Wiener Erzbischof sorgt sich um Zukunft der Kirche

Kardinal Schönborn: Austritte sind Teil der Religionsfreiheit

Veröffentlicht am 15.07.2020 um 16:34 Uhr – Lesedauer: 

Wien ‐ Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn ist beunruhigt, weil immer mehr Menschen in seinem Land und weltweit der Kirche stillschweigend den Rücken kehren. Doch die Kirche sei keine "Zwangsgemeinschaft".

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Der Wiener Kardinal Christoph Schönborn hat sich besorgt gezeigt über die wachsende Zahl von Kirchenaustritten. "Es gibt ein Phänomen, das die Kirche weltweit und besonders bei uns betrifft: Das sind die, die der Kirche stillschweigend den Rücken kehren", sagte er in einem Interview mit der Kooperationsredaktion der österreichischen Kirchenzeitungen (aktuelle Ausgabe). "Aber das ist ein Teil der Religionsfreiheit", so der langjährige Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz. "Wir sind keine Zwangsgemeinschaft. Das ist die Freiheit, die Gott uns gegeben hat."

Auch in Deutschland hatte die kürzlich veröffentlichten Austrittszahlen aus der katholischen Kirche Besorgnis hervorgerufen. Demnach waren die Gesamt-Austrittszahlen mit 272.771 Menschen bei der katholischen Kirche in Deutschland so hoch wie nie zuvor. Außerdem erwägen viele Katholiken den Kirchenaustritt. Nach einer Umfrage des in in Erfurt ansässige Meinungsforschungsinstitut "INSA Consulere" für die katholische Wochenzeitung "Die Tagespost" in Würzburg sind es rund 30 Prozent. Sie äußersten sich positive zu der vorgelegten Aussage: "Ich bin Kirchenmitglied und kann mir vorstellen, bald aus der Kirche auszutreten." 54 Prozent der Katholiken stimmten dem nicht zu, 9 Prozent wussten es nicht und 7 Prozent machten keine Angabe.

Fügung statt Verdienst

In dem aktuellen Zeitungsinterview zieht Schönborn auch eine Bilanz seiner Zeit als Wiener Erzbischof. Eine starke Familie, sehr gute Freunde und ein tief sitzendes Gottvertrauen hätten ihn auch in so manchen schwierigen Zeiten getragen, sagte der Kardinal, der in den letzten Jahren unter anderem eine Krebserkrankung zu bewältigen hatte. "Vieles, was mir als Verdienst angerechnet wurde, war Fügung."

Schönborn erinnerte an den Beginn der Missbrauchskrise 2010. Damals habe er "ganz konkret erlebt, wie Gott geholfen hat", so der Kardinal. "Das Erste war, dass Generalvikar Franz Schuster schnell gehandelt hat. Die Generalvikare Österreichs haben eine Handreichung entwickelt, wie wir Bischöfe handeln sollen." Die Menschen müssten natürlich mitspielen, so Schönborn: "Aber die Regie führt ein anderer."

Konflikte in der Kirche wolle er nicht überbewerten. "Das ist normal, weil Menschen verschiedene Lebensakzente haben, verschiedene kulturelle und religiöse Grundmuster. Damit muss man leben." In den vergangenen 50 Jahren habe er immer gehört, "wir stehen am Rand einer Kirchenspaltung, und sie ist nicht gekommen. Weil die Einheitskräfte stärker sind." Schönborn feierte in diesem Jahr seinen 75. Geburtstag und reichte aus diesem Anlass bei Papst Franziskus sein Rücktrittsgesuch ein. Dies nahm der Pontifex jedoch vorerst nicht an. Allerdings gab Schönborn den Vorsitz der Österreichischen Bischofskonferenz ab. Zu seinem Nachfolger wurde kürzlich der Salzburger Erzbischof Franz Lackner gewählt. (gho/KNA)

Linktipp: Christoph Schönborn: Österreichs bekanntester Kirchenmann wird 75

Wäre seine Gesundheit nicht so angeschlagen, wäre er ein "papabile", ein Kandidat für das Papstamt. Mit seinem 75. Geburtstag sollte der Ruhestand für den Wiener Kardinal näher liegen als ein neuer Posten. Doch noch lässt Franziskus ihn nicht gehen.