"Demarkationslinie der Vernunft überschritten"

Garhammer: Kardinal Müller in offener Gegnerschaft zu Franziskus

Veröffentlicht am 19.05.2020 um 11:34 Uhr – Lesedauer: 

Würzburg ‐ Früher war Kardinal Müller einer der wichtigsten Männer im Vatikan – heute unterzeichnet er Petitionen in Opposition zum Papst. Für den Pastoraltheologen Erich Garhammer hat er damit eine Grenze überschritten.

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Der emeritierte Würzburger Pastoraltheologe Erich Garhammer hat Kardinal Gerhard Ludwig Müller aufgrund dessen Unterzeichnung der Erklärung "Veritas liberabit vos" scharf kritisiert. Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation habe damit "die Demarkationslinie der Vernunft überschritten", heißt es in einer am Dienstag im "Münsteraner Forum für Theologie und Kirche" veröffentlichten Erklärung. Der von dem ehemaligen Nuntius Carlo Maria Viganò verfasste Text sei "nicht nur geprägt von apokalyptischer Sprache, sondern auch von unbegründetem Alarmismus und irrationalen Verdächtigungen". Der Kardinal füge damit der Kirche "immensen Schaden" zu, da der von ihm unterzeichnete Text "in Teilen der Öffentlichkeit seine Position als offizielle Stellungnahme der Kirche" wahrgenommen werde.

Garhammer sieht Müller seit dem Ende seiner Amtszeit als Präfekt der Glaubenskongregation, nach der er von Papst Franziskus nicht erneut berufen wurde, in "mehr oder weniger offener Gegnerschaft" zum Papst. Der Aufruf Viganòs versuche, "die Anweisungen von Papst Franziskus zur Gottesdienstfrage in der Corona-Krise zu desavouieren". In den vergangenen Wochen hatte Papst Franziskus zwar die Einschränkungen für das gottesdienstliche Leben bedauert, jedoch stets auf eine Einhaltung der staatlichen Vorschriften gepocht, um das Infektionsgeschehen einzudämmen.

"Neue Weltordnung" und "freimaurerisches Denken"

Die anlässlich der Einschränkungen für die Ausübung der Religionsfreiheit und anderer Grundrechte angesichts der Corona-Pandemie verfasste Erklärung Viganòs behauptet Bestrebungen zur "Schaffung einer Weltregierung", befürchtet "Einmischung fremder Mächte" und sieht eine "Politik der drastischen Bevölkerungsreduzierung" am Werk. Auf wen sich diese Anschuldigungen beziehen, geht aus der Petition selbst nicht hervor; Viganò selbst sprach in einer auf der Webseite der Initiative veröffentlichten Erklärung am vergangenen Freitag von einer "Neuen Weltordnung" und einer "relativistischen Ideologie des freimaurerischen Denkens".

Müller selbst ist bislang auf die inhaltliche Kritik an dem Schreiben und seiner Unterschrift nicht eingegangen, hat allerding in mehreren Interviews und Stellungnahmen die Kritik zurückgewiesen. Der Text werde "bewusst missverstanden". Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing sowie weitere deutsche Bischöfe hatten sich deutlich von den Behauptungen des Papiers distanziert.

Erich Garhammer war von 2000 bis 2017 Professor für Pastoraltheologie und Homiletik an der Universität Würzburg. 2011 gehörte er zu den Unterzeichnern des Memorandums "Kirche 2011: Ein notwendiger Aufbruch", in dem mehr als 300 Theologen mehr Beteiligung und eine bessere Rechtskultur in der Kirche einforderten. (fxn)