"Der Wille Gottes": Nach dem Tod seiner Frau wurde Udo Casel Priester
Auf eine Biografie wie Udo Casel können wohl nur wenige Neupriester zurückblicken. Mitte Juni empfing er im Kölner Dom die Priesterweihe durch Kardinal Rainer Maria Woelki. "Man kann es noch gar nicht glauben. Ich bin schon 44 Jahre in der Pastoral tätig, seit 33 Jahren Diakon. Jetzt soll man das von heute auf morgen verstehen können", so Casel. Mit 66 Jahren wurde er Priester – das vergleichsweise hohe Alter bei seiner Weihe ist nicht die einzige Besonderheit. Denn Casel ist dreifacher Vater und vierfacher Großvater. Vor zwei Jahren verstarb seine Frau.
Schon früh stand für den gebürtigen Kölner fest, dass er einen pastoralen Beruf ausüben möchte. Als Jugendlicher entschloss es sich jedoch, nicht den Weg des Priesters einzuschlagen; Grund war unter anderem der Zölibat. Nach seinem Engagement in der Jugendarbeit und einige Zufälle absolvierte er Mitte der 1970er Jahre sein Studium an der Fachhochschule Paderborn, der heutigen Katholischen Hochschule im Fachbereich Theologie – als einer der ersten überhaupt. "Es gab noch kein Berufsbild, aber man wusste, es wird Laien geben, die in der Seelsorge arbeiten." Schließlich arbeitete er als Gemeindeassistent in Odenthal und Altenberg im Rheinisch-Bergischen Kreis – in dieser Zeit heiratete er auch seine aus Bayern stammende Frau. Es folgte eine Versetzung ins etwa 50 Kilometer entfernte Bergheim, wo die Casels – mittlerweile samt zweier Töchter und einem Sohn – im Pfarrhaus wohnten – als erster Gemeindereferent im Erzbistum Köln überhaupt. Vor Ort gab es keinen Pfarrer, sodass Casel der seelsorgliche Ansprechpartner war.
Er sei nie ein richtiger Laie gewesen
In dieser Zeit wuchs bei Udo Casel die Berufung zum Diakonat. "Die Leute meinten zu mir, ich sei eigentlich kein richtiger Laie und ich hätte ein Amt. Ich sollte doch Diakon werden", erzählt er. Nach anfänglicher Skepsis entschied er sich doch für diesen Weg. 1987 wurde er zum Diakon geweiht. Nach einer längeren Station in Kürten zogen die Casels 2005 schließlich nach Königswinter.
Als Diakon habe er nichts vermisst, so Udo Casel. "Ich habe ohnehin ja schon vieles von der Arbeit eines Pfarrers getan", sagt er und lacht. Für ihn und seine Frau stand damals aber schon fest: "Wenn das Zölibat fallen würde, wäre ich bereit, mich zum Priesterweihen weihen zu lassen."
2018 verstarb Karin Casel nach einem Krebsleiden. "Das war für mich die härteste Zeit meines Lebens", sagt er über die vorherige Zeit der Pflege. An eine Weihe habe er damals nicht gedacht, vieles andere sei wichtiger gewesen. Im vergangenen Jahr kam ihm der Gedanke doch. "Da habe ich erst einmal gedacht: Nee, sowas darfst du gar nicht denken." Sein geistlicher Begleiter erinnerte ihn in einem Gespräch daran, dass er schon immer eine Berufung hatte. Auch Gespräche in der Personalabteilung ermutigten ihn zu diesem Schritt. Schließlich schrieb er dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki, den er noch aus der Vergangenheit persönlich kennt, einen Brief und bekundete sein Interesse. Woelki lud ihn ein und stimmte seinem Anliegen zu. Seine einzige Bedingung: Seine Kinder müssen einverstanden sein.
"Wir wussten gar nicht, dass das geht"
Als Casel seine zwei Töchter und seinen Sohn zusammenrief, konnten die sich erst einmal gar nicht vorstellen, was ihr Vater wohl verkünden wollte. Die Freude war dann aber groß, als sie erfuhren, dass er Priester werden möchte. "Wir wussten ja gar nicht, dass das geht", hätten sie gesagt. Insgesamt sei die Resonanz auf seine Pläne "durchweg positiv" gewesen, so Casel. "Ich dachte, es kommen bestimmt ein paar, die sagen: Jetzt fängt er an zu spinnen. Aber nein, nichts. Die haben alle gesagt, dass es genau der richtige Weg für mich ist." Für ihn eine Bestätigung nach der Frage der Berufung. "Wenn das Volk Gottes sich einig ist, dann wird es auch der Wille Gottes sein."
Das geforderte Einverständnis hatte sich Casel damit eingeholt. Aufgrund seiner langjährigen Erfahrung musste er nicht den klassischen Weg zur Weihe über das Priesterseminar antreten. Im vergangenen Jahr kam er zu den Priesteranwärtern dazu, die im Seminar im Diakonatsjahr waren. Die letzten fünf Wochen vor der Weihe verbrachte er dann auch im Priesterseminar. "Das war schon ganz schön anstrengend, weil ich am Wochenende voll in der Arbeit in Königswinter drin war und während der Woche im Priesterseminar an den Lehrveranstaltungen teilgenommen habe", erzählt Casel über diese Zeit.
Trotz seiner langen Tätigkeit in der Pastoral waren einige Inhalte für ihn völlig neu: vor allem die Beichtpraxis, inhaltlich wie praktisch, erzählt er. "Das kannte ich nur von der anderen Seite." Selbst zur Messe lernte er einiges dazu. "Das hätte ich gar nicht gedacht. Als Diakon stand ich über 30 Jahre daneben, aber ich habe da viele Kleinigkeiten übersehen, die eigentlich zur Zelebration dazugehören", sagt der Neupriester und lacht. Hinzu kommen die liturgische Praxis, die Rhetorik, auch für ihn als "alten Prediger", sowie das Kirchenrecht.
Seine Erfahrung unterschied ihn dabei auch von den anderen Priesteranwärtern. "Ich merke immer wieder, dass jüngere Priester erst einmal dabei sind, sich zu bemühen, alles richtig zu machen – genau so, wie es in der Kirche sein muss." Er selbst sehe alles etwas lockerer, sagt Casel. Das führte auch mal zu Diskussionen "Wenn man so lange mit Menschen zu tun hat, dann sieht man vieles anders und weiter als nur das, was offiziell richtig ist. Dadurch darf auf keinen Fall die Botschaft verwässert werden oder ich darf nichts tun, was kirchenrechtlich nicht geht – auf keinen Fall." Er denke aber, dass es bei den Priestern mit der Zeit in der Praxis ähnlich sein werde. Als Beispiel nennt er Tauffeiern, die er nicht bis ins kleinste Detail nach dem Rituale vollzieht. "Ich frage die Leute nicht, was sie von der Kirche begehren. Das ist so eine gestelzte Frage." Stattdessen begrüße er alle, frage etwa nach dem Namen. Die wichtigen Stellen aus dem Ritus befolge er trotzdem.
„Wenn ich zu Taufgesprächen oder zu Brautpaaren komme, sagen mir die Leute immer, ich könne ja ganz anders mitreden.“
Auch seine Erfahrungen als Ehemann und Familienvater konnte und kann er gut nutzen. "Wenn ich zu Taufgesprächen oder zu Brautpaaren komme, sagen mir die Leute immer, ich könne ja ganz anders mitreden." So sei es auch beim Thema Verantwortung, erzählt Casel. Eine Stelle aus dem Jakobusbrief erinnere ihn daran: "Dort heißt es: 'Der Bischof soll nur einmal verheiratet sein.' Das heißt, derjenige, der ein Haus leitet, muss erstmal Erfahrungen haben darin, wie er seine eigene Familie leitet, wie er Verantwortung in der Familie einnimmt. Wie man da verantwortlich ist, so verantwortlich ist man auch in der Gemeinde für die Menschen."
Er bleibe trotzdem immer Diakon
Am 19. Juni dann der große Tag: Kardinal Woelki weihte Casel und sechs weitere Männer im Kölner Dom zu Priestern. Es war wohl ein ungewöhnliches Bild, als der frisch geweihte Priester sich mit allen Kindern und Enkeln für ein Foto aufstellte. Mit seinem neuen Dasein realisierte Casel auch, dass er nun eine andere Rolle hat. "Ich stehe jetzt noch ein Stück mehr in der Verantwortung, Christus zu repräsentieren. Denn das ist ja die Rolle des Priesters. Der Diakon repräsentiert den dienenden Christus. Der Priester repräsentiert Christus als Lehrer, Hirten und als den, der andere Menschen mit Gott in Verbindung bringt." Trotzdem, sagt er, bleibe ein Priester auch immer ein Diakon, also der dienende Christus. "Wir tun einen Dienst. Wir haben keine Macht oder wir brauchen nichts herauszustellen. Wir sind für die Leute da. Wenn es darum geht, einen Besen in die Hand zu nehmen, dann müssen wir die ersten sein und es vormachen." Deshalb seien ihm, wie schon zuvor als Diakon, die sozialen Themen besonders wichtig. Doch auch die Glaubensbildung für Erwachsene liege ihm am Herzen, etwa durch Exerzitien im Alltag.
Wie steht ein solcher Priester eigentlich dem Zölibat gegenüber? Er habe es immer für "Quatsch" gehalten, dass Priester verpflichtet seien, zölibatär zu sein. Jetzt, wo er selbst so lebt, sei seine Beziehung zu Christus intensiver. "Man ist radikaler angebunden, alleine an Christus. Sonst hat man noch seine Frau, die man fragen kann. Diese menschliche Bindung oder Tragfähigkeit fällt weg. Man hat jetzt nur noch eine und merkt, dass die die einzig tragende ist." Als Gegner des Zölibats sieht er sich also nicht – trotzdem ist er nach wie vor der Meinung, es könne auch verheiratete Priester geben.
Gemeindereferent, Ehemann, Vater, Diakon, Großvater, Priester: All das war und ist Udo Casel. Bald wird er 67. Bleibe er fit, sagt er, wolle er noch bis 75 als Priester tätig sein. "Aber nicht als leitender Pfarrer, sondern als Pfarrvikar." Für sein Kaplansjahr bleibt Udo Casel noch in Königswinter. Und dann? Dann ist es sein Wunsch, wieder ins Bergische Land zu kommen – wegen seiner Kinder, die dort wohnen und weil seine Frau in Altenberg beerdigt ist. Das wurde ihm auch schon zugesagt. Wo genau, ist noch unbekannt.