Mainzer Oberhirte widerspricht Vatikan-Papier zu Gemeindereformen

Bischof Kohlgraf: Sorge mich "um die vielen noch Engagierten"

Veröffentlicht am 22.07.2020 um 19:00 Uhr – Lesedauer: 

Mainz ‐ Die Instruktion zu Pfarreienreformen schlägt noch immer hohe Wellen. Jetzt kritisierte der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf das Papier scharf. Er könne es "nicht so einfach hinnehmen" und sorge sich um die engagierten Katholiken. Seiner Kritik schließen sich verschiedene Seiten an.

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Der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf hat der neuen Vatikan-Instruktion zu Reformen in Kirchengemeinden offen widersprochen. In einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme schreibt Kohlgraf, er könne diesen "Eingriff" in sein bischöfliches Amt "nicht so einfach hinnehmen".

Kohlgraf (53), der Pastoraltheologe ist, betonte, nach dem römischen Schreiben sorge er sich "um die vielen (noch) Engagierten". Er sagte: "Bald werden sie genug davon haben, wenn ihr Engagement nur misstrauisch beäugt und von oben herab bewertet wird." Er höre, "dass zunehmend keine Motivation mehr herrscht, in einer Kirche mitzumachen, die so auftritt." Das pastorale Engagement dieser Menschen wolle er sich aber nicht nehmen lassen.

Außerdem sorge er sich um die Priester seines Bistums, so der Bischof. "Schon jetzt können wir vakante Stellen nicht besetzen. Viele Priester klagen über Überforderung im Blick auf Verwaltung und Bürokratie." Gerade dies solle aber der römischen Instruktion zufolge bei den Pfarrern bleiben. "Die von uns geplanten Verwaltungsleiter sind nach den römischen Vorstellungen wohl nicht genehm."

Pfarrer "tagen sich zu Tode"

Das Bistum Mainz habe in seinem "Pastoralen Weg" optimistisch mit etwa 50 zukünftigen Pfarreien geplant, obgleich es wisse, "dass wir auch diese in etwa 15 Jahren vielleicht nicht mehr werden alle besetzen können", so Kohlgraf. Pfarrer als Vorsitzende aller Gremien in den jetzigen Strukturen würden sich dann "zu Tode tagen". Kohlgraf fragte: "Ist das wirklich gewollt?" Es scheine ihm auch "widersinnig, jede Zusammenlegung von Pfarreien als Einzelfälle in Rom genehmigen zu lassen". Strukturen hätten sich immer verändert.

Linktipp: Stolperstein auf synodalen Wegen: Roms Instruktion überrascht Bistümer

Mitten in der Sommerpause überrascht die Kleruskongregation die Kirche vor allem in Deutschland mit einem Dokument zu Pfarrei-Reformen – sie schiebt vielem, was bisher möglich schien, einen Riegel vor. Kaum einer weiß, wie es nun in den Bistümern weitergeht.

Die Kernaussagen der Instruktion beträfen nicht nur seine bischöfliche Tätigkeit, sondern auch das Engagement vieler Haupt- und Ehrenamtlicher beim Pastoralen Weg im Bistum Mainz. "Und ich muss es offen sagen: Weder der Stil der Kommunikation noch die scheinbare Selbstverständlichkeit der Aussagen der Instruktion sind alternativlos", schreibt Kohlgraf. Als Bischof von Mainz sei er der 88. Nachfolger des heiligen Bonifatius. Und Bonifatius habe einen guten Blick für die Notwendigkeit zeitgemäßer Strukturen für die Verkündigung des Evangeliums gehabt. "Hätte der Papst damals nur mit den altbewährten Mitteln Pastoral gestalten wollen, dann wäre das Wirken des heiligen Bonifatius überflüssig gewesen."

Für das Bistum Mainz wolle er "auf dem eingeschlagenen Pastoralen Weg bleiben", und er bitte um Unterstützung, so Kohlgraf, der seit drei Jahren Bischof ist. "Ich bin davon überzeugt, dass wir einen guten Weg eingeschlagen haben, der sowohl dem Evangelium als auch den Menschen unserer Zeit gerecht wird. Und ich halte ihn für theologisch durchdacht, auf gut deutsch: Er ist katholisch."

Theologe Zulehner mit gemischten Gefühlen

Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner beurteilt das Vatikan-Dokument zurückhaltend. Einige Aussagen verdienten durchaus weiteres Nachdenken, über andere "sollte man den Mantel des befremdlichen Schweigens hüllen: Zum Beispiel, wie wenig ein Römisches Dokument die biblischen Quellen zitiert", sagte Zulehner laut der Wiener Presseagentur Kathpress. In wichtigen Punkten hinke das Dokument weit hinter der Entwicklung in vielen Ortskirchen her, so Zulehner: "So gesehen hat es einerseits zukunftsfähige Aspekte, ist aber andererseits eine Art pastoraltheologisches Museum."

Pasoraltheologe Paul Michael Zulehner
Bild: ©KNA/Lukas Ilgner

Der Wiener Pasoraltheologe Paul Michael Zulehner.

Wie auch in "Lumen gentium", dem Dokument des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) über die Kirche, stünden widersprüchliche Aussagen "unbekümmert" nebeneinander, so der emeritierte Professor: "Hier eine Priesterkirche, dort die Kirche als Gottesvolk. Die Instructio bietet das Schauspiel eines ekklesiologischen Eiertanzes." So werde zwar die Verantwortung des ganzen Gottesvolkes betont, trotzdem werde der Klerikalismus in gewohnter Franziskus-Manier "verdonnert". Aber "wenn es um die Entscheidungsmacht geht, bleibt das Dokument munter 'klerikal'", sagte Zulehner. Pastoraltheologisch schmerze zudem der Satz, dass der Pfarrer der "grundlegende Bezugspunkt für die Pfarrgemeinde" sei. Zulehner: "So frei vom auferstandenen Christus die Pfarrgemeinde zu definieren, ist ziemlich kühn."

Seelsorge-Chefin: Instruktion im Einklang mit neuen Leitungsmodellen

Die Seelsorge-Chefin im Bistum Münster, Maria Bubenitschek, sieht neue Leitungsmodelle in ihrer Diözese im Einklang mit der überraschend erschienenen Instruktion. "Die Instruktion beschreibt an verschiedenen Stellen, dass es eine gemeinsame Verantwortung aller gibt – Kleriker und so genannter Laien", sagte die Leiterin der Hauptabteilung Seelsorge im Generalvikariat, Maria Bubenitschek, dem Online-Portal kirche-und-leben.de. Das Dokument weise jedoch darauf hin, vorsichtig mit dem Begriff "Leitung" umzugehen. Dieser sei dem Pfarrer vorbehalten. "Möglicherweise bedeutet das für uns im Bistum Münster in der Konsequenz, dass wir den Begriff Leitung durch andere Worte ersetzen, die genau das beschreiben, was gemeint ist."

Am 9. Juli hatte erstmals im Bistum Münster ein Laie die pastorale Leitung einer Pfarrei übernommen. Pastoralreferent Werner Heckmann sei gemeinsam mit Pater Hans-Michael Hürter für die Pfarrei Sankt Georg im münsterländischen Saerbeck zuständig, wie ein Sprecher zur Amtseinführung erklärt hatte. "Pfarrverwalter und somit Leiter der Pfarrei ist mit Pater Hans-Michael Hürter ein Priester", stellte nun Bubenitschek klar. "Diese Form der geteilten Verantwortung entspricht somit den Vorgaben der Instruktion und dem Kirchenrecht."

Bode: "Umkehr zur Klerikalisierung"

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode sieht in dem Dokument eine "Umkehr zur Klerikalisierung". Die Bischöfe habe das Papier "völlig überrascht", auch wenn sich eine Äußerung Roms abgezeichnet hätte. Er sieht darin "eine so starke Bremse der Motivation und Wertschätzung der Dienste von Laien, dass ich große Sorge habe, wie wir unter solchen Bedingungen neue engagierte Christen finden sollen und wie wir unsere pastoralen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterhin gut begleiten und fördern können." Der Synodale Weg sei nun "umso notwenidger".

Am Montag hatte der Vatikan ein Schreiben veröffentlicht, demzufolge Laien von der Gemeindeleitung ausgeschlossen bleiben sollen. Dagegen stärkt der Text die Rolle des Pfarrers. Bestrebungen, die Leitung von Pfarreien beispielsweise Teams aus Priestern und kirchlich Engagierten sowie anderen Mitarbeitern anzuvertrauen, widerspricht das Schreiben direkt. Das Schreiben der Kleruskongregation hat die Form einer Instruktion. Diese klärt als eine Art Verwaltungsanweisung die Anwendung kirchenrechtlicher Normen. Papst Franziskus billigte das Dokument. Kritiker bezeichneten es als rückwärtsgewandt. (mpl/KNA)