Essener Missbrauchsstudie soll Fehler von Leitungspersonen aufdecken
Das katholische Bistum Essen will in einer Studie zu sexuellem Missbrauch die Rolle von Personalverantwortlichen der Diözese klären. Die Untersuchung solle Fehler und Verhaltensmuster von Leitungspersonen aufdecken sowie Strukturen aufzeigen, die Missbrauch und Vertuschung begünstigten, sagte Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck am Freitag in Essen. Sollten Verantwortliche bewusst und vorsätzlich Taten verschleiert haben, würden ihre Namen genannt.
Das Bistum Essen hat das Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) mit der Studie beauftragt. Die Forscher, die sich bereits mit Missbrauch an der Odenwaldschule und dem Kloster Ettal beschäftigten, untersuchen in der Essener Diözese mögliche Fälle von der Gründung des Bistums 1958 bis heute.
Generalvikar Klaus Pfeffer sicherte dem IPP Zugang zu allen Akten und Archiven zu. Die auf zwei Jahre angelegte Untersuchung solle auch helfen, Missbrauch heute zu verhindern. "Wir haben die Hoffnung, dass wir durch diese Studie die ein oder andere Erkenntnis gewinnen können", sagte Pfeffer.
Studienleiterin Helga Bill erklärte, ihr Institut habe am Donnerstag mit der Aktenauswertung begonnen. Die Wissenschaftler riefen Betroffene von sexuellen Übergriffen auf, sich bei den Forschern zu melden. Interviews mit ihnen sollen in die Auswertung einfließen. Die Unabhängigkeit des Instituts sei eine Chance, dass sich Opfer meldeten, die bislang geschwiegen hätten, erklärte die Soziologin.
Missbrauch
2010 wurde erstmals eine größere Zahl von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche in Deutschland bekannt. Seitdem bemüht sich die Kirche um eine Aufarbeitung der Geschehnisse. Bei ihrer Vollversammlung veröffentlichten die deutschen Bischöfe am 25. September 2018 eine Studie, die die Missbrauchsfälle im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz zwischen 1946 und 2014 dokumentiert."Das Bistum hat keinerlei Weisungsbefugnis uns gegenüber", betonte ihr Kollege Gerhard Hackenschmied. Alle Informationen würden vertraulich behandelt und nach Studienabschluss gelöscht. Für ihre Auswertung wollen sie auch Beschuldigte interviewen und mit Gemeindemitgliedern sprechen.
Die Studie soll überdies zeigen, wie sich Missbrauchsfälle auf Pfarreien ausgewirkt haben. Daneben wollen die Forscher historische Entwicklungen beleuchten, etwa wie die katholische Sexualmoral in der Priesterausbildung thematisiert wurde.
Die deutschen Bischöfe hatten im Herbst 2018 die sogenannte MHG-Studie zu sexuellem Missbrauch vorgestellt. In den Kirchenakten der Jahre 1946 bis 2014 fanden sich Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe. Das Bistum Essen kommt demnach auf 85 Opfer von sexuellen Übergriffen und 60 beschuldigte Kleriker seit seiner Gründung 1958. Auch die Erzbistümer Köln und München sowie die Diözese Münster haben zusätzliche Untersuchungen initiiert. Am Donnerstag wollen die von Köln beauftragten Anwälte ihren Abschlussbericht vorlegen.
Overbeck zeigte sich zufrieden mit der von den deutschen Bischöfen gefundenen Einigung zu Zahlungen an die Missbrauchsopfer. Die Vollversammlung habe eine gewisse Form von Gerechtigkeit durch Gleichheit herstellen wollen. Opfer sexueller Gewalt durch katholische Geistliche sollten nicht mehr bekommen als andere Opfer. Das Modell orientiert sich an der zivilrechtlichen Schmerzensgeld-Tabelle und sieht Summen zwischen 5.000 und 50.000 Euro pro Fall vor. Bislang haben Betroffene in der Regel nur einen Pauschalbetrag von 5.000 Euro "in Anerkennung des erlittenen Leids" erhalten. (KNA)