Zurückgetretener BDKJ-Vorsitzender zieht im Interview Bilanz

Andonie: Nur "der Form halber" wollte ich nicht Vorsitzender bleiben

Veröffentlicht am 20.05.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Düsseldorf ‐ Für die Öffentlichkeit kam der Schritt überraschend: Am Montag trat Thomas Andonie nach drei Jahren als Bundesvorsitzender des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) zurück. Im Interview spricht er über die Gründe seines Abgangs. Außerdem zieht er eine Bilanz seiner Amtszeit.

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Noch vor der wegen der Corona-Pandemie auf Juli verschobenen Hauptversammlung des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) ist Thomas Andonie am Montag nach drei Jahren vorzeitig als Vorsitzender des kirchlichen Jugenddachverbands zurückgetreten. Im Interview mit katholisch.de erläutert der 29-Jährige die Hintergründe seines Abgangs. Außerdem spricht er über Erfolge und Versäumnisse seiner Amtszeit, seinen persönlichen Höhepunkt in den vergangenen drei Jahren, den Stand der Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals und seine persönliche Zukunft in der katholischen Kirche.

Frage: Herr Andonie, Sie sind am Montag überraschend als Bundesvorsitzender des BDKJ zurückgetreten. Was waren die Gründe für Ihren Rücktritt?

Andonie: Für den BDKJ und seine Jugendverbände war mein Rücktritt nicht so überraschend. Die Verantwortlichen und Delegierten sind seit längerem informiert gewesen. Der reguläre Turnus meiner Amtszeit wäre am ursprünglichen Termin der Hauptversammlung in der vergangenen Woche zu Ende gegangen. Ich bin derzeit gesundheitlich angeschlagen und werde bis Juli voraussichtlich nicht mehr tätig werden können. Und "der Form halber" bekleide ich ungern Ämter und Funktionen. Ich beende nach 15 Jahren nun aus persönlichen Gründen meine aktive Zeit in der Jugendverbandsarbeit. Nach einer so spannenden und aktiven Zeit ist mir die Entscheidung wirklich nicht leichtgefallen.

Frage: Welche Bilanz Ihrer Tätigkeit als BDKJ-Bundesvorsitzender ziehen Sie persönlich?

Andonie: Ich bin 2017 als Bundesvorsitzender mit dem hohen Ziel angetreten, in Kirche, Gesellschaft und Staat Freiräume für junge Menschen zu schaffen, die junge Menschen selbst gestalten können. Für meine Tätigkeit, vor allem im kirchlichen Bereich, kann ich sehr zufrieden auf meine Amtszeit zurückblicken. Neben der "Post an den Papst" mit den direkten Anliegen junger Menschen an ihre Kirche, die Papst Franziskus persönlich erhalten hat, ist die Verankerung der Jugendbeteiligung beim Synodalen Weg mit den 15 zusätzlichen Plätzen für junge Menschen unter 30 Jahren ein Erfolg. Auch bei der 72-Stunden-Aktion 2019 konnten junge Menschen in 3.400 Projekten ihrer Kreativität und ihrem Tatendrang freien Lauf lassen und mit ihren Vorstellungen und Ideen die Welt ein Stückchen besser machen. Viel bewegen konnten wir als BDKJ zudem während der Jugendsynode 2018 in Rom, wo ich als einziger deutschsprachiger Auditor die Anliegen junger Menschen eingebracht habe. Natürlich gab es Hochs und Tiefs, das gehört dazu. Ich konnte in den letzten drei Jahren viel lernen, sehr viel bewegen, tolle Menschen auf der ganzen Welt kennenlernen und wichtige Prozesse auf den Weg bringen. Dabei konnte ich immer auf starke Unterstützung im Verband zählen. Dazu gehört die anstrengende, aber notwendige und qualifizierende Diskussion und Beschlussfassung über die Ziele und Umsetzung, damit wir gemeinsam im BDKJ gestalten. Die gemeinsame Auseinandersetzung und der Austausch auf Augenhöhe schaffen Perspektiven, kreieren Ideen und geben Weitblick statt Tunnelblick. Auch wenn die Schlagzahl für den Verband mit den vielen großen Themen nicht ohne war: Nur gemeinsam als Verband waren die Erfolge möglich. Es erfüllt mich mit Freude und ein wenig mit Stolz, jetzt auf die vergangenen drei Jahre zurückzublicken. Der BDKJ mit seinen Jugendverbänden ist die Struktur in der Kirche, in der Jugend sich selbst verantwortet, leitet und Anliegen in Gesellschaft, Kirche und Staat formuliert, einbringt und vertritt. Es ist gut zu wissen, dass im BDKJ die Themen junger Menschen weiter gut aufgehoben sind.

Papst Franziskus und Thomas Andonie geben einenander die Hand.
Bild: ©Vatican Media

Als Auditor nahm Thomas Andonie an der Jugendsynode 2018 im Vatikan teil. Dabei traf er auch mit Papst Franziskus zusammen.

Frage: Was war für Sie der Höhepunkt Ihrer Tätigkeit in den vergangenen drei Jahren?

Andonie: Wenn ich mich für einen Höhepunkt entscheiden muss, ist die 72-Stunden-Aktion mein absolutes Highlight. Wer in diesen drei Tagen in Deutschland und weltweit unterwegs war und sehen durfte, wie junge Menschen die Welt ganz konkret vor Ort ein Stückchen besser machen, versteht das. Es ist einfach unbeschreiblich, wie 160.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene dem Glauben gleichzeitig Hand und Fuß geben und ihr unbezahlbares, tagtägliches Engagement sichtbar wird. Hier konnte ich spüren, dass die langjährige Vorbereitung im BDKJ und seinen Strukturen jede Mühe wert gewesen ist – das war einfach unbeschreiblich. Es erfüllt mich mit großer Dankbarkeit, was vor allem in den Diözesen und Regionalstrukturen deutschlandweit geleistet wurde. An dieser Stelle möchte ich auch den Partnerinnen und Partnern auf Bundesebene und unterstützenden kirchlichen Jugendämtern danken. Jugendarbeit ist Teamsport – das durfte ich in den drei Tagen damals und die ganzen drei Jahre über unzählige Male erleben. Zu den Höhepunkten meiner Amtszeit gehören definitiv auch zwei Preise für den BDKJ: Einmal der Bambi für alle Engagierten der 72-Stunden-Aktion und der Preis für die Freiheit in der Kirche der Herbert-Haag-Stiftung in Luzern, mit dem das herausragende Engagement der katholischen Jugendverbandsarbeit in Deutschland ausgezeichnet wurde.

Frage: Was bedauern Sie? Was haben Sie nicht erreicht?

Andonie: Auf der Hauptversammlung 2019 hat der BDKJ seine Friedenspolitik neu ausgerichtet. In unfriedlichen Zeiten, in denen friedensstiftende und friedenserhaltende Institutionen wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union in Frage gestellt werden und die internationale Politik von Eskalation geprägt wird, ist es den Jugendverbänden ein Anliegen, für eine friedliche Welt ein Zeichen zu setzen. Alle jungen Menschen brauchen die Chance, sich zu entfalten und zu entwickeln. Es gab gute Gespräche in Berlin zur Planung eines friedenspolitischen Formats. Leider war dies aufgrund der Fülle der Themen im vergangegen Jahr nicht mehr realisierbar und ist auf absehbare Zeit wegen der Corona-Pandemie auch nicht umsetzbar. Auch wenn viele andere Projekte und Maßnahmen gut liefen, bedauere ich das sehr.

Frage: Eine wichtige Rolle während Ihrer Amtszeit hat die weitere Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals gespielt – in Deutschland und auch auf weltkirchlicher Ebene. Wie bewerten Sie den aktuellen Stand der Aufarbeitung? Was muss aus Ihrer Sicht besser gemacht werden?

Andonie: Zuerst muss man anerkennen, dass das Thema in der weltkirchlichen Agenda angekommen ist. Wichtig ist, dass alle Verantwortlichen in der Kirche weltweit nun die Notwendigkeit und Brisanz des Themas wahrnehmen – und konsequent die Ursachen und strukturellen Bedingungen bekämpfen, die sexualisierte Gewalt begünstigen. Es geht in dieser Frage nicht nur um die Glaubwürdigkeit der Kirche als Institution, sondern auch darum, als Kirche überhaupt in der Lage zu sein, unserem Auftrag gerecht zu werden: Die Frohe Botschaft in die Welt zu tragen. Mit Blick auf die Situation der Kirche in Deutschland sehe ich ebenfalls vielversprechende Fortschritte. Wichtig ist, auf Basis der Ergebnisse der MHG-Studie weiterzuarbeiten: es braucht objektive und einheitliche Standards, ein gemeinsames Vorgehen der Bischöfe und die Betroffenen müssen angemessen einbezogen werden. Auch muss Macht geteilt werden – an Entscheidungen müssen Laien, beispielsweise aus den Diözesanräten, beteiligt werden. Mit dem Synodalen Weg gibt es auch einen Prozess, der sich mit den Strukturen befasst. Die systemischen Bedingungen, die sexualisierte Gewalt in der Kirche ermöglichen, sind zu identifizieren und konsequent anzugehen. Auch Kirche findet auf dem Weg durch die Zeit eine tiefere Wahrheit und muss aus dieser Erkenntnis lernen. Kirche ist immer ein Teil der Welt und muss für die Verkündigung der Botschaft auch in dieser Welt wachsen. Wir können nicht alles dem lieben Gott in die Schuhe schieben. Die Kirche als Struktur ist menschen- und nicht gottgemacht. Daher ist über Macht und Gewaltenteilung, Gleichstellung der Geschlechter sowie standardisierte Verfahren ehrlich und mit Blick auf das Evangelium zu diskutieren – als Volk Gottes auf Augenhöhe.

72-Stunden-Aktion des BDKJ
Bild: ©BDKJ

Für Thomas Andonie einer der Höhepunkte seiner Amtszeit als BDKJ-Vorsitzender: Die 72-Stunden-Aktion im Mai 2019.

Frage: Allgemein gefragt: Der BDKJ setzt sich lange schon für umfassende Reformen in der katholischen Kirche ein – geändert hat sich bei zentralen Themen wie der Rolle der Frau oder dem Zölibat bislang aber wenig bis gar nichts. Wie sehr hat Sie das in Ihrem Amt zermürbt?

Andonie: Zermürbt? Ganz und gar nicht. Beim Synodalen Weg werden in der Kirche in Deutschland endlich exakt die zentralen Themen wie Gewaltenteilung und Zugang zu Weiheämtern offen und ehrlich diskutiert, die der BDKJ schon vor einem Vierteljahrhundert identifiziert hat. Zugegeben, der zeitliche Abstand ist natürlich ernüchternd. Aber es ist eine Zukunftsfrage für eine glaubwürdige Kirche, die mittlerweile auch in der Kirchenleitung angekommen ist. Durch meine Tätigkeit konnte ich viele Menschen, Organisationen und Aktive erleben, die unsere Vision einer gerechten Kirche teilen. Ich habe vor der Jugendsynode einen regelmäßigen Austausch mit Jugendorganisationen im deutschsprachigen Raum initiiert, der jetzt jährlich stattfindet und sich mit diesen Themen beschäftigt. Durch die Synode und deren Vor- und Nachbereitungsformate habe ich auch erfahren können, wie aufwendig es ist, eine weltweite Glaubensgemeinschaft zu entwickeln und Fortschritte partizipativ umzusetzen. In zentralen Punkten ist deutlich, dass viele junge Gläubige eben auch den Wunsch nach einer gerechteren Kirche haben. Es ist ein langer Weg mit vielen Schritten, an dem der BDKJ oft treibende Kraft ist und sicherlich bleiben wird. Ich freue mich, einige Schritte auf dem Weg mitgegangen zu sein.

Frage: Werden Sie sich auch künftig in der Kirche engagieren? Und bleiben Sie trotz Ihres Rücktritts als BDKJ-Vorsitzender Mitglied der Synodalversammlung des Synodalen Wegs?

Andonie: Ich freue mich nach 15 Jahren Leitung und einer sehr spannenden Zeit aus der aktiven Jugendverbandsarbeit zu gehen. Jugend leitet sich selbst und spricht für sich selbst – das war für mein Tun stets zentral. Daher ist der Abschied für mich persönlich nach reiflicher Überlegung dieses Jahr zeitlich stimmig. In der Kirche werde ich mich weiter engagieren. Gemeinschaft lebt – im Jugendverband wie auch an allen anderen Orten von Kirche – durch aktive Teilnahme. Ich freue mich, in meinem "Heimatverband" bei der Kolpingjugend und im Kolpingwerk noch ein wenig wirken zu können und freue mich in Bayern wieder auf das Gemeindeleben vor Ort. In der Synodalversammlung dagegen muss der BDKJ-Bundesvorsitzende den Platz wahrnehmen. Schließlich ist er – oder sie – gewählte Vertretung junger Menschen und muss dort sprechen. Schön ist, dass der Synodale Weg auf breite Beteiligung angelegt ist und für alle interessierten Gläubigen die Möglichkeit bietet, sich mit ihren Anliegen einzubringen wenn sie dies wollen.

Von Steffen Zimmermann

Zur Person

Thomas Andonie (*1990) war bis zum 18. Mai 2020 drei Jahre lang als hauptamtlicher Bundesvorsitzender Teil des Leitungsteams des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ). Zuvor war der gebürtige Oberpfälzer ehrenamtlicher BDKJ-Diözesanvorsitzender in Regensburg und Landesleiter der Kolpingjugend Bayern.