Wider das Schubladendenken!
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Impuls von Schwester Regina Greefrath
Menschen neigen dazu, vorschnell Schlüsse zu ziehen und zu urteilen und als Folge andere Menschen in Schubladen zu stecken. Die Nachbarin von gegenüber hat mich auf dem Weg zur Arbeit heute fast umgerannt. Die kommt aber auch immer auf den letzten Drücker. Und der Herr im Anzug, der mir im Zug gegenübersitzt und telefoniert, ist bestimmt ein Workaholic.
Das menschliche Gehirn teilt automatisch das Erlebte in Kategorien ein – durch Vergleiche mit Dingen oder Situationen, die uns bekannt sind. So können Informationen besser abgespeichert und abgerufen werden. Doch das kann dann schief gehen, wenn es um das Kategorisieren von Menschengruppen geht.
Das sehen wir im heutigen Evangelium: Da war ein Mann, der seit Geburt blind war. Für die Jünger Jesu und die Pharisäer war sofort klar: Er oder seine Eltern müssen eine schwere Sünde begangen haben, dass Gott ihn so hart bestraft. Und mit solchen Menschen wollte man nichts zu tun haben. Dieses Denkmuster war zur Zeit Jesu durchaus üblich.
Jesus weist dieses Vorurteil zurück, indem er sagt, dass die Ursache der Blindheit nicht in einer Sünde liegt. Krankheit, Behinderung und Leid stammen nicht von Gott. Wer Gott so etwas zutraut, hat ihn nicht erkannt, ist blind für ihn. Das ist die eigentliche Blindheit vor Gott, die Blindheit des Herzens: Wenn man aufgrund seines schweren Schicksals nicht mehr erkennen kann oder wahrhaben möchte, dass man ein geliebtes Kind Gottes ist.
Jesus fügt hinzu, dass das Wirken Gottes an diesem Blinden offenbar werden soll. Wie sollen wir das verstehen? Einen wichtigen Schlüsselsatz zum Verständnis liefert die erste Lesung dieses Sonntags aus dem 1. Buch Samuel: "Gott sieht nämlich nicht auf das, worauf der Mensch sieht. Der Mensch sieht, was vor den Augen ist, der Herr aber sieht das Herz." (1 Sam 16,7)
Hier wird deutlich: Gott schaut den ganzen Menschen an, mit seinen Ängsten und Hoffnungen, und nicht nur seine Fehler und Schwächen. Er lässt sich auch nicht blenden von Dingen, die wir tun, um unsere Fehler zu vertuschen. Er nimmt uns liebevoll die Maske ab und schaut uns direkt ins Herz.
Und diese Begegnung mit Jesus hinterlässt Spuren im Herzen des Blinden, sie wandelt und verwandelt ihn. Er kann richtig sehen und erkennen. So wird das Wirken Gottes an ihm offenbar.
Dieses Evangelium kann als Aufruf verstanden werden, verkrustete Denkmuster zu durchbrechen und die Blindheit der Herzen zu heilen. Denn "man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar." (Antoine de Saint-Exupéry)
Evangelium nach Johannes (9,1-41)
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war. Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst oder seine Eltern, sodass er blind geboren wurde?
Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern die Werke Gottes sollen an ihm offenbar werden. Wir müssen, solange es Tag ist, die Werke dessen vollbringen, der mich gesandt hat; es kommt die Nacht, in der niemand mehr wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.
Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde; dann machte er mit dem Speichel einen Teig, strich ihn dem Blinden auf die Augen und sagte zu ihm: Geh und wasch dich in dem Teich Schiloach! Das heißt übersetzt: der Gesandte. Der Mann ging fort und wusch sich. Und als er zurückkam, konnte er sehen.
Die Nachbarn und jene, die ihn früher als Bettler gesehen hatten, sagten: Ist das nicht der Mann, der dasaß und bettelte? Einige sagten: Er ist es. Andere sagten: Nein, er sieht ihm nur ähnlich. Er selbst aber sagte: Ich bin es.
Da fragten sie ihn: Wie sind deine Augen geöffnet worden? Er antwortete: Der Mann, der Jesus heißt, machte einen Teig, bestrich damit meine Augen und sagte zu mir: Geh zum Schiloach und wasch dich! Ich ging hin, wusch mich und konnte sehen. Sie fragten ihn: Wo ist er? Er sagte: Ich weiß es nicht.
Da brachten sie den Mann, der blind gewesen war, zu den Pharisäern. Es war aber Sabbat an dem Tag, als Jesus den Teig gemacht und ihm die Augen geöffnet hatte. Auch die Pharisäer fragten ihn, wie er sehend geworden sei. Er antwortete ihnen: Er legte mir einen Teig auf die Augen und ich wusch mich und jetzt sehe ich.
Einige der Pharisäer sagten: Dieser Mensch ist nicht von Gott, weil er den Sabbat nicht hält. Andere aber sagten: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen tun? So entstand eine Spaltung unter ihnen.
Da fragten sie den Blinden noch einmal: Was sagst du selbst über ihn? Er hat doch deine Augen geöffnet. Der Mann sagte: Er ist ein Prophet. Die Juden aber wollten nicht glauben, dass er blind gewesen und sehend geworden war.
Daher riefen sie die Eltern des von der Blindheit Geheilten und fragten sie: Ist das euer Sohn, von dem ihr sagt, dass er blind geboren wurde? Wie kommt es, dass er jetzt sieht? Seine Eltern antworteten: Wir wissen, dass er unser Sohn ist und dass er blind geboren wurde. Wie es kommt, dass er jetzt sieht, das wissen wir nicht. Und wer seine Augen geöffnet hat, das wissen wir auch nicht. Fragt doch ihn selbst, er ist alt genug und kann selbst für sich sprechen!
Das sagten seine Eltern, weil sie sich vor den Juden fürchteten; denn die Juden hatten schon beschlossen, jeden, der ihn als den Christus bekenne, aus der Synagoge auszustoßen. Deswegen sagten seine Eltern: Er ist alt genug, fragt ihn selbst!
Da riefen die Pharisäer den Mann, der blind gewesen war, zum zweiten Mal und sagten zu ihm: Gib Gott die Ehre! Wir wissen, dass dieser Mensch ein Sünder ist. Er antwortete: Ob er ein Sünder ist, weiß ich nicht. Nur das eine weiß ich, dass ich blind war und jetzt sehe.
Sie fragten ihn: Was hat er mit dir gemacht? Wie hat er deine Augen geöffnet? Er antwortete ihnen: Ich habe es euch bereits gesagt, aber ihr habt nicht gehört. Warum wollt ihr es noch einmal hören? Wollt etwa auch ihr seine Jünger werden?
Da beschimpften sie ihn: Du bist ein Jünger dieses Menschen; wir aber sind Jünger des Mose. Wir wissen, dass zu Mose Gott gesprochen hat; aber von dem da wissen wir nicht, woher er kommt.
Der Mensch antwortete ihnen: Darin liegt ja das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er kommt; dabei hat er doch meine Augen geöffnet. Wir wissen, dass Gott Sünder nicht erhört; wer aber Gott fürchtet und seinen Willen tut, den erhört er. Noch nie hat man gehört, dass jemand die Augen eines Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann hätte er gewiss nichts ausrichten können.
Sie entgegneten ihm: Du bist ganz und gar in Sünden geboren und du willst uns belehren? Und sie stießen ihn hinaus.
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgestoßen hatten, und als er ihn traf, sagte er zu ihm: Glaubst du an den Menschensohn? Da antwortete jener und sagte: Wer ist das, Herr, damit ich an ihn glaube? Jesus sagte zu ihm: Du hast ihn bereits gesehen; er, der mit dir redet, ist es. Er aber sagte: Ich glaube, Herr! Und er warf sich vor ihm nieder.
Da sprach Jesus: Um zu richten, bin ich in diese Welt gekommen: damit die nicht Sehenden sehen und die Sehenden blind werden. Einige Pharisäer, die bei ihm waren, hörten dies. Und sie fragten ihn: Sind etwa auch wir blind? Jesus sagte zu ihnen: Wenn ihr blind wärt, hättet ihr keine Sünde. Jetzt aber sagt ihr: Wir sehen. Darum bleibt eure Sünde.