Warum die Krankensalbung mehr ist als die "Letzte Ölung"
Als "Letzte Ölung" bezeichnet man auch heutzutage landläufig das Sakrament der Krankensalbung. Zumindest ist es vielerorts noch der Brauch, einen Priester zu holen, wenn der Tod eines Menschen absehbar ist und ihn um die "Letzte Ölung" zu bitten. Was dadurch aber massiv in den Hintergrund gerät, ist die Tatsache, dass das Sakrament der Krankensalbung nicht nur in Todesgefahr empfangen werden sollte. Betrachtet man die Ursprünge und die Geschichte dieses Sakraments, so zeigt sich ein sehr vielschichtiges Bild, das vor allem eines deutlich macht: Der Gedanke der "Letzten Ölung" führt dieses Sakrament sehr eng und verfehlt damit, den breiten Bedeutungshorizont der Krankensalbung zu beschreiben.
Ein Blick in das neutestamentliche Zeugnis macht vor allem drei Stellen deutlich, an denen das Sakrament der Krankensalbung biblisch rückgebunden wird. Zwei Bezugsstellen stammen aus dem Markus-Evangelium: Hier wird jeweils davon berichtet, dass Jesus beziehungsweise seine Jünger die Kranken mit Öl gesalbt haben und ihnen die Hände auflegten, um sie zu heilen (vgl. Mk 6,12f. u. 16,17f). Eine Reflexion dieses Handelns, wie es in den frühen christlichen Gemeinden übernommen wurde, findet sich sehr nachdrücklich im Jakobusbrief. Dort heißt es im fünften Kapitel: "Ist einer unter euch krank, dann rufe er die Ältesten der Gemeinde zu sich; sie sollen Gebete über ihn sprechen und ihn im Namen des Herrn mit Öl salben. Das gläubige Gebet wird den Kranken retten und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden begangen hat, werden sie ihm vergeben (Jak 5,14f)."
Mit dem Gebet, der Handauflegung, der Salbung mit Öl und der Sündenvergebung sind damit die wesentlichen Elemente benannt, die bis heute die Struktur der Spendung der Krankensalbung auszeichnen. In der Alten Kirche war die Salbung der Kranken gängige Praxis, wie zum Beispiel ein Abschnitt aus der Traditio Apostolica, einer Kirchenordnung aus dem frühen 3. Jahrhundert, belegt. Das, was im Handeln Jesu und seiner Jünger seinen Ursprung hat, wurde in den Urgemeinden rezipiert und war schon in den ersten Jahrhunderten des Christentums landläufig verbreitet.
Interessant ist vor allem die lehramtliche Entwicklung des Sakraments. Während die biblischen Bezugsstellen eindeutig davon sprechen, dass Kranke gesalbt und geheilt wurden, wird der Fokus der Spendung der Krankensalbung immer mehr auf den Augenblick der Todesgefahr gelegt. Das Armenierdekret, das 1439 auf dem Konzil von Florenz erlassen wurde, hält fest, dass "die Letzte Ölung (…) nur einem Kranken gespendet werden (darf), dessen Tod befürchtet wird" (DH 1324). Ziemlich ausführlich beschäftigen sich dann die Konzilsväter in Trient mit dem Sakrament "der Letzten Ölung", wobei auch hier sehr nachdrücklich das Augenmerk auf die Sterbenden gelegt wird. Es heißt gar, "dass diese Salbung bei Kranken anzuwenden sei, vor allem aber bei denen, die so gefährlich darniederliegen, dass sie sich schon am Ende des Lebens zu befinden scheinen, weshalb sie auch das Sakrament der Sterbenden genannt wird" (DH 1698).
Damit ist ein wesentlicher Bedeutungswandel des Sakramentes angezeigt: Sprechen die biblischen Bezugstexte und die frühe kirchliche Praxis von einer Salbung von Kranken, so wird das Augenmerk in den lehramtlichen Texten mehr und mehr auf die Sterbenden, die sich in akuter Todesgefahr befinden, gelegt. Das Trienter Konzil spricht dahingehend auch gar nicht mehr von der Krankensalbung, sondern von der Letzten Ölung" als dem Sakrament der Sterbenden.
Zweites Vaticanum hebt die Engführung auf
Erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil erfolgte von lehramtlicher Seite eine Öffnung dieser Engführung. In der Konstitution über die heilige Liturgie heißt es daher auch: "Die 'Letzte Ölung', die auch – und zwar besser – 'Krankensalbung' genannt werden kann, ist nicht nur das Sakrament derer, die sich in äußerster Lebensgefahr befinden. Daher ist der rechte Augenblick für ihren Empfang sicher schon gegeben, wenn der Gläubige beginnt, wegen Krankheit oder Altersschwäche in Lebensgefahr zu geraten (SC 73)." Damit wird zwar die Spendung nicht mehr mit der Sterbesituation verknüpft, dennoch bleibt die Lebensgefahr im Fokus. Besonders bei der Betrachtung der nachkonziliaren Feier der Krankensalbung ist jedoch zu beobachten, dass die Heilung des Kranken im Vordergrund steht.
Mit der Handauflegung, dem Gebet und der Ölsalbung wurden auch die wesentlichen Elemente in den Ritus übernommen, die schon im Jakobusbrief Erwähnung finden. Im Lobpreis über dem geweihten Öl kommt der Gedanke der Heilung sehr deutlich zum Ausdruck, wenn es dort heißt: "Herr, schenke deinem Diener/deiner Dienerin, der/die mit diesem heiligen Öl in der Kraft des Glaubens gesalbt wird, Linderung seiner/ihrer Schmerzen und stärke ihn/sie in seiner/ihrer Schwäche." Im direkten Vergleich mit der Spendeformel, wie sie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil üblich war, fällt dieser Schwerpunkt noch deutlicher auf: War zuvor vom Nachlassen der Sünde und der Auslöschung der Kräfte des Teufels die Rede, rückt nun die Stärkung des Kranken und seine Genesung in den Mittelpunkt.
Im Hinblick auf die aktuelle Situation des Sakraments der Krankensalbung werden vor allem zwei Dinge kontrovers diskutiert: Zunächst geht es um den Bedeutungswandel, der dem Sakrament widerfahren ist. Vielfach wird das Sakrament der Krankensalbung immer noch als "Sakrament der Sterbenden" betrachtet; das wird schon daran deutlich, dass die Bezeichnung als "Letzte Ölung" weiterhin verbreitet ist. Das Zweite Vatikanische Konzil wollte diese Fokussierung aufbrechen: Im Zentrum der Sakramentenspendung steht das Gebet um die Heilung von Krankheit, wobei das Konzil weiterhin die Lebensgefahr im Blick behält. Die Frage lautet also: In welchen Situationen sollte man um das Sakrament der Krankensalbung bitten? Oder, etwas zugespitzter formuliert: Wie schwer muss eine Krankheit sein, damit man dieses Sakrament empfangen darf?
Bedenkt man dabei, dass "Aufrichtung und Rettung" (LG 11) im Blick des Sakramentes stehen, dann kann es dabei wohl nicht nur um Erkrankungen gehen, die unausweichlich den Tod als Folge haben. Die Apostolische Konstitution "Sacram unctionem infirmorum" präzisiert: "Das Sakrament der Krankensalbung wird jenen gespendet, deren Gesundheitszustand bedrohlich angegriffen ist (…)". Freilich wird auch hier nicht näher bestimmt, was das genau bedeutet. Dennoch wird eines sehr deutlich: Die Texte des Zweiten Vaticanums rufen dazu auf, das Sakrament der Krankensalbung zu spenden und zu empfangen – und zwar nicht erst dann, wenn der Tod direkt bevorsteht. Es geht um eine Salbung der Kranken, nicht der Sterbenden, deswegen wird auch ein mehrfacher Empfang dieses Sakraments betont.
Wer darf die Krankensalbung spenden?
Der zweite Punkt betrifft den ordentlichen Spender der Krankensalbung: Dieser ist, so hält es das Trienter Konzil fest, der Priester oder Bischof, keiner sonst (DH 1719). Die Glaubenskongregation hat dies in einer Note aus dem Jahr 2005 noch einmal ausdrücklich betont: "Der Codex des Kanonischen Rechtes nimmt (…) genau die Lehre des Konzils von Trient auf (…), wonach nur die Priester (Bischöfe, Presbyter) Spender des Sakraments der Krankensalbung sind. Diese Lehre ist definitive tenenda." Damit wird gesagt, dass weder Diakone noch Laien das Sakrament der Krankensalbung gültig spenden dürfen.
Gerade in der aktuellen Situation stellt sich aber die Frage, ob es nicht gerade notwendig wäre, auch Diakone und Laien als ordentliche Spender der Krankensalbung zuzulassen. Nicht immer ist ein Priester anwesend, wenn Menschen in akute Todesgefahr geraten. Nicht jeder Priester kann sich um alle Kranken seiner Gemeinde kümmern. Vielfach wird gerade der Dienst der Krankenhausseelsorge nicht mehr von einem Priester, sondern von einem Diakon oder Laien ausgeübt. Oftmals besteht hier auch eine persönliche Beziehung zwischen Kranken und Seelsorgern. Diese wird gerade dort zerbrochen, wo für die Spendung des Sakramentes ein Priester hinzugezogen werden muss. Die Bedeutung der Krankensalbung könnte wieder neu entdeckt werden, wo sie in den Gemeinden regelmäßig gespendet wird – und so einen neuen Stellenwert weitab vom abschreckenden Gedanken der "Letzten Ölung" erhält.