Theologin Rahner: Pläne zur Priesterausbildung "hochgradig naiv"
Massive Kritik an Plänen zur Änderung der Priesterausbildung in Deutschland übt der Katholisch-Theologische Fakultätentag (KThF). Dessen Vorsitzende, die Tübinger Professorin Johanna Rahner (57), nannte die Überlegungen am Mittwoch in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Tübingen unüberlegt, naiv und politisch unbedarft. Hinter den Plänen sieht Rahner "das Ideal einer Priesterausbildung, wie es Mitte des 16. Jahrhunderts auf dem Konzil von Trient formuliert wurde": Junge Männer würden kaserniert, um sie getrennt von den anderen Studierenden "vermeintlich geschützt, behütet und exklusiv als Priesterkaste auf ihren Einsatz vorzubereiten". Dies sei mit Blick auf den Einsatz in einer pluralen Gesellschaft völlig unangemessen. Die Stichworte Klerikalismus und Missbrauch nötigten dazu, nicht erneut die Fehler der Vergangenheit zu begehen.
Am Dienstag hatte eine Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) einen Vorschlag mit einschneidenden Änderungen für die Ausbildung der Priester angesichts anhaltend geringer Kandidatenzahlen vorgelegt. Konkret schlägt die Arbeitsgruppe nur noch drei Standorte für die Hauptphase der Ausbildung mit dem vierjährigen Theologiestudium vor: München, Münster und Mainz. Für die einjährige Einführungsphase vor dem Studium, das sogenannte Propädeutikum, soll es nur noch die Standorte Freiburg und Bamberg geben. Für die Phase nach dem Studium, die Ausbildung im Pastoralkurs, schlägt die Gruppe "Paderborn in Kooperation mit Erfurt, Rottenburg-Stuttgart und einen durch die Freisinger Bischofskonferenz für Bayern festzulegenden Standort" vor. Gar nicht genannt werden unter anderem Bonn und die Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt, an der die (Erz-)Bistümer Hamburg, Hildesheim, Limburg und Osnabrück ihre Priesteranwärter ausbilden lassen. Die Bischöfe betonen, dass der Vorschlag "Grundlage für weitere Diskussionen und Überlegungen" sein soll und dass noch keine Entscheidung über die Standorte gefallen sei. Jeder Bischof müsse letztlich die Entscheidung für sein Bistum fällen.
Die Diskussion kann aus Sicht von Rahner die Rolle der Fakultäten insgesamt beschädigen und Debatten über Standortreduzierungen befeuern. Ohne Not würden Positionen geräumt, die von staatlicher Seite niemand anrühre, so die Fakultätentag-Vorsitzende. Die Theologin unterstrich, im Universitätsbetrieb seien die Fakultäten ein geschätzter Gesprächspartner: "Wir arbeiten vernetzt, interdisziplinär und international." Im schlimmsten Fall könnten durch die Pläne Fakultäten erster und zweiter Klasse entstehen, was die Einrichtungen nicht wollten, so Rahner. Dabei spreche nichts gegen Spezialisierung und wissenschaftliche Schwerpunkte. Ein Beispiel sei, dass Studenten, die sich besonders für den interreligiösen Dialog interessierten, bewusst für Münster oder Tübingen entscheiden könnten. Nicht gewollt sei eine ideologische Differenzierung. Angehende Priester und andere angehende Seelsorger sollten laut Rahner gemeinsam ausgebildet werden, "weil sie ja auch später gemeinsam arbeiten sollen". Wörtlich sagte sie: "Wir beschäftigen uns mal wieder mit uns selbst, obwohl wir zu aktuellen Gesellschafts- und Zukunftsfragen genug zu sagen haben. Gerade in Zeiten der Pandemie. Diese Debatte entsteht komplett zur Unzeit."
Erfurter Dekan: Theologische Fakultäten nicht in Gefahr, aber...
Der Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Erfurt, Jörg Seiler, sieht die theologischen Fakultäten durch eine Reduzierung der Ausbildungsorte für Priester dagegen nicht gefährdet. "Ich interpretiere den Vorschlag der Bischöfe so, dass binnenkirchliche Entwicklungen uns gewissermaßen einen Dienst leisten: Es ist Aufgabe der Theologie, kreativ und im je regionalen Kontext, das ureigene und nicht von binnenkirchlichen Klärungsprozessen abhängige Potenzial ihres eigenen Tuns zu formulieren", sagte Seiler am Mittwoch in einem Interview der KNA in Erfurt.
Seiler betonte, das Renommee der drei Fakultäten München, Münster und Mainz stehe außer Frage. Zugleich sagte er: "Sollte mit der Wahl für diese Standorte ein Süd-Mitte-Nord-Proporz arrangiert worden sein, so zeigt sich hierin innovationsfreie Hilflosigkeit." Weiter führte der Dekan der einzigen katholisch-theologischen Fakultät in Ostdeutschland aus: "Die strukturelle Benachteiligung des Ostens ist nicht aus Regionalitätsgründen bedauerlich, sondern weil hier in den neuen Bundesländern theologisch reflektiert wird und existenziell jeden Tag von Lehrenden und Studierenden eingeholt wird, dass für westeuropäische Menschen des 21. Jahrhunderts religiöse Setzungen generell und mehrheitlich keine Themen, geschweige denn Fragen sind." Eine Diaspora-Erfahrung und theologische Reflexion darüber sei für alle kirchlichen Mitarbeiter "dringend geboten". Er kritisierte zudem: "Bei Vielem fehlt die Begründung." Als Beispiel führte er an, dass laut Vorschlag ein Qualitätskennzeichen für die Auswahl der Standorte "hinreichend große Lerngruppen" sind. "Das wird nicht begründet und plausibilisiert. Bedauerlich, denn in der Regel gelingen Lernprozesse eher in kleinen Lerngruppen", so Seiler. "Wenn es um eine geistliche Prägung geht, ist die Reflexion über Gruppengröße fragwürdig und eigentlich peinlich: Es geht bei der Entwicklung eines christlichen Lebensstils immer um eine persönliche Prägung, die individuell reflektiert wird und zu begleiten ist."
Der Rektor der Frankfurter Hochschule Sankt Georgen, Ansgar Wucherpfennig, ist von den Plänen zur Änderung der Priesterausbildung nach eigenen Angaben nicht informiert worden. Der Vorschlag der Arbeitsgruppe habe ihn "irritiert, zumal es dazu vorher keine Informationen oder Rückfragen an die Hochschule gab", sagte Wucherpfennig am Mittwoch auf Anfrage der KNA. Über Standorte sei am Dienstag "noch keine Entscheidung gefallen", auch wenn solche in dem Vorschlag genannt seien, sagte er. Jetzt könne "eine strukturierte Evaluation und Beratung dazu losgehen, an deren Ende dann eine hoffentlich gut begründete Entscheidung stehen" werde. Persönlich sei er "bis zum Erweis des Gegenteils zuversichtlich, dass die Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt auch nach den erforderlichen Umstrukturierungsprozessen mit guten Gründen weitergeführt werden wird", sagte Wucherpfennig. Dass die Bischöfe sich mit der Priesterausbildung und auch mit dem Theologiestudium beschäftigten, sei ihre Aufgabe, so Wucherpfennig. "Und dass sie ihre Beratung dazu öffentlich machen, sehe ich als Zeichen der Transparenz", betonte der Jesuit.
Das Bistum Mainz wollte die Pläne zur Änderung der Priesterausbildung in Deutschland zunächst nicht näher kommentieren. Bei dem Vorschlag der DBK-Arbeitsgruppe gehe es "ja nicht nur um Standorte, sondern vorrangig auch um eine inhaltliche Neuausrichtung der Ausbildung, die ein stärkeres Eingehen auf das individuelle Profil des Bewerbers vorsieht", sagte Bistumssprecher Tobias Blum am Mittwoch auf Anfrage. Der Vorschlag sei "zunächst eine Diskussionsgrundlage, die weiter innerhalb der Bischofskonferenz besprochen werden wird". Das Bistum Mainz werde diese "internen Diskussionen" nicht mit öffentlichen Äußerungen begleiten. Im Mainzer Priesterseminar gebe es aktuell zwölf Priesteramtskandidaten - acht studieren für das Bistum Mainz, vier für die Diözese Enugu in Nigeria. Ein Sprecher des Bistums Fulda sagte, Bischof Michael Gerber stehe hinter den Plänen. In der Diözese gebe es derzeit zwölf Seminaristen, davon sechs ausländische und sechs aus dem Bistum Fulda.
Das Erzbistum Köln verweist in der Debatte auf die Mitteilung der Bischofskonferenz, wonach eine Entscheidung über die Standorte noch nicht gefallen sei. Die damit befasste Arbeitsgruppe habe Vorschläge als Grundlage für weitere Diskussionen und Überlegungen vorgelegt, sagte ein Sprecher am Mittwoch auf Anfrage. "Die genannten Diskussionen und Überlegungen gehen also entscheidungsoffen weiter." Die Theologiestudenten des Erzbistums Köln studieren bislang in Bonn und leben im dortigen Collegium Albertinum. Nach dem Studium wechseln sie in das Priesterseminar in Köln. Weil das Gebäude aus den 1950er-Jahren bis 2022 saniert wird, kommen die Seminaristen ab Sommer in der Bonner Ausbildungsstätte unter.
Das Erzbistum Freiburg rechnet mit weiteren Diskussionen und Beratungen über eine Reform der Priesterausbildung. Auch bei der Schließung von Standorten von Priesterseminaren sei noch keine Entscheidung gefallen, sagte ein Bistumssprecher auf Anfrage. Letztlich sei eine "Zentralisierung in der Ausbildung" aber nicht zu verhindern. Es sei noch unklar, ob und wenn ja wie und wann die Pläne umgesetzt würden. Wenn es so käme, würde Freiburg kein Vollseminar mehr sein, sondern für das erste Jahr der Ausbildung von Priesteramtskandidaten verantwortlich sein. Unmittelbare Konsequenzen für die Katholisch-Theologische Fakultät an der Uni Freiburg sieht der Sprecher nicht. "Mittelbar allerdings schon", da dann die Priesterkandidaten als Studenten wegfallen würden. Der Sprecher warf die Frage auf, ob damit womöglich die Absicherung der Fakultät über das Konkordat gefährdet sein könnte. Aktuell studieren 13 Priesteramtskandidaten an der Universität Freiburg.
Das Erzbistum Paderborn sieht in der vorgeschlagenen Konzentration der Priesterausbildung in Deutschland "eine gute Hilfe" für weitere Gespräche. Die Inhalte müssten jetzt weiter diskutiert werden, ehe verbindliche Entscheidungen auf Ebene der DBK oder der einzelnen Diözesen zu einem späteren Zeitpunkt getroffen werden könnten, sagte ein Sprecher auf Anfrage. Das Erzbistum Paderborn beteilige sich gerne an diesem Prozess. Weitere Konsequenzen für das Erzbischöfliche Priesterseminar, die Theologische Fakultät oder andere Ausbildungs- und Hochschuleinrichtungen am Standort Paderborn ergäben sich vorerst nicht.
Zahl der Priesterweihen in Deutschland auf niedrigem Niveau
Früher hatte - mit Ausnahme der ostdeutschen Bistümer - fast jedes Bistum ein eigenes Priesterseminar. Doch angesichts der zurückgehenden Zahl der Priesteranwärter hatten sich in den letzten Jahren bereits mehrere Bistümer in Gruppen zusammengetan, um ihre Priesteranwärter gemeinsam auszubilden. Die Zahl der Priesterweihen in der katholischen Kirche in Deutschland hat sich seit Jahren auf einem niedrigen Niveau eingependelt: 2018 waren es insgesamt 60 in den 27 Bistümern, in den Jahren davor waren 74, 77 und 58 Neupriester geweiht worden, mehr als 100 waren es letztmals im Jahr 2007. Die Zahl der Neuaufnahmen in den Seminaren zeigt zugleich, dass es auch in den kommenden Jahren keine Trendwende geben dürfte. In den Jahren von 2001 bis 2010 lag die Zahl der Priesterweihen bundesweit zwischen 81 und 131, in den 1990er-Jahren zwischen 139 und 295. Aber auch schon zwischen 1962 (557) und 1970 (303) war ein Rückgang der Zahlen zu beobachten.
In fünf bayerischen Bistümern empfangen am kommenden Wochenende 13 Männer die Priesterweihe, ein weiterer soll im Oktober in Würzburg geweiht werden, wie eine aktuelle Umfrage der KNA ergab. Im Bistum Eichstätt legte Bischof Gregor Maria Hanke bereits im Mai zwei Kandidaten die Hände auf. Von den voraussichtlich insgesamt 16 Neupriestern in Bayern gehören vier einer Ordensgemeinschaft an. Im vergangenen Jahr lag die Zahl insgesamt bei 24. Jeweils zwei Jungpriester gibt es in München, Passau und Bamberg. In Regensburg sind es drei, in Augsburg vier. In den fünf NRW-Bistümern sollen in diesem Jahr insgesamt zehn Männer zu Priestern geweiht werden. (tmg/KNA)
24.6., 14:05 Uhr: Ergänzt um Erzbistum Freiburg. 14:40 Uhr: Ergänzt um Wucherpfennig. 16:05 Uhr: Ergänzt um Gerber. 17:45 Uhr: Ergänzt um Erzbistum Paderborn. 18 Uhr: Statement aus Köln präzisiert.