Kirchen gedenken des Weltkriegsendes: "Ja, wir sind schuldig geworden"
Mit einem Aufruf zum Engagement für den Frieden haben die Kirchen am Freitag in der Hauptstadt des Kriegsendes vor 75 Jahren gedacht. Im Berliner Dom wandten sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, und der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, gegen Forderungen nach einem Schlussstrich unter das Gedenken. Bätzing erinnerte an die 50 Millionen Tote allein in Europa, vor allem an die "Millionen Menschen, die in den Konzentrations- und Vernichtungslagern der Nationalsozialisten ermordet worden waren: Juden, Sinti und Roma, politische Gegner". Es sei "ein totaler moralischer Bankrott Deutschlands" gewesen.
Bedford-Strohm hob die bleibende deutsche Verantwortung für den Krieg hervor. "Gegen das Vergessen und gegen alle Relativierung sagen wir: Ja, wir sind schuldig geworden. Wir haben ganz Europa und weite Teile der Welt ins Elend gestürzt." Die Schuld habe aber nicht zu ewiger Verwerfung geführt, so der EKD-Ratsvorsitzende weiter. "Unsere ehemaligen Feinde sind wieder auf uns zugegangen. Sie sind uns zu Freunden geworden", sagte der bayerische Landesbischof. So dankte er, "dass manche unserer jüdischen Geschwister geblieben, viele zurückgekommen sind in das Land, das ihnen so Unfassbares angetan hat. Und die Hand der Versöhnung ausgestreckt haben." Er forderte: "Nie mehr werden wir zulassen, dass sich der Ungeist wieder ausbreitet, aus dem millionenfacher Mord entstanden ist."
Bätzing betonte, Friede lasse sich "nicht einfach herbeiorganisieren". Er brauche Menschen, "die eine Hoffnung in sich tragen, weil sie überzeugt sind, nicht allein zu sein, sondern dass Gott selbst, sein Geist, sie begleitet". Sie seien heute herausgefordert durch die Kriege in Syrien und anderen Ländern des Nahen Ostens, in der Ukraine sowie "die Toten im Mittelmeer". Auch der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK), der griechisch-orthodoxe Erzpriester Radu Constantin Miron, rief dazu auf, "dem Hass zu widerstehen und für Gerechtigkeit und Versöhnung einzutreten". An dem TV-Gottesdienst beteiligte sich auch die Kantorin Avitall Gerstetter von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin mit einer Lesung aus der Bibel sowie einem hebräischen Gottesdienstgesang. Wegen der Corona-Pandemie fand der Feier ohne Gemeindeteilnehmer statt. Am Mittag fand in Berlin die zentrale Gedenkzeremonie mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier statt.
Deutsche Bischöfe gedenken des Weltkriegsendes
In ganz Deutschland gedachten Kirchenvertreter am Freitag des Weltkriegsendes. Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki rief die Deutschen auf, ihre "besondere Verantwortung für Frieden und Völkerverständigung" nie zu vergessen. "#niewiederkrieg", schrieb der Erzbischof auf Twitter. "Dankbar denke ich heute an die 75 Friedensjahre, die uns geschenkt worden sind und bete zugleich für die zahllosen Opfer der NS-Gewaltherrschaft." Auch Hamburgs Erzbischof Stefan Heße rief aus Anlass des Jahrestags zu Frieden und Solidarität auf. Der Krieg sei für die heutige Gesellschaft immer noch ein starker Bezugspunkt, sagte er in einem auf Facebook übertragenen Videogottesdienst aus seiner Hauskapelle. "Das Gedenken an die Ermordeten und Gefallenen, an die Verwundeten und Traumatisierten, an die Vertriebenen und Leidenden vergeht nicht - egal in welcher Zeit und in welcher Situation wir uns als Gesellschaft befinden", erklärte Heße.
Die Dresdner Bischöfe Heinrich Timmerevers und Tobias Bilz mahnten zum Gedenken der Opfer und riefen zum Widerstand gegen die Ursachen von Gewalt auf. "Die Verantwortung für die Erinnerung bleibt", betonen der Bischof des Bistums Dresden-Meißen und der evangelische Landesbischof in einer gemeinsamen Erklärung. Dazu dienten Gedenkstätten und Museen, Literatur und bildende Kunst sowie vielfältige kirchliche Initiativen. Erforderlich seien auch neue Formen der Vergegenwärtigung vergangenen Leides. "Die Geschichte zeigt, dass Frieden beständige Erinnerungsarbeit bedeutet." Der Fuldaer Bischof Michael Gerber rief zu Zusammenhalt in Europa auf. "Die großen Herausforderungen unserer Zeit lassen sich nur in einem partnerschaftlichen und friedvollen Miteinander lösen", sagte Gerber. Deutschland und Europa müssten in diesem Punkt klare Botschaften setzen. Die in Europa nach zwei Weltkriegen gewachsene Freundschaft und Versöhnung nannte Gerber ein kostbares Gut, das es gegen wachsende Nationalismen zu verteidigen gelte. "Als Deutsche stehen wir mit unserer Geschichte in einer besonderen und dauerhaften Verantwortung, uns einzusetzen für die Würde des Menschen und damit für Frieden und Freiheit", betonte der Bischof. Zuvor hatten sich bereits die Bischöfe Kohlgraf, Marx und Koch geäußert.
Am 7. Mai 1945 um 2.41 Uhr unterschrieben Vertreter der Wehrmacht im Alliierten-Hauptquartier im französischen Reims die bedingungslose Kapitulation Deutschlands; auf Geheiß von Sowjetherrscher Josef Stalin wurde die Zeremonie in Berlin noch einmal wiederholt. Ab der Nacht vom 8. auf den 9. Mai schwiegen die Waffen. Der von Adolf Hitler entfesselte Zweite Weltkrieg forderte Schätzungen zufolge mindestens 50 Millionen Menschenleben. Das NS-Regime ermordete zudem Millionen europäische Juden. In den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten starben überdies auch Angehörige anderer Minderheiten wie Sinti und Roma oder Homosexuelle. Durch die von 1939 bis 1945 andauernden Kämpfe verloren unzählige Menschen ihre Heimat. Die DBK hatte sich Ende April in einem historischen Schritt zu einer Mitschuld der katholischen Bischöfe Deutschlands am Zweiten Weltkrieg bekannt. (tmg/KNA)