Evangelischer Pastor bietet Gottesdienste vor dem Anpfiff an

Kirchliche Fußballweisheiten auf Sylt

Veröffentlicht am 18.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Seelsorge

Wenningstedt ‐ An die Niederlage der deutschen Fußball-Elf gegen Italien bei der Heim-WM 2006 erinnert sich der evangelische Pastor Rainer Chinnow noch genau: "Am Tag danach gab's gleich einen Trauergottesdienst." Der 51-Jährige bietet seit 1998 auf der Nordseeinsel Sylt eine besondere Form der Andacht - Fußballgottesdienste zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaft bei Welt- und Europameisterschaften.

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Die Idee dazu kam ihm, als Chinnow noch in Hamburg tätig war und im Konfirmandenunterricht HSV-Fans saßen. Ziel sei es gewesen, die Kirche weiter zu öffnen, auch für die Menschen, die nicht am Sonntag wie selbstverständlich ins Gotteshaus gehen. Seine Fußballgottesdienste kamen auch bei Erwachsenen an. Manche Stammgäste legten mittlerweile sogar ihren Urlaub so, dass sie mit Gottes Segen mitfiebern können, sagt Chinnow.

Spezielles Liedgut und passende Bibeltexte

Seit 2011 hat Chinnow auch das Damenteam mit einbezogen. Zuletzt waren es "Silvias Gazellen", deren Erfolge und Misserfolge biblisch hinterfragt wurden. "Die Frauen im Kirchenvorstand sagten, 'so geht das nicht, nur für Männer...'." Die Gottesdienste beginnen eine Halbzeit vor dem Anpfiff, dann lädt Chinnow zum Public Viewing im Pastorat. Die Fußballgottesdienste sind kürzer als die normalen, 20 bis 30 Minuten. Ein Trainer- oder Spielerzitat ist der Ausgangspunkt. "Dazu muss sich eine biblische Geschichte finden. Wir versuchen, das humorvoll zu machen."

Bild: ©picture alliance / dpa/Jens Kalaene

Pastor Rainer Chinnow in Fußballschuhen und mit einem Fußball in der Friesenkapelle. Er bietet seit 1998 Fußballandachten zu den Spielen der deutschen Nationalmannschaften an.

Kirchenlieder, Lesung, Ansprache, Vater Unser - diese Bestandteile hat auch der Fußballgottesdienst. Auch ein Gitarrist ist mit von der Partie. Zum Spiel der deutschen Damen bei der Fußball-EM gegen Schweden dichtete er einen Text von Abba um, für das Finale gegen Norwegen wählte er fast schon prophetisch ein Lied von Sängerin Wencke Myhre: Statt "Er steht im Tor" wurde "Sie steht im Tor" gesungen - tatsächlich wurde Torhüterin Nadine Angerer mit zwei gehaltenen Elfmetern zur Siegesgarantin.

Mehr als 100 Besucher kamen Ende Juli anlässlich des Finales bei der Frauen-Fußball-EM in Schweden. Bemängelt niemand die Verquickung von christlichem Glauben und Fußballspaß? "Am Anfang gab es etwas Kritik", räumt Chinnow ein. Aber der Zuspruch steige, 2012 sei er bislang am größten gewesen, und auch sonst habe die Kirchengemeinde Norddörfer, zu der Wenningstedt gehört, "ein buntes Gottesdienstprogramm. Die meisten finden das gut." So sieht es auch der stellvertretende Bürgermeister von Wenningstedt-Braderup, Gerhard Hausen. "Das ist eine gute Sache", kommentiert er. Auch für den Tourismus sei das Angebot positiv.

In Norddeutschland ist das kein ungewöhnliches Angebot

In Hamburg und Schleswig-Holstein seien solche Gottesdienste nichts Ungewöhnliches, sagt der stellvertretende Pressesprecher der Nordkirche Matthias Benckert, aber "kein Massenphänomen". Die Andachten seien mit Public Viewing verbunden. Geschaut werde bewusst nicht in der Kirche, sondern im Gemeindehaus oder Pfarrgarten. "Das ist keine qualitätslose Anbiederung. Ein guter Pastor macht das vernünftig. Man betet nicht: Lass' den HSV gewinnen." Vielmehr gehe es um Werte wie Fairness und Völkerverständigung. Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hat zudem einen eigenen Sportbeauftragten.

Katholischer Sportpfarrer beim Gottesdienst zum DFB-Pokalfinale

Thomas Nonte, seit März 2013 katholischer Sportpfarrer, steht vor einer antik anmutenden Sportlerstatue im Deutschen Sport __amp__ Olympia Museum in Köln.
Bild: ©KNA

Thomas Nonte, seit März 2013 katholischer Sportpfarrer, im Deutschen Sport __amp__ Olympia Museum in Köln.

Vor dem diesjährigen DFB-Pokalfinale gab es erstmals einen ökumenischen Gottesdienst, berichtet der Sportseelsorger der Deutschen Bischofskonferenz, Pfarrer Thomas Nonte . Beim Bundesligisten Hertha BSC etwa sei dies vor jedem Heimspiel der Fall. Auch sonst werde in katholischen Gottesdiensten das Thema aufgegriffen, gerade zu Welt- und Europameisterschaften.

Chinnow, der durch seine fußballbegeisterte Großmutter und seine Mutter quasi "vorbelastet" ist, spielt auch selbst aktiv bei den "Himmlischen Kickern", ein Team aus Pastoren und Kirchenmitarbeitern der Nordkirche, die für den guten Zweck antreten - auch schon mal gegen die Altliga des HSV: "Das war nicht so erfolgreich."

Für seinen bislang letzten Fußballgottesdienst hatte er sich von Bundestrainerin Silvia Neid inspirieren lassen, die die Gegnerinnen aus Norwegen als intelligent und spielstark lobte. Lernen aus Fehlern - das war das Thema. Ein Trauergottesdienst war dann nach dem gewonnenen Finale nicht mehr nötig - Gott sei Dank!

Von Martina Scheffler (dpa)