Erster Einsatz steht bevor: Seenotrettung unter kirchlicher Flagge
Der marineblaue Schiffslack glänzt unter spanischer Sonne, die Beiboote sind vertäut, der Umbau vom Forschungsschiff zum Rettungsschiff ist geschafft. In diesen Tagen soll die "Sea-Watch 4" Richtung Libyen in See stechen, um Bootsflüchtlinge vor dem Ertrinken zu retten. Das millionenschwere Leuchtturmprojekt der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sorgt für jede Menge Zuspruch, aber auch für Widerspruch.
Der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm wird nicht an Bord sein, wenn mit mehrmonatiger Verzögerung das Schiff mit den orangen Hebekränen endlich ablegt. Doch die viel beachtete Aktion ist nicht zuletzt seine Mission. Noch nie habe er so viele positive Reaktionen bekommen, betont der Bischof: "Jedes einzelne Leben, das gerettet wird, ist diese Anstrengung wert."
Das Mittelmeer: eine gefährliche Fluchtroute
Das unter Urlaubern so beliebte Mittelmeer gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten weltweit. Zwar geht die Zahl der Toten seit 2016 zurück. Aber allein in diesem Jahr sind dort Schätzungen zufolge bereits 400 Menschen auf ihrer Flucht ertrunken. Um das zu verhindern, halten Hilfsorganisationen häufig per Schiff Ausschau nach Flüchtlingen in Seenot.
Italien und Malta als nächste EU-Staaten setzen dann regelmäßig Schiffe fest und lehnen die Einfahrt in ihre Häfen ab, wie die "Ocean Viking" oder "Alan Kurdi" erfahren mussten. Eine dauerhafte politische Lösung ist immer noch nicht in Sicht. So entsteht meist ein unwürdiges Geschachere, welcher Staat wieviele der Geretteten aufnimmt.
Ob die neue EU-Marineoperation Irini für Besserung sorgt, lässt sich noch nicht absehen. Ihr Hauptziel ist es, das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen und Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Das Retten von Flüchtlingen kommt offenbar an zweiter Stelle.
Kritiker privater Seenotrettung äußern regelmäßig die Sorge, kreuzende Rettungsboote übten eine Sogwirkung auf Flüchtlinge aus. So arbeiteten sie gewollt oder ungewollt Hand in Hand mit Schlepperbanden. Für Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz etwa steht fest, wie sich das Sterben im Mittelmeer am besten stoppen ließe: das Geschäftsmodell der Schlepper zerstören und verhindern, dass sich ihre Boote überhaupt auf den gefährlichen Weg machen.
Kirche mahnen seit Jahren zu Entwicklungshilfe
Doch in den Booten sitzen Menschen – und sie brechen auf, weil sie vor Krieg, Verfolgung oder Armut fliehen. Viele Hilfsorganisationen und die Kirchen schauen deshalb über das Mittelmeer hinaus: Seit Jahren pochen sie auf fairen Handel mit Afrika, mahnen Geld für Entwicklung an, leisten selbst eine Menge von Brunnenbau bis Bildung – und werden dafür oft als "Gutmenschen" abgekanzelt.
Menschlichkeit und Nächstenliebe, für die kriminellen Schlepper eher Fremdwörter. Eine verzweifelte Mutter berichtet, wie ein Schleuser ihr Kind mit dem Messer einschüchterte, weil es vor Angst zu laut geweint hatte. Und manche Kriminelle schippern Flüchtlinge aufs offene Meer, wo sie vom seetauglichen Schnellboot in wankende Schlauchboote umsteigen und auf Retter warten müssen. Das sollen Videos der EU-Grenzschutzagentur beweisen.
"Diese Art von Menschenhandel ist heute einträglicher als Drogenhandel. Der Massentod ist einkalkuliert." So prangerte der Philosoph Richard Schröder das Schlepperwesen in der "Welt" an, kurz nach dem EKD-Beschluss. Wie Bedford-Strohm trat Schröder vor Jahrzehnten in die SPD ein und ist ebenfalls Theologe, doch von privaten Rettungsbooten hält er wenig.
Für die Versorgung von Schiffbrüchigen seien sie nicht ausgestattet: "Wenn sich ihnen kein Hafen öffnet, klagt die Besatzung ganz schnell über unzumutbare hygienische Verhältnisse für die aus Seenot Geretteten, obwohl im Voraus klar war, wann diese unweigerlich eintreten werden. Das riecht nach Erpressung mittels eines vorhergesehen Notstands."
Auch Kritik aus den eigenen Reihen
Auch in der evangelischen Kirche selbst ist der Einsatz nicht unumstritten. Die "Offiziere auf der Brücke" hätten die Orientierung verloren, bemängelt ein Wiener Theologieprofessor. Doch die Kirchenleitung steht einmütig hinter der Aktion, heißt es. Bedford-Strohm, der seine Parteimitgliedschaft seit Übernahme des Bischofsamts ruhen lässt, formulierte es in der "Süddeutschen Zeitung" so: "Natürlich soll keine Parteipolitik in die Kirchen einziehen. Aber es geht darum, auf Grundlage unseres Glaubens zu handeln."
Die "Sea-Watch 4" hat nach offiziellen Angaben rund 1,3 Millionen Euro gekostet, plus mindestens eine halbe Million für den Umbau. Im Hintergrund arbeitet ein Bündnis von 550 kirchlichen und nicht-kirchlichen Partnern. Ärzte ohne Grenzen wird sich um die medizinische Versorgung an Bord kümmern, die Organisation Sea-Watch betreibt das Schiff. Nur bildlich segelt es sozusagen unter EKD-Flagge.
Die katholische Kirche reagiert zwischen Wohlwollen und Zurückhaltung. Sie will ihre Flüchtlingsarbeit fortführen und nicht selbst ein Schiff anheuern. Allerdings hat Kardinal Reinhard Marx, mit dem evangelischen Ratsvorsitzenden freundschaftlich verbunden, für das Projekt einen "namhaften Betrag" zur Verfügung gestellt. Und auch Papst Franziskus liegt die Seenotrettung am Herzen.
Gleich seine erste Reise nach der Wahl 2013 führte ihn auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa. Vom Boot aus warf Franziskus einen Blumenkranz ins Meer, um den ertrunkenen Migranten Respekt zu zeigen. Und immer wieder mahnt er stärkeren Einsatz der reichen Länder an: "Die Wohlstandskultur, die uns an uns selbst denken lässt, macht uns gefühllos gegenüber dem Schrei der anderen."
Wenn die "Sea-Watch 4" demnächst die ersten Migranten an Bord holt, wird die Diskussion wieder Wellen schlagen: Seenotrettung als Rettungsanker in Todesgefahr, als "Anreiz" zur Flucht oder als Handlanger krimineller Banden. Kardinal Marx zog kürzlich im KNA-Interview den Schluss: "Solange die Politik keine menschenwürdige Lösung für dieses Problem findet, nicht für den Krieg in Syrien, für die Lager auf Lesbos, solange müssen wir handeln. Da mache ich keinen Rückzieher."