Tag der Entscheidung: Wird die Hagia Sophia wieder zur Moschee?
Der türkische Außenminister Mevlü Cavusoglu nennt die Entscheidung über die Zukunft der Hagia Sophia schlicht eine "innere Angelegenheit der Türkei". Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Der gewaltige Bau am Bosporus steht wie kaum ein anderes Symbol für das schwierige Verhältnis zwischen Islam und Christentum, zwischen der Türkei und Europa. Nach wie vor ist die Hagia Sophia für orthodoxe Christen ein heiliger Ort. Wer an ihrem neutralen Status als Museum rüttelt, weiß genau, dass er damit religiöse Wunden aufreißt und internationale Kritik provoziert.
Gleichwohl setzte sich der autoritäre Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan an die Spitze der Moscheebewegung und hat das Vorhaben in den vergangenen Wochen forciert. Ausgerechnet die türkische Denkmalschutzvereinigung ist dabei treibende Kraft, scheiterte aber immer wieder mit Anträgen auf Rückverwandlung der einstigen Kirche der "Göttlichen Weisheit" (Hagia Sophia) in ein islamisches Gotteshaus. Nun urteilt am Donnerstag das Oberste Verwaltungsgericht in letzter Instanz.
Aggressive Symbolpolitik von Präsident Erdogan?
Constantin Miron, Erzpriester der griechisch-orthodoxen Metropolie in Deutschland, befürchtet eine gänzlich unweise Entscheidung. Er bezweifelt die Unabhängigkeit der Justiz unter Erdogan. "Bei so einer emotionalen, populistisch aufgeladenen Frage könnte der Druck zu groß sein und die Moscheebewegung Grünes Licht bekommen", sagte er der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Erdogan wirft er aggressive Symbolpolitik vor, um seine nationalistischen und islamisch-fundamentalistischen Wähler bei der Stange zu halten. Die Umfragewerte des Präsidenten sind in der derzeitigen Wirtschaftskrise dürftig.
Daneben geht es dem halbdiktatorischen Staatschef aber vor allem um seine große Agenda: die Beerdigung des von Republikgründer Mustafa Kemal "Atatürk" durchgesetzten Laizismus und die konsequente Reislamisierung der Türkei. Mit einer "Moscheeisierung" der Hagia Sophia könnte Erdogan sich vor seiner Klientel als moderner Sultan Mehmet II., genannt "der Eroberer", inszenieren und fast ein Jahrhundert türkischer Geschichte sinnbildlich zurückdrehen.
Schon am 29. Mai, dem 567. Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen, hielt Erdogan per Videoschalte in der riesigen Basilika eine triumphalistische "Predigt". Draußen zeichnete derweil ein Mulitmedia-Spektakel vor verzückten Anhängern den Sturm der Türken auf das heutige Istanbul nach.
Auf internationaler Bühne hat die Großmeierei freilich ihren Preis. Die griechische Regierung kritisierte die Siegesfeier als "Beleidigung der weltweiten christlichen Gemeinschaft". Das Außenamt des Moskauer Patriarchats ist angesichts der Umwandlungspläne empört und sprach im Juni von einer "Gefahr für das friedliche Zusammenleben von Religionen und Völkern".
Patriarch Bartholomaios ist schockiert
Führende orthodoxe Persönlichkeiten in den USA appellierten vergangene Woche an Präsident Donald Trump, in Ankara Protest einzulegen. Immerhin rief bereits der US-Sonderbotschafter für Religionsfreiheit, Sam Brownback, die türkische Regierung auf, die spirituelle und kulturelle Bedeutung der Hagia Sophia zu respektieren - die ja obendrein Weltkulturerbe der Unesco ist. Auch die EU hat klare Ablehnung signalisiert.
Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., kann die Entwicklung nicht beeinflussen. Er sei "traurig und schockiert" über die drohende Veränderung, sagte das Ehrenoberhaupt der Orthodoxen vor wenigen Tagen der "Washington Post". "Statt uns zu vereinen, trennt uns ein 1.500 Jahre altes Erbe." Erzpriester Miron sieht es im KNA-Gespräch realistisch: "Letztlich hat das Christentum in der Türkei eine viel zu schwache Position, um irgendetwas zu bewirken." Gerade 100.000 Christen leben noch im Land, in Istanbul höchstens noch 3.000 Griechisch-Orthodoxe.
Sollte das Verwaltungsgericht am Donnerstag den Weg freimachen, könnte die Umwidmung der Hagia Sophia zur Moschee schon am 15. Juli umgesetzt sein. Eine entsprechende Weisung Erdogans soll bereits vorliegen. Der Streit um die laizistische Ausrichtung der türkischen Nation, der sich mitten durch die Gesellschaft zieht, dürfte angesichts der symbolischen Wucht des Urteils noch erbitterter werden. Aus der kemalistischen CHP, der größten Oppositionspartei, kam immer wieder Protest gegen die Moscheebewegung. Ihr Parlamentsabgeordneter Ibrahim Kaboglu geht offen davon aus, dass das Urteil vor allem eins beweisen wird: eine "Instrumentalisierung der Justiz".