Missionswissenschaftler: "Rassismus ist keine Einbahnstraße"
Seit 2016 ist Pater Christian Tauchner von den Steyler Missionaren Direktor des Steyler Missionswissenschaftlichen Instituts in Sankt Augustin. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) spricht der 64-jährige Österreicher, der lange in Ecuador lebte, über Rassenhass in den USA, europäische Überlegenheitsgefühle - und was das Erzbistum Köln mit dem Bistum Dschibuti verbindet.
Frage: Pater Tauchner, in den USA reißt die Debatte um Rassismus nicht ab. Die Geschichte der Steyler Missionare reicht bis ins Jahr 1875 zurück, seit mehr als 100 Jahren ist der Orden in den Vereinigten Staaten aktiv. Wie blicken die Steyler auf die Lage in dem Land?
Tauchner: Dieser Konflikt kam nicht überraschend und er ist weit davon entfernt, beendet zu sein. Benachteiligungen von Schwarzen gibt es immer noch und sie hat eine lange Geschichte.
Frage: Die Steyler erhielten 1905 die Erlaubnis, "die Missionsarbeit unter den Negern im Süden der USA aufzunehmen", wie es auf einer Steyler Internetseite heißt. Halten Sie die diese Wortwahl für glücklich?
Tauchner: Nein, aber so konnte man damals reden. Das ist ja jetzt ein guter Anlass, die Anführungszeichen dranzusetzen...
Frage: Was verbarg sich hinter dieser Missionsarbeit?
Tauchner: Eine interessante Geschichte, die letzten Endes dazu führte, dass es tatsächlich die Steyler waren, die in den USA die ersten afroamerikanischen Priester weihten. Auch die ersten afroamerikanischen Bischöfe seit den 1960er-Jahren rekrutierten sich allesamt aus dem Umfeld des Ordens.
Frage: Wie kam es dazu?
Tauchner: Ursprünglich waren die Steyler Missionare in die USA gegangen, um die vielen deutschen Einwanderer für ihre Anliegen zu gewinnen. "Die sollen alle die 'Stadt Gottes' lesen!", lautete die Parole. Für die Ordenszeitschrift hat man damals sogar ein eigenes Vertriebssystem aufgebaut. Auf sanften Druck des Vatikan hin rückte dann die Seelsorge unter den Afroamerikanern in den Blick. Die von außen, aus Europa stammenden Steyler Missionare konnten, so hieß es aus dem Vatikan, am ehesten etwas gegen die in den USA herrschende Rassentrennung und die skandalöse Benachteiligung der schwarzen Amerikaner unternehmen.
Frage: Im Jahr 1934 wurden die ersten schwarzen Steyler Patres geweiht. Was machte das mit den afroamerikanischen Gemeinden, in die sie dann als Seelsorger versetzt wurden?
Tauchner: Die haben dagegen protestiert und sahen sich erneut benachteiligt. Man wollte einen "richtigen Priester" - und der hatte weiß zu sein. Rassismus ist also keine Einbahnstraße, sondern ein sehr vielschichtiges Problem.
Frage: In diesem Fall aber wohl vermittelt durch die katholische Kirche, die ihrerseits bis in die jüngste Vergangenheit hinein keine nicht-weißen Männer zu Priestern weihte.
Tauchner: Zweifellos. Aber in dem Zusammenhang fällt mir noch eine andere Geschichte ein, die ich selbst 2002 in einer Pfarrei in New Orleans erlebt habe, die von unserem Orden betreut wird. Dorthin kamen Steyler Missionare aus Ghana. Wir hielten das für eine gute Idee, weil wir dachten, dass nun die Nachfahren afrikanischer Sklaven von Seelsorgern aus Afrika selbst betreut würden - also "richtigen Afrikanern".
Frage: Und?
Tauchner: Es kam zu richtig heftigen Konflikten, die man erst in vielen Gesprächen auflösen konnte. Die Afroamerikaner fragten die Priester: "Was tut ihr hier? Eure Vorfahren haben unsere Vorfahren in die Sklaverei verkauft!"
Frage: Die Schatten der Geschichte sind lang.
Tauchner: Wobei wir immer wieder neu fragen müssen, über welche Schatten wir reden.
Frage: Wie meinen Sie das?
Tauchner: Rassismus und Kolonialismus etwa gehen Hand in Hand, sollten aber nicht unbedingt in einen Topf geworfen werden. Wir sind beispielsweise mit Blick auf die Kolonien im 19. Jahrhundert gewohnt, die Europäer als Kolonisatoren und die Afrikaner als Unterworfene zu sehen. Der damit einhergehende scharfe Gegensatz zwischen Herrschern und Beherrschten lässt sich aber nicht immer aufrechterhalten. Deswegen spricht man inzwischen von "Kontaktzonen", in denen europäische Beamte oder Priester unter wechselseitigen Abhängigkeiten mit Einheimischen zusammenkamen.
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Die Welt diskutiert über Rassismus. In den sozialen Medien tut sie das unter dem Hashtag #blacklivesmatter. Aber reicht das? Der Kölner Priester Regamy Thillainathan glaubt das nicht. Im Gastbeitrag auf katholisch.de stellt er Fragen, die zur Haltungsänderung führen sollen – auch in der Kirche.Frage: Inwiefern?
Tauchner: Die Europäer wussten sehr wohl: Wenn ich diesen Fluss hinunterfahre, dann brauche ich einen einheimischen Begleiter, der sich dort auskennt. Natürlich hat das Rassismus nicht verhindert oder das Machtgefälle zwischen Europäern und Afrikanern aufgelöst.
Frage: Aber?
Tauchner: Ich glaube, dass durch das Konzept der "Kontaktzonen" ein kreativerer Zugang zu den gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse in den Kolonien möglich ist. Man kann unbefangener darauf schauen und fragen: Was hat der eine vom anderen gehabt?
Frage: Wir haben jetzt viel über das Verhältnis von Europäern und Afrikanern gesprochen. Warum hielten es die Europäer lange Zeit für legitim, Afrikaner zu versklaven - und warum verhielten sie sich beispielsweise gegenüber den Indigenen in Lateinamerika zumindest der Theorie nach anders?
Tauchner: Sklaven aus Afrika waren bereits seit der Antike in Europa bekannt. Als Spanier und Portugiesen sich ab Endes des 15. Jahrhunderts in Mittel- und Südamerika festsetzten, stellten sie sich die Frage, ob man es bei den Bewohnern dieser Gebiete mit Menschen oder mit Arbeitstieren zu tun habe, die man in den neu angelegten Plantagen schuften lassen konnte. In seiner Bulle "Sublimis Deus" wandte sich Papst Paul III. 1537 gegen eine Versklavung der Indigenen. Diese Bulle zog er allerdings im Jahr darauf wieder zurück, weil er sich geirrt habe.
Frage: Das hört man eher selten von Päpsten.
Tauchner: Weswegen diese Episode auch kaum bekannt ist. Die Indigenen wurden dessen ungeachtet ausgebeutet. Aber die eigentlichen Sklaven kamen aus Afrika.
Frage: Die Kirche hat dieses System der Unterdrückung jahrhundertelang mitgetragen. Und zugleich versucht, Menschen zum christlichen Glauben zu bekehren. Der Begriff "Mission" ist deswegen durchaus belastet. Was heißt Mission heute?
Tauchner: Die entscheidende Wende ging vom Zweiten Vatikanischen Konzil aus. Seit Mitte der 1960er-Jahre gilt: Jede Kirche ist missionarisch - das Erzbistum Köln genauso wie das Bistum Dschibuti. Das heißt: Jeder soll geben, aber jeder soll auch lernen. Letzteres fällt uns in Deutschland sehr schwer. Spenden ja, aber etwas vom anderen annehmen? Da hängt uns dann doch das Überlegenheitsgefühl der Europäer aus der Kolonialzeit nach.
Frage: Wie gehen die Steyler Missionare damit diesem Ansatz um?
Tauchner: Wir haben eine Zeit lang gebraucht, um das zu verinnerlichen. In den 1980er-Jahren hat es zum Beispiel philippinische Ordensleute gegeben, die Missionare werden wollten. Sie konnten nach Südamerika gehen, aber nicht nach Europa, weil wir in unseren Konstitutionen definiert hatten, dass Europa kein Missionsgebiet sei. Das hat sich erst seit 1990 mit dem "Konsens von Roscommon" geändert.
Frage: Kehren wir zum Abschluss noch einmal in die USA zurück. Dort stürmen Demonstranten Denkmäler von heute umstrittenen historischen Personen. Was halten Sie davon?
Tauchner: Ich halte das für einen geschichtsunbewussten Fundamentalismus. Weil diese Demonstranten glauben, sie könnten eine Eindeutigkeit herstellen, die es in der Geschichte nicht gibt und nie geben wird. Immer werden Nachgeborene anders auf jene Menschen blicken, die Generationen zuvor auf einen Sockel gehoben wurden. Und nie ist ein Mensch, egal welche Verdienste er haben mag, zu 100 Prozent gut.