Seelsorger: Jugendliche wollen die Kirche nicht zerstören, sondern...
Junge Menschen erleben die Kirche als eher rückwärtsgewandt, verschlossen, langweilig und altbacken – aber immerhin eher freundlich. Das ist ein Ergebnis einer Umfrage unter gut 1.000 Personen, die das "Netzwerk Junge Erwachsene im Bistum Mainz" durchgeführt hat. Die Ergebnisse der Umfrage unter dem Titel "Platz für dich?!" wurden am vergangenen Sonntag der Mainzer Bistumsleitung vorgestellt und online veröffentlicht. Im Interview mit katholisch.de spricht der Mainzer Diözesanjugendseelsorger Mathias Berger nun ausführlicher über die Ergebnisse der Befragung, die notwendigen Konsequenzen und die Frage, wie die Kirche junge Menschen besser erreichen kann.
Frage: Pfarrer Berger, warum haben Sie diese Umfrage unter jungen Erwachsenen durchgeführt?
Berger: Wir haben mit dem Pastoralen Weg im Bistum Mainz ähnlich wie in anderen Bistümern auch einen diözesanen Erneuerungsprozess. Dabei haben wir – das ist das "Netzwerk Junger Erwachsener im Bistum Mainz" – gemerkt, dass die Gruppe der jungen Erwachsenen aufgrund ihrer Mobilität schwer greifbar ist und nur selten in unseren kirchentypischen Gremien mitdiskutiert. Wir wollten ihnen durch die Umfrage eine deutlichere Stimme geben und dafür sorgen, dass ihre Perspektiven Teil des Prozesses werden. Deswegen haben wir viel Arbeit in diese Umfrage investiert.
Frage: Warum ist Ihnen besonders wichtig, dass gerade junge Erwachsene eine Stimme bekommen?
Berger: In der Phase zwischen 18 und 35 Jahren entscheidet sich für viele, ob man sich an die Kirche bindet oder ob man beispielsweise durch einen Umzug aus dem Gemeindekontext herauswächst und dann auch diesen Ankerpunkt verliert. In dieser Zeit richten sich junge Menschen vielfach auch weltanschaulich und kirchlich neu aus. Da kann Kirche – je nach ihrer Präsenz – neu ihre Relevanz erweisen oder eben nicht. Es ist darüber hinaus eine pastorale Aufgabe zu schauen, warum diese Altersgruppe in der Pastoral so wenig berücksichtigt wird oder auch warum die kirchlichen Angebote als so wenig attraktiv wahrgenommen werden.
Frage: Wenn man sich die Umfrage anschaut, fällt auf, dass über die Hälfte der Teilnehmer sagen, die Kirche sei ihnen wichtig. Scheinbar haben Sie also viele junge Menschen aus dem kirchlichen Milieu erreicht. Sind das nicht eigentlich diejenigen, die Sie und die Seelsorger in den Gemeinden sowie schon kennen?
Berger: Zur Hälfte schon. Das sind Leute, die wir zum Beispiel durch unsere Jugendangebote erreichen und die sich dort beheimatet fühlen. Aber fast 40 Prozent sagen, dass sie nur in loser Folge Kontakte zur Kirche haben, zum Beispiel bei Beerdigungen oder Trauungen von Freunden. Und neun Prozent haben die Umfrage ausgefüllt, die von sich selbst sagen, dass sie mit der Kirche gar nichts am Hut haben. Ich glaube deswegen, wir sind mit unserer Umfrage auch ein wenig an die Ränder gegangen und haben Menschen erreicht, die in den Pfarreien und sonstigen kirchlichen Kontexten normalerweise so nicht vorkommen.
„Wir haben einen deutlichen Fingerzeig bekommen, dass die digitale Präsenz der Kirche in den Augen junger Menschen zu wünschen übriglässt; gerade im Bereich von Beratung, anonymer Seelsorge und thematischen Podcasts.“
Frage: Was hat Sie am meisten überrascht, als Sie die Studie ausgewertet haben?
Berger: Wir haben die Umfrage vor der Corona-Pandemie durchgeführt und einen deutlichen Fingerzeig bekommen, dass die digitale Präsenz der Kirche in den Augen junger Menschen zu wünschen übriglässt; gerade im Bereich von Beratung, anonymer Seelsorge und thematischen Podcasts. Wir müssen insgesamt noch stärker darauf schauen, dass wir einen sympathischen und attraktiven Auftritt in den sozialen Netzwerken haben und dass junge Menschen uns dort erreichen und antreffen. Was mich dagegen nicht überrascht hat, wo ich aber trotzdem einen wahnsinnigen Bedarf sehe, ist bei den klassischen Knotenpunkten im Leben junger Menschen. Selbst diejenigen, die mit Kirche wenig am Hut haben, haben auf Beerdigungen, Hochzeiten oder über soziale Einrichtungen Kontakt zur Kirche. Ich glaube, dort gibt es noch sehr viel Luft nach oben, was die Qualität und das Erscheinungsbild angeht. Es ist extrem wichtig, dass wir dort das qualitative Niveau steigern, weil diese Knotenpunkte für einige Menschen die einzigen Berührungspunkte mit Kirche sind.
Frage: Sind das also die Felder, die die Kirche in Zukunft angehen muss?
Berger: Zumindest ein Feld: Der überwiegende Teil der Befragten hat in der Umfrage nicht gesagt, dass wir sie mit unseren Gottesdiensten in Ruhe lassen sollen, sondern haben stimmigere Liturgien gefordert. Die jungen Erwachsenen wollen mehr Ästhetik, mehr Lebensrelevanz, mehr Wortkraft sowie zeitgemäße und frische Musik. Das ist zumindest das, was die Teilnehmenden der Umfrage vielfach zum Ausdruck bringen. Das nehme ich auch für meine Arbeit im bischöflichen Jugendamt mit: Was wir wirklich verbessern müssen, ist die Qualität unserer Gottesdienste sowie unser Erscheinungsbild als Mitarbeitende der Kirche und unserer Einrichtungen.
Frage: Bei der Frage, wie die jungen Erwachsenen sich die Kirche 2030 vorstellen, kommen vor allem Antworten aus Themenbereichen wie der Frauenfrage, der Öffnung der Weihe oder der Abschaffung des Zölibats. Das sind durchaus bekannte Themen. Wie geht es Ihnen damit?
Berger: Das überrascht mich nicht, ich habe darauf aber auch keine Antwort. Das sind natürlich die großen heißen Eisen, die zu schmieden sind. Und daran reiben sich nicht nur die Fernstehenden, sondern auch Gläubige, die zur Kerngemeinde gehören. Für sie widerspricht der Umgang der Kirche mit diesen Reizthemen eklatant dem, was sie von der Botschaft Jesu verstanden haben. Und trotzdem bleiben sie vielfach mit Kirche zumindest in Reibung. Wir haben viele Zeugnisse von Sehnsucht nach einer Kirche erhalten, die sich zu mehr Offenheit hinbewegt, sie bei ihren Themen und Fragen abholt und wirklich etwas Substantielles anzubieten hat.
„Es braucht jetzt die Suche, wie man für junge Menschen Lifestyle und kirchliche Angebote einander annähern kann.“
Frage: Die jungen Erwachsenen fordern also Reformen bei diesen Themen, weil ihnen etwas an der Kirche liegt?
Berger: Ganz genau. Sie wollen die Kirche nicht zerstören, sondern Lösungen für diese Probleme, die so querliegen zu dem, was für sie heute aus ihrer christlicher Perspektive plausibel ist. Wenn man dann auf das schaut, was junge Erwachsene zwischen 18 und 35 Jahren zu bewältigen haben, sind das vor allem die berufliche Zukunft, Partnerschaft, Beziehung und Lebenssinnfragen. Da müssten wir als Kirche doch sagen: Da haben wir was im Angebot. Wir kommen damit nur so nicht rüber. Glaubwürdigkeit, Authentizität und Qualität sind deshalb drei Stichwörter, bei denen wir auf jeden Fall noch zulegen können und müssen. Das versuchen wir natürlich schon in vielen Bereichen, zum Beispiel im "Netzwerk Junger Erwachsener". Das was die jungen Menschen einfordern, ist aber weitreichender, weshalb die Kirche in ihrer Gesamtheit gefordert ist.
Frage: Was machen Sie jetzt konkret mit den Ergebnissen?
Berger: Durch die Corona-Pandemie ist der Pastorale Weg bei uns im Bistum gerade ein bisschen ins Stocken gekommen. Der Ball liegt momentan bei den 20 Dekanaten und wir bieten ihnen an, dass wir dort unsere Ergebnisse vorstellen und mit den Entscheidern ins Gespräch kommen, was das für die Arbeit vor Ort bedeuten könnte. Und auf der Ebene des Bistums geht es darum, sich mit anderen Dezernaten, Fachreferaten und Gremien die Ergebnisse anzuschauen und zu überlegen, wo wir Hebel in der Hand haben, um besser zu werden.
Frage: Welche konkreten Impulse geben Sie durch die Umfrage an den Pastoralen Weg in Ihrem Bistum weiter?
Berger: Der Pastorale Weg ist eine Konsequenz aus der Erkenntnis, dass wir an Personal und Geld sparen müssen. Wir versuchen in einem geistlichen Prozess, das Beste daraus zu machen. Trotzdem müssen wir schauen, mit welcher Qualität wir was anbieten und wo junge Menschen dort eingebunden und angesprochen werden. Ich kenne persönlich vielleicht zwei Gemeindezentren, bei denen ich glaube, dass junge Leute dort bei der Gestaltung mitgeredet haben. Von Kirchen mal ganz abgesehen. Wenn es in der Kirche aussieht, wie bei Oma im Wohnzimmer, muss man sich nicht wundern, dass junge Leute sagen: "Das ist nicht der Ort, wo ich meinen Glauben feiern möchte." Natürlich können wir aber auch nicht 15 Spirituelle Zentren mit atemberaubender Technik und professioneller Musik einrichten. Es braucht jetzt die Suche, wie man für junge Menschen Lifestyle und kirchliche Angebote einander annähern kann, vermutlich eher weniger, aber dann mit Relevanz, Beteiligung, Qualität und Ästhetik.