Wie eine Familie die Touristen-Seelsorge auf Norderney prägt
Schmunzelnd erinnert sich Diakon Markus Fuhrmann an die erste Begegnung mit Karl-Heinz: Ein paar Wochen, nachdem die Fuhrmanns mit ihren Kindern ins katholische Pfarrhaus eingezogen waren, klopfte es an der Tür. Der protestantische Insulaner "wollte doch mal sehen, wer diese neue Pfarrersfamilie ist" – und ob das jetzt auch bei den Katholischen ginge, das mit dem Heiraten und den Kindern. "Das war seine trockene Art, sich vorzustellen", sagt Fuhrmann und lacht.
Sieben Jahre ist das her. Jahre, in denen er und seine Frau Siri die katholische Seelsorge auf Norderney geprägt haben – als Begleiter der Urlauber und als Ansprechpartner für die Menschen, die auf der Insel leben und arbeiten. Siri Fuhrmann ist als Caritas-Seelsorgerin in die Eltern-Kind-Kuren eingebunden, Markus Seelsorger der Pfarrei – Rollentausch hin und wieder eingeschlossen. "Uns gibt es nur im Doppelpack", erklärt der Seelsorger, der auch mal die Vater-Kind-Kuren begleitet, während seine Frau Aufgaben in der Pfarrei übernimmt. Gehen die Fuhrmanns durch die Straßen des Kurortes, werden sie mit "Hei" gegrüßt – dem Gruß der Einheimischen untereinander. "Angekommen" nennt man das wohl.
Gäste der Insel haben häufig nicht nur Sonnencreme und Windjacke im Gepäck. Sie bringen auch ihre Fragen, Nöte und die Hektik des Alltags mit. "Erholung muss her", weiß das Seelsorge-Duo. Deshalb ist beiden das Da-Sein wichtig: Sie wollen Ruhepole bieten. Die offene Kirche Sankt Ludgerus mit ihrem hell und modern gestalteten Innenraum mitten in der Fußgängerzone ist so ein Ort.
Angebote zur Stille, Impulse aus der Natur und Gesprächsbereitschaft stehen im Vordergrund des wöchentlichen Kirchenplans. Normalerweise. Doch was ist schon normal in dieser Corona-Urlaubssaison? Aus hygienischen Gründen besteht in der teilweise sehr engen Fußgängerzone von Norderney auch unter freiem Himmel eine Maskenpflicht, wie überall gelten Abstandsregeln. "Da ist es gar nicht so einfach, Nähe aufzubauen", hat Siri Fuhrmann erfahren. Neue Wege sind gefragt – und die führen nun oft nach draußen.
Stille als Outdoor-Aktivität
Eine frische Brise weht über die Wiese vor der Caritas Inseloase. Kaninchen hoppeln über das Feld, als der Diakon mit fünf Teilnehmern einen improvisierten Klappstuhlkreis auf dem holprigen Grün bildet. Die Interessierten sind zu einer christlichen Meditation unter der dichten Wolkendecke eingeladen. Eine gute halbe Stunde auf sich selbst und die innere Stimme hören, während der Wind vom Kurhaus die Klänge eines ersten Konzerts nach den Corona-Einschränkungen herüberweht.
Ein älterer Herr im gelben Ostfriesennerz bleibt nach dem Ende der Meditation noch einige Minuten sitzen, seinem Blick haftet eine Traurigkeit an. "Früher bin ich hier immer mit meiner Frau hergefahren – sie fehlt mir so, seit sie vor drei Jahren starb", sagt er. "Hier zu sein an den Orten, die wir gemeinsam so genießen konnten, das hilft mir." Die Anwesenheit der Kirche und anderer Menschen gleichen Glaubens ist ihm eine Stütze.
"Die Kunst, Ruhe zu finden" war im Jahr 2017 der Titel einer Aktion der Touristenseelsorger. Eine kleine Broschüre ist bis heute ein Ankerpunkt in der Arbeit des Seelsorge-Ehepaares. Ruhe und Natur: Wer will, findet auf der Insel beides im Überfluss – und die Fuhrmanns betätigen sich dabei gerne als Reisebegleiter.
Seit Anfang Juli finden dreistündige Wanderungen durch die Weite der Dünen im Osten der Insel statt. Zwei Frauen begleiten Siri Fuhrmann diesmal bei dieser "Wüstenzeit". Psalmen und Gebete geben dem Spaziergang auf Sand seinen Rhythmus. Für die 35-jährige Clarissa sind Bibelverse nicht essenziell wichtig, wie sie sagt, dennoch hat sie aufgetankt in den Dünen. "Die Wüstenzeit war besser, als ich erwartet hatte. Wir haben uns für alles so viel Zeit genommen." Und Siri habe so eine beruhigende Stimme.
"Corona konnte ich total ausblenden"
Impulse, Weite und Freiraum zeigen nach den Schritten im Sand ihre Wirkung: "Ich merke, wie ruhig ich innerlich geworden bin nach diesen drei Stunden. Das war viel mehr als nur ein Natur-Erlebnis, das hat mir einfach gut getan." Dass die Gruppe an diesem Tag nur aus drei Frauen bestand, empfand Clarissa als sehr angenehm, denn bisher hatte sie die Insel meist als überfüllt wahrgenommen. "Corona konnte ich komplett ausblenden, und das tat sehr, sehr gut."
Die Auswirkungen der Kirchenkrise machen auch vor Inseln nicht halt. Und doch spüren die Seelsorger die Sehnsucht der Besucher – gerade im Urlaub. An so einem lebendigen Touristenort komme man mit konventionellen Mustern nicht weiter, sagen die beiden. "Gott hat aufgehört, in der Gesellschaft selbstverständlich zu sein. Was bleibt, ist seine Gegenwart", ist Markus Fuhrmann überzeugt.
Einfach mal mit einer neutralen Person reden, das sei Wunsch vieler Touristen, die auf die Fuhrmanns zugehen. Deshalb hat die Kirchengemeinde für diese Saison erstmals zwei Strandkörbe angemietet. Täglich ist ein Seelsorger am Strand zu finden. Das geht ohne Maske und Desinfektionsmittel. Weitere niederschwellige Angebote sind geplant, sobald die Vorschriften es zulassen.
Frische Brise in stürmischen Zeiten
Seit Pfingsten finden die Gottesdienste auf der Wiese vor dem Gästehaus der Caritas statt. Denn beide Inselkirchen sind zu klein, um den Corona-Hygienebestimmungen Genüge zu tun. Viele Urlauber seien froh, endlich wieder teilnehmen zu können, weiß Diakon Markus. Sonntags kommen schon mal hundert Besucher – wenn das Wetter mitspielt. Diesmal aber kommt reichlich Segen vom Himmel, begleitet von stürmischem Wind.
Nur eine Handvoll Unerschrockener trotzt den Wetterkapriolen – und so kann der Gottesdienst doch in der Kirche stattfinden. Mit Kinderwagen und Mundschutz macht sich die Corona-konforme Prozession durch den Regen auf den Weg nach Stella Maris, wo weitere Urlauber im Trockenen auf die naheliegende Planänderung warten. Die Feier beginnt mit etwas Verspätung, dem falschen Evangeliar, einer Predigt aus dem Stegreif. Die Anwesenden stört das wenig, und nach der Messe scheint auch wieder die Sonne. Schon in wenigen Tagen werden andere Urlauber hier sitzen, um Kraft zu schöpfen für ihren Alltag auf dem Festland. Touristenseelsorge auf Norderney ist wohl ein bisschen wie Ebbe und Flut.