einen ganzen Essay zur "Allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" geschrieben hat.

Frage: Welche Rolle spielt die Liturgie?

Pater Josef: Wichtig ist, dass die Menschen das Gefühl haben, dass der Gottesdienst gemeinsam gefeiert wird, dass sie keine Zuschauer- oder Beobachterrolle einnehmen. Einfacher ist das zum Beispiel, wenn die Kirche voll ist, dann singen die Leute eher, und es gibt diesen Effekt der Ansteckung. Es gelingt dann leichter, einen gemeinsamen Gefühlsstrom zu erzeugen.

Frage: Wie schaffen Sie es, dass man Ihnen zuhört?

Pater Josef: Ein guter Prediger ist der, der versteht, die Ohren der Zuschauer in Augen zu verwandeln. Das heißt, ich verwende eine bildhafte Sprache, auch viele Symbole. Auf jeden Fall versuche ich, so von Gott zu sprechen, dass auch die mich verstehen, die ihr Ohr heimlich an die Kirchentür halten.

Frage: Was für Themen sprechen Sie an?

Pater Josef: Ich beschränke mich auf das genuin Biblische, rede über existenzielle Fragen. Das heißt, ich verhandele am Sonntag nicht das, was besser in den Zeitungen steht. Mir geht es darum, den Sinn des Lebens zu vermitteln, dass man mit einer sinnerfüllten Zufriedenheit die Kirche verlässt, nicht zu verwechseln mit Behäbigkeit. Ich möchte den Menschen Anregungen für ihren Lebensalltag schenken – aber ohne moralischen Zeigefinger.

Von Nina Schmedding (KNA)