Unterwegs zum Kreuz: Was Glaube und Bergsteigen miteinander verbindet
Rund ein Jahr ist der Verein Gipfelkreuz nun alt, Anfang des Jahres wurde er als Sektion in den Deutschen Alpenverein (DAV) aufgenommen. Für den Vorsitzenden Daniel Jägers war das ein wichtiger Schritt. Im Interview sagt der Erlebnispädagoge und Bergsteigertrainer, warum die Berge Glauben manchmal besser vermitteln können, als der Sonntagsgottesdienst in der Gemeinde.
Frage: Herr Jägers, warum gründet man einen ökumenischen Bergsportverein?
Jägers: Wir möchten Bergsport und Glauben überkonfessionell miteinander verbinden, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass viele Menschen im Hochgebirge durch die umwerfende Schönheit der Schöpfung offen sind für den Schöpfer. Lassen Sie mich dafür kurz zwei Beispiele nennen: Im letzten Sommer stand ich mit Siebtklässlern einer Brennpunktschule an einem Gipfelkreuz und habe Aussagen gehört wie: "Krass, das ist das Schönste, was ich je gesehen habe!" Die Schüler konnten die Schönheit, die sie gesehen haben, kaum fassen. Kurz davor war ich mit einem älteren Mann, der sich selbst als Agnostiker bezeichnet, in den Bergen unterwegs. Auf der Tour hat er dann plötzlich gesagt: "Jetzt verstehe ich, warum du hier in den Bergen mit den Menschen über den Glauben sprechen willst." Er hat etwas Majestätisches – ich würde sogar sagen etwas Göttliches – in der Schöpfung entdeckt und gespürt. Als Verein möchten wir diese Erfahrungen nutzen, auf unser Leben und unseren Glauben übertragen und somit für den Alltag Kraft tanken und inspiriert werden.
Frage: Und wie kamen Sie auf die Idee?
Jägers: Ich habe kürzlich einen Artikel über den Gay Outdoor Club München gelesen. Das ist eine Sektion im Deutschen Alpenverein (DAV) speziell für LGBT-Menschen. Bis dahin wusste ich nicht, dass es möglich ist, eine Sektion zu gründen, bei der sich die Zielgruppe nicht nach der Region, sondern nach einem Lebensstil richtet. Da dachte ich mir: Wenn das geht, dann spricht doch auch nichts dagegen, dass wir als Gläubige eine Sektion gründen, bei der man im Gebirge nicht nur die sportliche Herausforderung oder Erholung sucht, sondern auch die Begegnung mit Gott.
Frage: Wenn man interessiert am Thema Glauben ist, kann man sich doch auch an eine Gemeinde wenden. Was machen die Berge besser als die Kirche?
Jägers: Ich würde nicht sagen, dass Berge etwas besser machen als die Kirche. Jahrhunderte lang hat die Kirche Menschen angezogen und kaum jemand hat sich für die Berge interessiert. Mein Eindruck ist allerdings, dass es in unserer heutigen Zeit Gemeinden nicht immer leichtfällt, neue Menschen anzusprechen, dass der Bergsport auf der anderen Seite aber boomt. Eine Attraktivität, die Gemeinden nur schwer erreichen können, haben die Berge automatisch, weil viele gerade auf dem Gipfel ein Gespür für etwas Transzendentes bekommen. Viele sagen, dass sie in den Bergen dem Himmel ein Stück näher sind. Das zu nutzen kann eine Ergänzung zum sonntäglichen Kirchgang sein, der vor allem jungen Menschen oft fremd ist.
Frage: Warum sind Menschen im Gebirge offener für Gott?
Jägers: Im Gebirge sieht man das eigene Leben mit anderen Augen. Durch die Größe der Berge, ihre Majestät und Schönheit werden die Verhältnisse der Dinge zueinander oftmals klarer. Im Römerbrief sagt Paulus, dass man Gott in der Schöpfung sehen kann und ich glaube, das kann man in den Bergen sehr viel besser als im Flachland. Deswegen ist es ja auch in vielen Kulturen und Religion so, dass Berge eine besondere Rolle spielen und Menschen auf einer transzendenten Ebene ansprechen.
Frage: Wenn Menschen in den Bergen transzendente und spirituelle Erfahrungen machen, bräuchte es dann nicht eigentliche eher Seelsorger als Bergführer, um mit ihnen zu sprechen?
Jägers: Wir verstehen uns auch als Seelsorger – auch wenn wir nur teilweise eine theologische Ausbildung haben. Jeder Gläubige ist dazu berufen, den Glauben zu teilen und hat damit eine gewisse Seelsorgefunktion. In den Bergen geht es nicht primär um theologische Erkenntnisse und Sachverhalte, sondern darum, seinen Glauben erfahrbar zu machen.
Frage: Was machen Sie denn da konkret erfahrbar?
Jägers: Es ist uns wichtig, Erlebnisse bewusst wahrzunehmen und uns auch im Nachhinein nochmal darüber auszutauschen. Wenn man beispielsweise an einem Stahlseil gesichert einen Klettersteig entlanggeht, dann zeigt das Stahlseil einen recht sicheren Weg und verhindert gleichzeitig im Zweifelsfall den Absturz. Dieses Klettersteigerlebnis kann man anschließend reflektieren und sich über Fragen austauschen, wie "Was führt mich durch mein Leben?" oder "Was hält mich, wenn ich stürze?". Im Austausch sind wir selbstverständlich offen für verschiedene Lebensrealitäten aber verschweigen auch nicht, dass wir Gott als den sehen, der uns führt und hält.
Fragen: Sie tragen das Wort "Gipfelkreuz" bereits im Namen Ihrer Sektion. In den vergangenen Jahren wurden gerade diese Kreuze auch Opfer von Vandalismus, weil sich manche Menschen auf Berggipfeln von religiösen Symbolen gestört fühlen. Wollen Sie dazu auch einen Gegenpol setzen?
Jägers: Nein, wir wollen uns diesbezüglich nicht politisch engagieren. Der Name "Gipfelkreuz" hat den Hintergrund, dass wir uns als Verein überlegt haben, welchen Namen wir uns geben und was Bergsteigen und Glauben miteinander verbindet. Auf vielen Bergtouren ist das Gipfelkreuz das Ziel schlechthin. Und auch in unserem Leben geht es im übertragenen Sinne darum immer wieder zum Kreuz zu kommen. Deswegen haben wir uns gedacht, das ist ein gutes Symbol, das eine klare Ausrichtung vorgibt. Zu der Frage, ob Gipfelkreuze auf Gipfel gehören, kann man sicherlich unterschiedlicher Auffassung sein.
Frage: Und welche persönliche Meinung haben Sie dazu? Sollte man Kreuze von Gipfeln entfernen oder nicht?
Jägers: Ich würde nicht sagen, dass man sie entfernen sollte. Das sagen auch nur die allerwenigstens. Es sind nur sehr wenige Vandalen, die wirklich Kreuze zerstören. Selbst Kritiker wie beispielsweise Reinhold Messner sagen, dass Gipfelkreuze ein kulturgeschichtliches Gut sind, die man nicht entfernen sollte, aber dass man nicht unbedingt Gipfel mit noch mehr und noch größeren Kreuzen erschließen sollte. Es gibt ja mittlerweile sogar begehbare Kreuze, die dann bis zu dreißig Meter hoch sind. Die Einwände richten sich ja eher dagegen, dass den Gipfeln immer mehr von ihrer ursprünglichen, natürlichen Schönheit genommen wird und nicht gegen ein kleines Kreuz aus Holz, das irgendjemand in den Felsen gesteckt hat. Ich finde, die bestehenden sollte man bestehen lassen und die zerstörten auch wieder aufstellen. Ob man neue Gipfel mit Kreuzen erschließen muss, hängt aus meiner Sicht eher vom Zusammenhang ab. Wenn jemand beispielsweise auf einem Berg eine Bewahrungssituation erlebt und aus persönlicher Dankbarkeit ein Kreuz aufstellen möchte, finde ich das gut. Aber wenn es primär darum geht, dass an einem bestimmten Ort ein Kreuz steht, um Touristen anzulocken, dann kann ich dem nicht viel Positives abgewinnen.