Auf dem Pilgerweg zwischen Osnabrück und Telgte – coronakonform
"Ich bin da, wo du bist" (Exodus 3,14) – ursprünglich bezog sich dieses Leitwort wohl auf die rund 40 Kilometer Wegstrecke zwischen Osnabrück und Telgte, auf die sich am vergangenen Wochenende wie in jedem Jahr etwa 8.500 Pilger begeben wollten. Doch zum ersten Mal musste die größte Fußwallfahrt in Deutschland in der 168-jährigen Wallfahrtsgeschichte ausfallen.
Im Jahr 1852 machten sich erstmals rund 25 Katholiken aus der Gemeinde St. Johann in der niedersächsischen Stadt Osnabrück auf den Weg in den münsterländischen Wallfahrtsort Telgte. Im März des gleichen Jahres hatten Bürger aus Osnabrück die Anfrage an den damals amtierenden Weihbischof gerichtet, "ihnen zu gestatten, am Feste Mariä Heimsuchung mit der Fahne […] eine Wallfahrt nach Telgte zu unternehmen." Der Bitte wurde stattgegeben und so pilgerte der erste Zug in die zwölf Kilometer östlich von Münster gelegene Kleinstadt.
Die Prozession fand beinahe unter den Vorzeichen des 21. Jahrhunderts statt: Nicht ein Geistlicher, sondern ein Laie, genauer der Schneidermeister Matthias-Conrad Specht, der später nach Amerika auswanderte, wo sein Sohn in Ohio (Columbus) Generalvikar war, führte sie an. Erst vier Jahre später, ab 1856 wurde durch eine bischöfliche Verordnung jeweils der erste Pfarrkaplan oder Pfarrvikar von St. Johann in Osnabrück zum geistlichen Leiter der Wallfahrt erklärt.
Pilger zogen trotz Verboten während der Kriege los
Ziel der Wallfahrt ist seitdem bis heute das Gnadenbild in Telgte. Das Bildwerk ist aus Pappelholz geschnitzt und farbig gefasst. Es entstand um 1370 und zählt damit zu den ältesten dieser Darstellungen, die vor allem im norddeutschen Raum weit verbreitet waren. Das Bild zeigt den Augenblick, in dem der Leichnam Christi vom Kreuz abgenommen und in den Schoß seiner Mutter gelegt ist.
Seit Jahrhunderten ist Telgte das Ziel vieler Pilgergruppen, vornehmlich aus dem Münsterland, dem Osnabrücker Land und dem Emsland. Nach dem Beginn der Osnabrücker Telgter Wallfahrt im Jahre 1852 schlossen sich mit den Jahren immer mehr Pilger der Laienbewegung an, zunächst aus dem Stadt- und Landkreis Osnabrück, dann aus weiteren Diözesen entlang der Wegstrecke. Der Zeitpunkt der Wallfahrt fällt seit Beginn an auf das zweite Wochenende nach dem Fest Peter und Paul. Selbst Verbote in Kriegs- und Kampfjahren konnten die Gruppen nicht davon abhalten, ihre Pilgerreise anzutreten. Viele liefen in kleinen Gruppen oder auch allein zum Gnadenbild.
Doch in diesem Jahr machte die Corona-Pandemie auch dieser Großveranstaltung einen Strich durch die Rechnung, und die Leiter der Wallfahrt, Karl-Heinz und Martin Schomaker, sagten die Wallfahrt in einem offiziellen Schreiben ab. "Als klar war, dass alle Großveranstaltungen bis mindestens Ende August verboten sind, haben wir die Briefe mit den Absagen rausgeschickt", sagte Karl-Heinz Schomaker, der technische Leiter der Wallfahrt, gegenüber dem Kirchenboten des Bistums Osnabrück. Von privaten Vorhaben, an dem Wallfahrts-Wochenende nach Telgte zu pilgern, rieten die Veranstalter ausdrücklich ab. Der oberste Leitspruch dabei lautete "Solidarität mit den Gefährdeten." Für den geistlichen Leiter, Martin Schomaker, wäre es in diesem Jahr seine erste Wallfahrt in dieser Funktion gewesen: "Umso größer ist die Vorfreude auf das nächste Jahr."
Die Absage sei für alle bitter und schmerzhaft gewesen, sagte Werner Obermeyer, Vorsitzender des Wallfahrtsvereins St. Marien Gellenbeck, einer der Gruppierungen, die die Wallfahrt in den rund 30 beteiligten Gemeinden im Bistum Osnabrück unterstützen. Er selbst blickt auf gut 40 Jahre zurück, in denen er selbst dabei war. Für gewöhnlich startet Obermeyer in jedem Jahr am frühen Samstagmorgen um 3.25 Uhr von der Kirche in St. Mariä Himmelfahrt. Nach gut 10 Kilometern trifft sein Teilzug in Bad Iburg auf den Hauptzug aus Osnabrück, der dann gemeinsam die weiteren gut 30 Kilometer bestreitet.
"Aber wir wurden aufgerufen, Alternativveranstaltungen zu machen und dafür sind wir sehr dankbar", erzählte Obermeyer. So fanden am Samstagvormittag zeitgleich an vielen Orten entlang des Pilgerweges dezentrale Andachten statt, um auch in dieser Zeit Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Normalerweise findet dann immer die Rastphase an der Marienklause in Oedingberge statt, dem ältesten Rastpunkt der Wallfahrt. Insgesamt pausieren die Pilger auf dem Hin- sowie auf dem Rückweg an jeweils vier Orten, um sich mit Speisen und Getränken zu stärken und Andacht zu halten. In Oedingberge predigt auf dem Hin- sowie auf dem Rückweg der Geistliche Leiter der Wallfahrt, in den Jubiläumsjahren der begleitende Bischof.
Auf den Weg der Wallfahrt werden jedes Jahr Gebetsanliegen mitgenommen und zum Gnadenbild der Schmerzhaften Maria nach Telgte gebracht. Diese Tradition wurde trotz der Absage in diesem Jahr aufgegriffen. Die Bitten wurden gesammelt, in einem Buch zusammengestellt und am Wallfahrtssamstag durch den Geistlichen Leiter der Wallfahrt, Dechant Martin Schomaker, nach Telgte gebracht.
Der Osnabrücker Bischof Franz Josef Bode feierte in Gedenken an die Wallfahrt am Sonntagmorgen einen Gottesdienst im Osnabrücker Dom. Im Altarraum wurde dazu eine Darstellung des Telgter Gnadenbildes sowie historische Wallfahrtsfahnen ausgestellt. Pilger und weitere Wallfahrts-Verbundene konnten den Gottesdienst live auf der Internetseite der Wallfahrt verfolgen.
"Die Struktur der Wallfahrt muss angepasst werden"
Auf die Frage, ob die Erfahrungen in diesem Jahr Auswirkungen auf die Wallfahrtskultur in den kommenden Jahren habe, antwortete Obermeyer: "Ich glaube, das gesamte kulturelle und zwischenmenschliche Leben wird sich in unserer Gesellschaft, in den Kirchen und auch in unseren Vereinen und Verbänden ändern und auch ändern müssen." Ob die nächste Wallfahrt mit Alltagsmasken und weiteren Hygieneauflagen stattfinden würde, werde man sicher in den einzelnen Gremien der Wallfahrtsvereine und mit der Leitung in Osnabrück besprechen. "Ich gehe davon aus, dass im kommenden Jahr die Struktur der Wallfahrt mit Sicherheit irgendwie angepasst werden muss", meinte Obermeyer.
In diesem Jahr hatte die Wallfahrtsleitung als Zeichen der Gemeinschaft zum ersten Mal Armbänder produzieren lassen. "Aber all diese Dinge konnten jetzt natürlich nicht auf der Wallfahrt verteilt beziehungsweise verkauft werden", erzählte Obermeyer. Die Wallfahrtsvereine hätten sich dennoch großzügig gezeigt und den Gemeinden diese Accessoires – dazu gehört auch der traditionelle Pilger-Button – kostenlos an alle Interessierten zu verteilen: "Das soll Mut machen, bei der Wallfahrt zu bleiben und auch in den nächsten Jahren weiter an der Wallfahrt teilzunehmen." 2021 soll sie am 10. und 11. Juli 2021 stattfinden – wenn das Coronavirus es zulässt.