Christiane Florin: "Wie ich versuche, katholisch zu bleiben"
Es ist ein zorniges Buch, das zu einem ungünstigen Zeitpunkt erscheint. Während die Corona-Krise nahezu die gesamte Aufmerksamkeit der Gesellschaft bindet und die Reformdebatte in der katholischen Kirche in Deutschland fast zum Erliegen gekommen ist, legt die Journalistin Christiane Florin ihre neue Streitschrift "Trotzdem! Wie ich versuche katholisch zu bleiben" vor – den Nachfolger des Bestellers "Weiberaufstand".
Schlechte Zeiten für Kirchenkritik. Veranstaltungen in katholischen Akademien und in Buchhandlungen, bei denen die Politikwissenschaftlerin ihre Streitschrift vorstellen will, fallen aus. Ebenso die Treffen des Synodalen Wegs, mit dem die Kirche auf den Missbrauchsskandal reagieren will. Doch vielleicht, so Florin, eröffnet die Krise ja auch den Blick dafür, wie anders katholische Kirche jenseits von Liturgie und Hierarchie sein kann und was die Menschen wirklich von ihrer Kirche benötigen.
Was hält einen kritischen Geist wie Florin, Jahrgang 1968, noch in der Kirche? Das ist das Thema des Essays. Oder mit ihren Worten: "Warum zum Teufel gebe ich, geben wir Schafe, diesem Laden immer wieder eine Chance? Spott durchzieht die Analyse, ebenso Selbstironie und eine Prise Bitterkeit. "Das Katholische ist komisch", schreibt die Redakteurin des Deutschlandfunks: "Ohne Sinn für Realsatire und Selbstironie lässt sich das Herdendasein nicht aushalten, erst recht nicht als weibliches Schaf."
Kein Halt vor Kritik
Doch Schafsgeduld und Gutgläubigkeit sind aus Sicht von Florin, die im katholischen Milieu im rheinischen Mondorf aufwuchs, vorbei. Spätestens die 2018 veröffentlichte Missbrauchsstudie habe den roten Faden reißen lassen, der sie noch mit dem alten System der Volkskirche verband. Katholischsein, das sei für viele nicht zuerst eine Lehre, sondern ein Gefühlsgemisch aus Gottvertrauen, Geborgenheit, Unwohlsein, Dankbarkeit und Idealisierung, analysiert sie. Die Kirche als Heimat und Identitätsstifter: "Die Kirche lag in meinem Leben herum wie das alte Sofakissen, das wir vergessen hatten, neu zu beziehen: provinziell, spießig, allenfalls in ironischer Brechung präsentabel, aber doch liebenswert", schreibt sie.
Doch dieses Gefühl trägt nicht mehr. Florin lässt in ihrem Essay die vergangenen zehn Jahre seit der Aufdeckung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche Deutschlands Revue passieren. Und spart nicht mit Kritik: Unter anderem spricht sie von Machtmissbrauch und mangelnder Verantwortungsübernahme des Führungspersonals.
Die Kirche habe die Würde von Menschen verletzt und das Evangelium verraten. Die Spitze der Institution habe das Harmlose kriminalisiert und das Kriminelle verharmlost. "Ihre Hirten verfügen über Macht, aber nicht über die innere Kraft zu Umkehr und Unterbrechung." Kein Bischof oder Verantwortlicher habe in den vergangenen zehn Jahren persönliche Verantwortung für Fehler oder Vertuschen übernommen. Fehler seien – wenn überhaupt – immer nur auf äußeren Druck hin eingestanden worden.
Und trotzdem bleibt sie
Das Buch ist aber nicht nur Anklage, sondern auch Selbstanklage: Denn auch die Gutgläubigen, die weiter in der Kirche sind, haben aus Florins Sicht dazu beigetragen, das System von Machtmissbrauch, sexualisierter Gewalt und Frauenverachtung zu stabilisieren. Sie seien zu Komplizen geworden, weil sie sich nicht gegen ein autoritäres System wehren, das Gläubige kleinhalte und überkommene Strukturen bewahre.
Gehen oder bleiben? Vorerst hat sich Florin laut Buch für das Bleiben entschieden. Weil die Welt Institutionen gut gebrauchen könne, die Zweifel säen am Gott des Kapitalismus. Die ernst machen mit der Gleichheit aller Menschen. Weil die Botschaft Jesu größer sei als die Forderungen der vermeintlichen Wahrheitsbesitzer. Und weil das Evangelium eine Kraft- und Inspirationsquelle sein könne. Ein Austritt käme ihr wie ein Davonstehlen vor, betont Florin zudem. Sie wolle die Kirche nicht den Autoritären überlassen. Und sie fragt sich, was möglich wäre, wenn noch viel mehr Leute begründet widersprechen?