Von Haydn bis Pärt

Mit Passionsmusik durch die Zeit zu Hause

Veröffentlicht am 09.04.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Das Leiden Jesu hat Komponisten immer wieder dazu inspiriert, die letzten Stunden des Gottessohnes in Musik zu verwandeln. In einer Karwoche, die gezwungenermaßen vor allem zu Hause stattfindet, gibt es viele neue und alte Werke zu entdecken.

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Komponisten aller Jahrhunderte haben die Passionsberichte als Grundlage von Musik benutzt, mal sehr nah am Bibeltext, mal ganz frei ausgedichtet. Obwohl es immer um die gleiche Geschichte geht, könnten die Stücke unterschiedlicher nicht sein. Ein – sicherlich nicht abschließender – Überblick auf Passionsmusik aus fünf Jahrhunderten.

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Heinrich Schütz: Lukas-Passion (1653)

Ursprünglich hatte das Werk des Weißenfelser Komponisten den Titel "Historia des Leidens und Sterbens unseres Herrn und Heiland Jesu Christi nach dem Evangelisten St. Lukas". Die Musik stellt eine Ausdeutung des Passionsgeschehens dar. Sie folgte damit einem Trend der damaligen Liturgie, besonders wichtige Bibelstellen zunächst in verteilten Rollen zu lesen. Daraus entwickelten sich neben den Passionsmusiken auch die Passionsspiele. Im Gegensatz zu zahlreichen seiner Nachfolger – wie etwa Bach – wird die Passion von Schütz ausschließlich vom Chor dargeboten, Instrumente sind nicht vorgesehen. Die Lukas-Passion entstand in der letzten Schaffensperiode des Komponisten. Nach den Texten des Lukasevangeliums vertonte er später noch Passionen nach Johannes und Matthäus.

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Johann Sebastian Bach: Matthäus-Passion (1727)

Wer an Passionsmusik denkt, denkt an Bachs Matthäuspassion, die manchen als Höhepunkt von Passionsmusik und wieder anderen als ein Hauptwerk der Kirchenmusik generell gilt. Bach erzählt das Geschehen auf einen Text des Dichters Picander szenisch in Chorälen, Chorsätzen und Arien, begleitet von einem großen Orchester. Entgegen der heutigen Praxis und treu zu den Wurzeln der Passionsmusik ist auch Bachs Werk eigentlich für die Aufführung im Gottesdienst komponiert worden. Nach seinem Tod 1750 zunächst vergessen, begann mit ihrer Uraufführung unter Felix Mendelssohn-Bartholdy 1829 die Wiederentdeckung des Schaffens des Leipziger Thomaskantors. Seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hat sich die Matthäus-Passion durch zahlreiche Aufführungen und Einspielungen fest in den Köpfen der Klassikliebhaber festgesetzt.

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Carl Heinrich Graun: Der Tod Jesu (1755)

Diese Passionskantate auf einen Text von Karl Wilhelm Ramler steht ganz im Zeichen der Empfindsamkeit. Die Musik vertont keine Bibelzitate, sondern Ramlers Text legt den Schwerpunkt auf die emotionalen Szenen der Passion. Im Gegensatz zu Kompositionen etwa von Bach gibt es hier keine handelnden Personen und keine Dialoge. Vielmehr nehmen der Chor und die Solisten eine erzählende und kommentierende Haltung ein. Ebenfalls unterscheidet sich Grauns Musik in ihrer Einfachheit von Bach. Dessen ausgeklügelten Chorsätzen und Fugen setzte Graun eine bewusst schlichtere Musik entgegen, durch die das Leidensgeschehen für die Hörer leichter zugänglich werden sollte. Mit Erfolg: Im 18. Und 19. Jahrhundert wurde Graus Werk häufig aufgeführt und galt als am meisten aufgeführte evangelische Passionsmusik.

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Joseph Haydn: Die sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (1787)

Ein ganz großer Klassiker. Auf Anfrage eines Priesters aus dem spanischen Cádiz vertonte Haydn die in der Bibel überlieferten letzten Worte Jesu – allerdings ohne Worte. Denn die langsamen Stücke sollten Raum zur Meditation geben. Der Priester trug am Karfreitag 1787 stets zunächst eines der Worte und eine Betrachtung dazu vor. Dann betete er mit der Gemeinde still während der Musik. Für Haydn war der Auftrag schwierig, denn er sollte sieben langsame Sätze komponieren und wollte die Zuhörer dabei nicht langweilen. Nicht zuletzt wegen dieser diffizilen Aufgabe betrachtete Haydn das Werk später als eines seiner gelungensten. Nach der Uraufführung mit einem Orchester bearbeitete der Komponist seine "Sieben letzten Worte" noch für unterschiedliche Besetzungen und machte zuletzt noch ein Oratorium daraus.

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Ludwig van Beethoven: Christus am Ölberge (1803)

Das Oratorium auf einen Text von Franz Xaver Huber konzentriert sich auf eine Schlüsselszene des Passionsgeschehens: Jesu Gebet am Ölberg. Da das Stück in der Fastenzeit aufgeführt werden sollte und Opern in dieser Zeit verboten waren, fasste Beethoven das Stück als Oratorium, das er in sehr kurzer Zeit schrieb: Er brauchte nur zwei Wochen und wurde erst kurz vor der Uraufführung fertig. Das Werk behandelt die Geschichte aus den Evangelien relativ frei und zielt ganz auf den dramatischen Effekt. Nicht umsonst endet das Stück nach der Ergreifung von Christus durch römische Soldaten mit einem Chor der Engel, die den "erhabenen Gottessohn" preisen. Schon bei der Uraufführung mit durchaus gemischten Kritiken bedacht, konnte sich das Oratorium nie ganz durchsetzen. Es ist Beethovens einziges geblieben.

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Carl Loewe: Das Sühneopfer des neuen Bundes (1847)

Loewes Oratorium stellt einen Gegensatz zu Beethoven dar: Wilhelm Telschows Text bleibt eng an den Evangelientexten, außerdem sucht Loewes Musik nicht nach dem großen Effekt, sondern in der Tradition von Bach und Georg Friedrich Händel nach der besten musikalischen Verbildlichung des Textes. Trotz der eher konservativen Anlage des Stücks verwendet Loewe einige musikalische Motive über mehrere Sätze hinweg – und nimmt damit eine Technik voraus, mit der später Richard Wagner berühmt werden sollte. Bis auf seine Lieder, die auch heute noch aufgeführt werden, ist das Schaffen des Stettiners Carl Loewe etwas in Vergessenheit geraten, zeigt aber einen Strang des damaligen Musiklebens, der anstatt auf Expressivität auf eine Rückbesinnung auf die Textausdeutung setzte.

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Rudolf Mauersberger: Passionsmusik nach dem Lukasevangelium (1947)

Mauersbergers Stück ist ein ausgesprochen interessantes Beispiel für die Verbindung von Kunst und Liturgie. Denn der Text aus Bibel und Gesangbuch wird von zwei Chören vorgetragen: Ein großer Chor steht auf der Orgelbühne der Kirche und erzählt die Geschichte. Ein kleinerer Chor steht im Altarraum und singt ausschließlich die Worte Jesu. Wie schon etwa bei Schütz singt auch diese Passionsmusik der Chor allein. Uraufgeführt in der Dresdner Herz-Jesu-Kirche, konnte das Werk des Kreuzkantors das Publikum überzeugen und wurde schon bald auch in der Kreuzkirche aufgeführt. Mit seinen Werken aus der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg versuchte Mauersberger, mit dem Kreuzchor neue Akzente zu setzen. Sein über 40-jähriges Wirken als dessen Kantor machte den Chor weltweit bekannt.

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Arvo Pärt: Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem (1982)

Wie bei vielen anderen Werken dieses Komponisten auch begegnet dem Hörer hier der "Tintinnabuli"-Stil: Pärt arbeitet mit einem sehr reduzierten musikalischen Werkzeugkasten und lässt einfache Dreiklänge wirken, die stetig wiederholt werden und so eine meditative Stimmung erzeugen sollen. Der estnische Komponist bezieht sich vor allem in seiner Passionsmusik auf mittelalterliche Vorbilder, deren Klangfarbe er mit seinem eigenen Stil vermischt. Textlich nutzt Pärt den Text des Johannesevangeliums über das Leidensgeschehen, rezitiert ihn im Gegensatz zu zahlreichen anderen Werken allerdings in lateinischer Sprache. Pärt ist einer der erfolgreichsten noch lebenden Komponisten, auch die Passion wurde immer wieder eingespielt.

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Wolfgang Rihm: Deus passus (2000)

Als Wolfgang Rihm frisch im neuen Jahrtausend eine Passion nach dem Lukasevangelium schrieb, verpasste er dem Genre gleichzeitig eine Art Update. Der leidende Gott steht hier im Zentrum des Interesses – dabei bleibt die Komposition aber nicht stehen. Denn der leidende Gott verweist auf das Theodizee-Problem, das Stück verbindet das Passionsgeschehen mit der Erinnerung an den Holocaust. Deshalb sind auch Texte von Paul Celan in das Stück eingewoben, der Schöpfer der bekannten "Todesfuge" gilt als einer der Dichter, die das Grauen der Schoah sehr eindringlich verbalisiert haben. Dem Text entsprechend ist die Musik sehr zurückhaltend und reduziert, sie drückt Trauer und Sprachlosigkeit aus.

Von Christoph Paul Hartmann