Pfarrer Maas: "Berufung ist nie nur rein subjektives Empfinden"
Wegen der Corona-Pandemie wird zu Hause statt in Kirchen gebetet: Anlässlich des Weltgebetstags um geistliche Berufungen lädt die Deutsche Bischofskonferenz an diesem Wochenende unter dem Titel "Werft die Netze aus" zu einer 24-Stunden-Gebetsaktion ein. Federführend bei der Organisation ist das Zentrum für Berufungspastoral in Freiburg. Dessen Leiter, Pfarrer Michael Maas, ist überzeugt: Ehe man in Sachen Berufung über Zugangsbeschränkungen zu Weiheämtern spricht, muss erst der religiöse Grundwasserspiegel in der Gesellschaft angehoben werden.
Frage: Herr Maas, Ihr Zentrum für Berufungspastoral ruft zum 24-Stunden-Gebet für Berufungen zum Priestertum auf. Müsste man nicht bei den Gläubigen ansetzen – Frauen oder verheiratete Männer –, die sich berufen fühlen, aber nicht Priester werden können?
Maas: Zunächst muss ich etwas präzisieren: Wir rufen nicht nur zum Gebet für Priesterberufungen auf. Wir rufen zum Gebet für geistliche Berufungen auf. Das ist viel weiter gefasst. Zu geistlichen Berufungen gehören viele Tätigkeiten dazu, beispielsweise die pastoralen Berufe. Eine christliche Ehe ist genau genommen auch eine geistliche Berufung. Aber natürlich ist es uns besonders wichtig, für Priester- oder Ordensberufungen zu werben und zu beten. Zum zweiten Teil der Frage: Es heißt natürlich oft, die Kirche bräuchte sich keine Gedanken über Berufungen zu machen, wenn sie die Zugangsbeschränkungen dazu lockern würde. Da wird aus meiner Sicht vieles in einen Topf geworfen, was nicht zusammengehört. Ich nehme diese Frage durchaus ernst, aber mir ist in erster Linie wichtig, dass das eigentliche Problem ein anderes, tieferes ist.
Frage: Welches meinen Sie?
Maas: Ich finde, dass uns das die momentane Corona-Krise deutlich aufzeigt: nämlich die Frage nach unserer Glaubenssubstanz. Da ist doch vieles dünn und brüchig. Das persönliche Glaubensleben ist allerdings die Grundlage einer jeden Berufung. Deshalb ist auch das Gebet so wichtig. Mir fällt auf, dass sich gerade viele Menschen, jetzt, da es Beschränkungen bei den öffentlichen Gottesdiensten gibt, schwertun, für sich eine gute Gebetspraxis zu finden. Es zeigt sich, dass für gar nicht wenige die Eucharistiefeier nicht nur Quelle und Höhepunkt des religiösen Lebens war, sondern deren einziger Ausdruck. Wenn es da aber nichts anderes gibt, dann hängt der Höhepunkt in der Luft. Es gilt, wieder ein Fundament des Glaubens zu schaffen, das trägt und prägt.
Um auf das Thema Zugangsbeschränkungen für Ämter zurückzukommen: Ich bin überzeugt, dass etwa die Frage nach der Freistellung des Zölibats die falsche ist. Die Kirche hat sich gerade dann erneuert, wenn etwas wieder von Neuem radikal gelebt wurde. Als das Mönchtum im Mittelalter in der Krise war, hat es die Kirche ja auch nicht abgeschafft. Im Gegenteil: Es wurden Orden gegründet, die die monastischen Ideale noch intensiver leben wollten.
Frage: Aber dennoch ist es für viele schmerzlich, dass die Kirche ihre Berufungen nicht zulässt…
Maas: Das Entscheidende ist meiner Meinung nach nicht, ob jemand ein Amt ausübt, sondern mit welcher Motivation er in der Nachfolge Jesu steht. Was ich damit sagen will: Als Priester stehe ich im Dienst der Verkündigung. Dadurch kann ich bei dem einen oder anderen sicher etwas anstoßen. Aber manchmal schäme mich fast, wenn ich sehe, wie gläubige Frauen oder Männer im alltäglichen Leben in der Familie oder durch unterschiedliche Aktionen viel besser verkündigen und Zeugnis geben als ich. Es gibt so viele Möglichkeiten, das Evangelium zu bezeugen. Das sollten wir viel mehr schätzen. Es ist falsch, das Thema Berufung nur auf Priester zu beschränken.
Frage: Was antworten Sie einer Frau, die Ihnen sagt, sie fühle sich zum katholischen Priestertum berufen?
Maas: Berufung ist nie nur rein subjektives Empfinden. Gerade für ein Amt in der Kirche braucht es auch deren Bestätigung. Und deshalb würde ich ihr sagen, dass das in der Kirche nicht möglich ist. Mir wäre es dann aber wichtig, mit ihr gemeinsam herauszuarbeiten, was sie am Priesteramt besonders anspricht und anschließend mit ihr zu schauen, wie sie das in der Nachfolge Jesu auf andere Weise verwirklichen kann. Dann muss ich es aber auch in Kauf nehmen, dass sie sagt, es tut ihr weh, dass sie keine Priesterin werden kann. Deshalb ist das für mich die schwierigere Frage als die nach dem Zölibat. Das Bild von der Frau hat sich in der Gesellschaft geändert. Da müssen wir uns natürlich auch als Kirche fragen, wie wir dem Rechnung tragen können. Ich sehe allerdings nicht, dass das mit der Priesterweihe von Frauen geschehen kann. Theologisch heißt es oft, es spräche nichts dagegen – ich sehe das etwas anders. Es gibt eine ganze Reihe Theologen – und Theologinnen! – die das nicht für möglich halten. Auch die Frage nach dem Diakonat der Frau müssten wir anders angehen, finde ich. In der frühen Kirche gab es die Diakonissen, deren Amt anders ausgestaltet war als das des Diakons. Vielleicht ließe sich mit so einem neu zu gestaltendem Amt dem Dienst der Frauen in der Kirche eine "Amtlichkeit" verleihen. Das könnte eventuell ein Lösungsweg sein. Alles andere führt meiner Meinung nach in eine Sackgasse und zu Enttäuschungen.
Frage: Wie würden Sie den Begriff "Berufung" definieren?
Maas: Gott legt von Anfang an in jeden Menschen etwas hinein. Und jeder wird durch seine eigene Lebensgeschichte noch einmal besonders geprägt. Für jeden gibt es die Aufgabe, etwas zum Aufbau des Reiches Gottes beizutragen, das Evangelium zu leben und zu verkünden. Das herauszufinden und zu entdecken ist letztlich Berufung. Dieser Prozess ist nie abgeschlossen, weil die Lebensgeschichte jedes Einzelnen immer weitergeht und er in jeder Lebensphase wieder vor einer neuen Frage steht.
Linktipp: Bischofskonferenz lädt zu 24-Stunden-Gebetsaktion für Berufungen
Berufungen von Priestern und Ordensleuten sind in Deutschland Mangelware. Die Deutsche Bischofskonferenz will das so nicht akzeptieren und ruft zu einer besonderen Gebetsaktion auf – die wegen Corona aber anders als geplant stattfindet.Frage: Wann haben Sie gespürt, dass Sie berufen sind?
Maas: Seit ich ungefähr 16 Jahre alt war, habe ich mich im Gottesdienst irgendwie angesprochen gefühlt, wenn etwa in Fürbitten um geistliche Berufungen gebetet wurde. Wenn ich zu Hause darüber nachgedacht habe, habe ich es aber wieder verworfen, weil ich den Verzicht auf die Ehe nicht eingehen wollte und weil ich mir vieles am Priesterberuf nicht zugetraut habe. So ging das immer wieder hin und her. Als wir uns in unserer Jugendgruppe beim Bibelteilen über die Berufung des Propheten Jeremia ausgetauscht haben, habe ich mich in ihm wiedererkannt. Jeremia hatte auch so viele Zweifel, als er zum Propheten berufen wurde. Aber Gott hat ihm zugesagt: Mit meiner Hilfe kannst du das. Da habe ich gemerkt, dass meine ganzen Ausreden nichts taugen, und gesagt: Jetzt muss ich es eben machen (lacht). Es hat mich dann aber nochmal viel Überwindung gekostet, das meinen Eltern und Freunden zu sagen.
Frage: Für den Rückgang von Berufungen in Deutschland gibt es sicher zahlreiche Gründe. Was ist in Ihren Augen der Hauptgrund?
Maas: Wie ich bereits erwähnt habe: das zurückgehende Glaubensleben. Deswegen finde ich es auch so schade, dass diese Thematik beim Synodalen Weg für mich bislang nicht wirklich erkennbar ist. Die Kirche muss doch zunächst sprachfähig sein und den Leuten erklären können, welchen Wert sie aus der christlichen Botschaft zieht. Erst dann kann man über alle anderen Fragen reden. Gleichzeitig müssen wir aber auch prüfen, wie wir innerhalb der Kirche über Ämter und Dienste sprechen. Im persönlichen Umfeld erleben die Gläubigen oft, wie wertvoll der Dienst der Priester und Seelsorger ist. Aber wenn jemand aus der eigenen Familie sagt, er oder sie könne sich vorstellen, so etwas zu machen, tun sich viele damit schwer. Da wäre ein Perspektivwechsel schon wünschenswert, dass wir dazu kommen, uns über die Berufung der jeweils anderen zu freuen.
Frage: Liegt es also auch an der Kirche, sich zu fragen, warum sich immer weniger Menschen für sie engagieren oder arbeiten wollen?
Maas: Nicht an "der Kirche" – das sind ja immer die anderen –, sondern an jedem Einzelnen in der Kirche. Entscheidend ist, wie wir Gläubigen miteinander umgehen und wie Ämter ausgeführt werden. Deshalb gibt es ja auch die Frage nach der Macht beim Synodalen Weg. Da sind alle gefordert, aber die Priester und alle, die Ämter in der Kirche innehaben, noch mehr. Wir müssen darauf schauen, wie wir eine geschwisterliche Kirche sein können.
Frage: Beten ist das eine, aber wird in den Pfarreien und Jugendverbänden genug dafür getan, dass sich junge Menschen für das Priesteramt interessieren?
Maas: Man kann natürlich immer mehr tun, das ist klar. Die Jugendpastoral kann sicher noch stärker die Frage aufgreifen, was Berufung meint. Da ist durch die Synode "Jugend, Glaube und Berufungsunterscheidung", die Papst Franziskus ausgerufen hatte, schon einiges in Bewegung gekommen. Bei der 24-Stunden-Aktion gibt es beispielsweise verschiedene Livestreams für junge Menschen. Ein Kaplan gibt unter dem Titel "Mit Gott auf der Couch" Impulse und Gedanken zum Thema Berufung. Bei einer Zoom-Konferenz werden einige von ihrer persönlichen Berufung erzählen. Und eine Jugendgruppe gestaltet einen Wortgottesdienst mit verschiedenen Statements zu diesem Thema. Da entwickelt sich vieles. Aber es ist falsch, das ganze Thema nur an der Jugendpastoral festzumachen, weil die ganze Kirche davon betroffen ist.
Frage: Was hilft neben Beten oder spirituellen Impulsen noch bei der Förderung von geistlichen Berufungen?
Maas: Natürlich geht es darum, welches Bild die Kirche als Ganzes von sich vermittelt. Aber jeder, der einen kirchlichen Beruf ausübt, hat sich auch zu fragen: Was tue ich, um meine eigene Berufung lebendig zu halten? Denn nur wer seine Berufung lebt, kann mit Hingabe junge Menschen auf ihrem Berufungsweg begleiten. Damit eine Berufung wach bleibt, muss sie gepflegt werden. Da helfen Exerzitien und Zeiten der Stille und der Austausch mit anderen, die sich ähnliche Fragen stellen. Vor allem hilft es auch, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. Wir verkündigen Jesus Christus und nicht uns selbst.
Frage: Woran liegt es, dass in anderen Teilen der Erde – nehmen wir etwa Asien oder Afrika – viel mehr junge Männer Priester werden?
Maas: Ich würde diese beiden Kontinente ungern als Vergleich hernehmen, weil die Lebenswelt dort eine völlig andere ist. Natürlich gibt es dort eine andere Gläubigkeit, aber da spielen vermutlich auch soziale Aufstiegschancen eine Rolle. Ich finde den Blick in die USA viel interessanter. Diese haben nicht nur nominell, sondern auch relativ gesehen eine viel größere Zahl von Priesterseminaristen. Das hat etwas damit zu tun, wie dort Berufungs- und Jugendpastoral geschieht. Diese legt einen großen Wert darauf, die Beziehung zu Christus zu stärken. Dementsprechend gibt es viele Angebote dazu. Da gibt es bei uns in Deutschland sicher noch Steigerungspotenzial. Wenn man US-Seminaristen fragt, warum sie Priester werden wollen, geben 90 Prozent an, sie hätten vorher Eucharistische Anbetung gehalten oder Rosenkranz gebetet. Das finde ich schon bemerkenswert. Ein anderer Punkt ist, dass dort Jugendliche selbst Gebetsformen gestalten und andere darin anleiten. Wer merkt, dass er dadurch jemanden erreicht, kann sich bestimmt viel eher einen kirchlichen Beruf vorstellen.
Frage: Woran messen Sie den Erfolg des Gebetstags?
Maas: Die reinen Zahlen sind für uns gar nicht entscheidend. Es kommt für uns darauf an, was sich im Einzelnen tut. Zudem ist es für uns dieses Jahr gar nicht so leicht nachzuvollziehen, wer aller dabei ist: Bei einem Gebet in der Kirche ist es leichter, sich irgendwo einzutragen, als wenn man privat für sich betet. Wir haben aufgrund der besonderen Situation dieses Jahr zum ersten Mal um Livestreams gebeten. Und da gibt es trotz der kurzen Vorbereitungszeit viele Angebote, auch für junge Leute. Das sind ganz neue Formate und gute Gelegenheiten, sich mit der Frage der eigenen Berufung auseinanderzusetzen. Allein das werte ich schon als Erfolg. Vielleicht motiviert das ja auch weitere Gemeinden oder Verbände, dabei mal mitzumachen.