Rechte für Homosexuelle – kein "antichristliches Credo"
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Was ist beim Konzilstheologen Joseph Ratzinger eigentlich aus dem Anfang von Gaudium et Spes geworden? "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi", beginnt die Pastoralkonstitution des Zweiten Vatikanums. In diesem Anfangssatz steckt das Programm einer zugewandten Theologie: Sensibel für das Leiden von Menschen, empathisch am Konkreten lernen. In Peter Seewalds Biographie-Band beklagt der emeritierte Papst dagegen eine "weltweite Diktatur von scheinbar humanistischen Ideologien" als Bedrohung der Kirche, die "moderne Gesellschaft" sei dabei, ein "antichristliches Credo zu formulieren", wer dem widerspreche, sei mit gesellschaftlicher Exkommunikation bedroht. Ausgangspunkt solcher Kritik ist die eigene Befindlichkeit, die mit Widerspruch nicht umgehen kann, statt das Leben der Menschen, um die es geht.
Das erste Beispiel Ratzingers dafür ist – noch vor Abtreibung und der Produktion von Menschen im Labor – wieder einmal der gewandelte Umgang mit Homosexualität. Noch vor 100 Jahren hätten es alle absurd gefunden, von Homo-Ehe zu sprechen, gibt der vormalige Papst zu Protokoll – als sei das ein Argument und nicht bloßer Relativismus, der den Zeitgeist einer vergangenen Epoche verklärt: Zum Glück ist nicht alles Konsens, was es noch vor 100 Jahren war.
Dass es heute zumindest in manchen Teilen der Welt immer schwieriger wird, die Liebe zwischen Menschen gleichen Geschlechts als unnatürlich oder unmoralisch zu diffamieren, ist ein gesellschaftlicher Wandel, der nichts mit einem angeblichen "antichristlichen Credo" oder einer ideologischen "weltweiten Diktatur" zu tun hat, zumal es immer noch leider auch von manchen Christen betriebene gesellschaftliche und staatliche Verfolgung und Unterdrückung von Homosexuellen gibt. Es hängt mit einer Haltung zusammen, die sich die Kirche eigentlich mit Gaudium et Spes auf die Fahnen geschrieben hat, auch wenn sie mit Blick auf ihren Umgang mit Homosexualität immer noch darin versagt: Sich der Hoffnung und Trauer der Menschen anzunehmen. Der Blick auf den konkreten Menschen führt zu gesellschaftlichem Wandel, keine finsteren Kräfte. Dazu braucht es keine -ismen, Diktaturen, Ideologien: Wer solche Verschwörungsmythen behauptet, verstellt den Blick auf die Realität, anstatt sich ihr zu stellen. Bedroht wird die Kirche nicht, wenn sie etwas aus dem Leben der Menschen lernt, sondern wenn sie nicht bereit ist, zu lernen.