Konfessionsschulen: Ein staatliches Bekenntnis?
Wie jeden Tag betritt die Klassenlehrerin der 3b an diesem Morgen um 8.10 Uhr das Klassenzimmer und begrüßt die Schüler. Kurz darauf steht die gesamte Klasse auf und wendet sich dem Kreuz an der Wand zu. Mit der Lehrerin schlagen alle das Kreuzzeichen und beginnen den Tag mit einem Gebet.
Diese kleine Szene spielt nicht etwa an einer katholischen Klosterschule, sondern an einer ausschließlich vom Staat getragenen und finanzierten Grundschule, in der aber dennoch nach Grundsätzen des Katholizismus unterrichtet wird – eine umstrittene Kombination. Es geht um die sogenannten Bekenntnis- oder Konfessionsschulen. Erst kürzlich wurde in drei Grundschulen im nordrhein-westfälischen Telgte abgestimmt, ob sie katholisch bleiben sollen oder nicht. Zwei der drei Schulen werden bald überkonfessionell sein. Damit verschwinden zwei Vertreter einer Ausnahmeerscheinung, die es nur in einem kleinen Teil Niedersachsens und in Nordrhein-Westfalen heute noch gibt.
Das war nicht immer so. Seit dem Mittelalter lag das Bildungswesen in den Händen der Kirche: In Kloster-, Dom- und Pfarrschulen wurde jahrhundertelang unter kirchlicher Aufsicht gelehrt und gelernt. Zwar entstanden ab dem 11. Jahrhundert zudem städtische Schulen, doch auch dort hatte die Kirche das Sagen. Diese Grundkonstellation änderte sich erst mit der Reformation, durch die zahlreiche Klosterschulen aufgelöst und deren Aufgaben an den Staat delegiert wurden. Im Zuge der Aufklärung beanspruchte der Staat dann mehr und mehr die Verantwortung und Weisungsbefugnis über die Bildungsvermittlung für sich, prominent festgehalten im preußischen Landrecht von 1794 forderte er auch etwa die Kontrolle über privat betriebene Schulen, unter anderem auch kirchliche.
Die Kirche hat einen "Fuß in der Tür"
Bis zum Ersten Weltkrieg hatte die Kirche allerdings im Hinblick auf Schulen immer noch "einen Fuß in der Tür", denn die meisten Schulen waren konfessionell ausgerichtet und die Kirche durfte mitbestimmen. Erst durch die Weimarer Verfassung gewann der Staat das vollständige Bestimmungsrecht über die Schulen und es entstand die überkonfessionelle Gemeinschaftsschule als der neue Regelfall; konfessionelle Schulen waren aber auf Wunsch der Eltern möglich. Im Nationalsozialismus unterband der Staat die Arbeit konfessioneller Schulen. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in einigen Bundesländern wieder Konfessionsschulen, fast alle Bundesländer schafften sie jedoch in den 1960er Jahren ab: Die konfessionelle Bindung der Menschen hatte abgenommen und die Bevölkerung durchmischte sich in konfessioneller Hinsicht immer mehr. Zwar gab es überall Proteste, doch selbst das als sehr katholisch geltende Bundesland Bayern schaffte 1968 die Bekenntnisschule ab.
Neben Niedersachsen gibt es Konfessionsschulen heute landesweit noch in Nordrhein-Westfalen, knapp jede dritte der 2781 Grundschulen ist hier evangelisch (88) oder katholisch (808). Das Bekenntnis in der Schule hat zwischen Rhein und Lippe sogar Verfassungsrang: "Grundschulen sind Gemeinschaftsschulen, Bekenntnisschulen oder Weltanschauungsschulen", heißt es in der Landesverfassung. (Art. 12, Abs. 2) Die Regel ist allerdings die Gemeinschaftsgrundschule.
Staatlich verantwortete Konfessionsvermittlung? Das halten Manche für nicht mehr zeitgemäß. Schließlich sei der Staat weltanschaulich neutral. Die Kirchen halten dagegen, dass das Grundgesetz (Art. 7, Abs. 5) private Grundschulen nur im Ausnahmefall zulässt – sowohl bei Kindergärten wie auch bei weiterführenden Schulen könnten dagegen private Träger Einrichtungen gründen. Nur bei Grundschulen das Bekenntnis außen vor zu lassen, erscheint den Kirchen nicht nachvollziehbar – und gegen die freie Religionsausübung gerichtet. Schließlich komme es auf den Elternwunsch an.
Der Wunsch der Eltern ist entscheidend
Dieser ist bei der Schulart tatsächlich entscheidend: Wenn die Eltern einer Schule möchten, können sie aus einer Konfessions- eine Gemeinschaftsgrundschule machen. Nötig dafür ist die Zustimmung der Mehrheit aller Eltern – Enthaltungen werden als Gegenstimmen gewertet. Für diese Umwandlungen wirbt die Initiative "Kurze Beine – kurze Wege". Der Name verrät schon ein Argument der Kritiker: Die Aufnahmebedingungen der Konfessionsschulen. Denn während die Annahme an einer Gemeinschaftsgrundschule von Wohnortnähe, Geschwisterkindern auf der Schule oder dem gleichen Schulbesuch wie Kindergartenfreunde abhängt, zählt an der Bekenntnisschule zu allererst die Konfession: Katholiken vor, ist das Motto. Wenn es etwa durch ein Neubaugebiet viele Anmeldungen an einer Schule gibt, führt das durchaus dazu, dass evangelische Kinder nicht auf die Grundschule direkt gegenüber gehen dürfen, weil die Klassen schon mit Katholiken voll werden. "Das ist ganz schwer zu ertragen, kommt aber immer wieder vor", beschreibt Max Ehlers von der Initiative das Problem. Wobei er zugibt: Dieser Fall ist kein Massenphänomen. Darauf zielt auch Andrea Gersch ab. Die Erzbischöfliche Schulrätin im Erzbistum Köln sagt, dass es in der gesamten Diözese keine Schule gebe, die ausschließlich von katholischen Kindern besucht wird. Dass Kinder wegen der Regelung einen längeren Schulweg hätten, komme vor, sei aber nicht die Regel und je nach Ort unterschiedlich. Der Normalfall sei eher, dass es an katholischen Grundschulen nicht nur katholische Kinder gebe. Wenn die Eltern wünschen, dass ihre Kinder im katholischen Bekenntnis unterrichtet und erzogen werden, steht auch Nicht-Katholiken die Konfessionsschule offen – so will es das nordrhein-westfälische Schulgesetz.
Das Bekenntnis als Voraussetzung gilt nicht nur für die Schüler, sondern auch für das Kollegium und die Schulleitung. Bei den Lehrkräften wurde die Regelung in den letzten Jahrzehnten eher liberal gehandhabt; wer eine katholische Grundschule leiten will, muss aber weiterhin unbedingt katholisch sein. An Bekenntnisschulen sind immer wieder Direktorenposten nicht besetzt, Kritiker führen das auf die Bekenntnisregelung zurück. Was allerdings auch stimmt: Probleme, eine Schulleitung zu finden, haben viele Grundschulen – das liegt unter anderem am extrem hohen zusätzlichen Arbeitsaufwand sowie der nur geringen Lohnerhöhung, die Leitungskräfte bekommen. Das verdirbt vielen Interessierten die Lust auf den Posten.
Homogenes lernen
Wofür die ganzen Zugangsbeschränkungen? Konfessionsschulen wollen ein Umfeld schaffen, in dem alle an der Erziehung beteiligten am gleichen Strang ziehen: Katholische Kinder mit katholischen Eltern werden von katholischen Lehrern im katholischen Sinne erzogen. Das soll eine Erziehung garantieren, die sich an den Grundsätzen der Kirche orientiert und den Kindern in einer pluralen Welt Orientierung gibt.
Zudem bleibe der Glaube laut Befürwortern an katholischen Bekenntnisschulen nicht auf den Religionsunterricht begrenzt: Das morgendliche Gebet, die Feier religiöser Feste wie Weihnachten oder Sankt Martin, die Thematisierung existenzieller Fragen von Leben und Tod in jedem Unterrichtsfach gehören dazu. Für Gersch ist dieses ganzheitliche Konzept Teil der Religionsfreiheit: "Nur an einer Bekenntnisschule ist das Recht garantiert, ein christliches Bekenntnis zu leben. Hier kann aus einer Adventfeier nicht durch eine Mehrheitsentscheidung nicht eine Jahres-Abschluss-Feier gemacht werden", sagt sie. "Den religiösen Festen kann ihren Platz hier niemand streitig machen."
Kritiker führen dagegen an, dass sich der Schulalltag an Bekenntnis- und Gemeinschaftsgrundschulen oft kaum unterscheide, schließlich seien Gemeinschaftsgrundschulen überkonfessionell, nicht konfessionslos. Ehlers gibt zu bedenken, dass Bekenntnisschulen keineswegs homogen seien, sondern oft nur etwa zur Hälfte von Kindern des Bekenntnisses besucht würden. Er bezweifelt die konfessionelle Prägung des gesamten Schullebens: "Sport ist Sport, Mathe ist Mathe. Da kann man vielleicht mal eine Bibelgeschichte einbauen, in der Praxis spielt das aber keine so große Rolle." Auch das gemeinsame Gebet sei bei einer pluralen Schülerschaft schwer, schließlich dürfe dazu ja kein Kind gezwungen werden, wenn es etwa konfessionslos sei.
Bis heute beliebt
Trotz Kritikpunkten sind Konfessionsschulen bis heute bei Eltern sehr beliebt; Abstimmungen zu deren Umwandlung scheitern immer wieder. Das könnte neben der in manchen Regionen immer noch starken konfessionellen Verwurzelung der Menschen nicht zuletzt auch daran liegen, dass sich Eltern von Konfessionsschulen ein behüteteres Umfeld versprechen als von Gemeinschaftsgrundschulen, denn der Anteil von Kindern aus muslimisch oder migrantisch geprägten Elternhäusern ist etwa an katholischen Schulen geringer. Gersch betont aber: Eine Bekenntnisschule sei selbstverständlich offen für Menschen mit Migrationshintergrund. Sollte es Eltern geben, die meinen, an dieser Schulart weniger Kinder mit Migrationshintergrund anzutreffen, sei dies nicht im Sinne der katholischen und damit im Wortsinn allumfassenden Ausrichtung einer Konfessionsschule. "Denn sie wollen sich für eine gelingende Integration und ein gutes Miteinander einsetzen."
Dass die Bekenntnisschule in naher Zukunft verschwindet, ist unwahrscheinlich. Um die Verfassung zu ändern, müssten zwei Drittel der Landtagsabgeordneten dafür votieren – danach sieht es derzeit nicht aus. Für Kritiker ein Anachronismus, für Befürworter ein Teil der Religionsfreiheit, wird die Bekenntnisschule weiter Lebensläufe prägen – und sicher auch in Zukunft für Diskussionsstoff sorgen.