Warum ein Fürstabt die Brauerei Rothaus gründete

Schlussendlich 42 Seiten lang war das Schreiben, das Martin Gerbert diktierte. Detailliert hatte der Fürstabt von St. Blasien zusammengefasst, wie sich die Benediktinermönche von Oberried in ihrem Kloster und außerhalb der Tore verhalten sollten. Gerbert war zu Ohren gekommen, dass die Disziplin dort etwas nachgelassen hatte. So unterschrieb er und verschickte die Papiere.
Martin Gerbert würde dieser Tage seinen 300. Geburtstag feiern: Geboren wurde er am 11. August 1720. Ein gestrenger Abt, der seine Brüder maßregelte? "Er war eher ein Optimierer, der immer noch versuchte, Dinge zu verbessern, Stellschrauben weiter zu drehen. Das war schon eine sehr moderne Einstellung", so Karl-Heinz Braun, Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Freiburg. Manchem in seiner Gemeinschaft mag er damit bisweilen auf die Nerven gegangen sein - aber Martin Gerbert war so klug, nicht gegen seine Klostermannschaft und seine zahlreichen weltlichen Mitarbeiter zu regieren.
Vielleicht mag das Optimieren mit seiner Abstammung zu tun haben: Seine Eltern waren streng katholische Kaufleute, die aus dem reformierten Basel nach Horb am Neckar - Gerberts Geburtsort - ausgewandert waren. Bildung war ihnen wichtig. So kam Martin, der 16 Geschwister hatte, unter anderem auch in die Benediktinerschule nach St. Blasien. Das Leben dort faszinierte und beeindruckte ihn so, dass er beschloss, selbst Mönch zu werden. 1744, mit 24 Jahren, wurde er zum Priester geweiht.
Die Liebe zur Musik mit der Muttermilch eingesogen
Martin Gerbert interessierte sich schon von klein auf für die Musik. "Die Liebe zur Musik habe ich mit der Muttermilch eingesogen und die Erlernung dieser Kunst von Jugend auf betrieben, auch als dann noch, wie mich schon die strengeren Studien beschäftigten", schrieb er selbst. Die "strengeren Studien", das waren Geschichte, Theologie und Philosophie. Die Leistungen des jungen Benediktiners fielen den Oberen sehr positiv auf und sie förderten ihn nach Kräften. Er wurde auf Studienreisen geschickt, war unterwegs in Alemannien, also dem heutigen Südbaden und der Schweiz, fuhr nach Italien und Frankreich. Martin Gerbert besuchte Bibliotheken und Klöster, bestaunte und studierte Kunstwerke. In St. Blasien war er zu dieser Zeit selbst für die Bibliothek verantwortlich, er recherchierte unter anderem zur Liturgie seiner Heimatregion und zur Musiktheorie. Später, schon als Abt, führte er diese Studien weiter, verfasste ein großes Werk über die Geschichte des Schwarzwaldes und gab auch die Darstellung der Geschichte der deutschen Diözesen in Auftrag, die Germania Sacra - ein Projekt, das bis heute betrieben wird.
Neubau der Kirche als größte Herausforderung
Gerbert war ein Sammler, der seine Bücher mit Bedacht auswählte. Leider ging ein Großteil der Bände beim Brand der Abtei 1768 verloren. Damals war er bereits vier Jahre der Leiter. Es war ein intensiver Neuanfang, den die Mönche und er wagten. So wurde sogar überlegt, das Kloster nicht mehr in St. Blasien zu errichten. Die größte Herausforderung war der Neubau der Kirche, des heutigen "Doms", mit seiner riesigen Kuppel.
Gerbert überwand in seiner Amtszeit auch andere Hindernisse: Oftmals saß er zwischen den Stühlen. Als Fürst im Amt Bonndorf musste er ein Land verantwortlich regieren und die Untertanen satt bekommen - deshalb gründete er die Brauerei Rothaus, eine Sparkasse und machte erste industrielle Gehversuche, indem er die Textilfabrikation zuließ.

Auf dem Wappen von Fürstabt Martin Gerbert sind unter anderem der Fürstenhut und die Abtsmitra zu sehen.
Die Besitzungen des Klosters lagen andererseits meist auf dem Gebiet der Habsburger. Das erforderte diplomatisches Geschick. Dass er bei der Kaiserin Maria Theresia in Wien einen Stein im Brett hatte, half ihm natürlich: "Die Kaiserin war sehr beeindruckt von Gerbert und versprach ihm deshalb auch, solange sie an der Regierung sei, auf das Kloster St. Blasien acht zu geben", sagt Pater Gerfried Sitar, der in St. Paul im Lavanttal (Kärnten), wohin die Benediktiner aus St. Blasien später ziehen werden, der Museumdirektor ist. "Ich sehe, dass Ihnen Ihr Stift lieb ist. Um Ihretwillen soll es mir auch lieb sein!", sagte die Regentin zum Fürst bei einem seiner Aufenthalte in Wien.
Um ihr und den Habsburgern zu gefallen und gleichzeitig etwas für die Bedeutung des Klosters zu tun, startete er eine ungewöhnliche Aktion: 1770 initiierte er die "Feierliche Übersetzung der kaiserlich-königlichen-auch-herzoglich-österreichischen höchsten Leichen". St. Blasien sollte es zur Grablegungsstätte der Habsburger bringen. Die Särge wurden aus dem etwa 20 Kilometer entfernten Königsfelden in der Schweiz, wo sie in einer renovationsbedürftigen Kirche lagen, nach St. Blasien gebracht.
Für den Kaiser sollten Klöster nützlich sein
Martin Gerbert imponierte auch dem Sohn von Maria Theresia, Kaiser Joseph II. Gleichzeitig setzte dieser im Zeichen der Aufklärung noch ungeduldiger auf Reformen in Staat und Kirche. Die Klöster beispielsweise sollten "nützlich" sein, sie sollten Krankenhäuser oder Schulen unterhalten, sich um die Pfarrseelsorge kümmern oder aufgeklärt-kritische Wissenschaft betreiben. Klöster, in denen "nur" gebetet wurde und die Gottesdienste nur für die eigene Gemeinschaft waren, mussten ihre Pforten schließen - wie beispielsweise die Kartäuser im nahen Freiburg. St. Blasien war dagegen schon fast das Modell eines aufgeklärten Klosters. Trotzdem: Auch der Abt im Schwarzwald war nicht nur glücklich. "Martin Gerbert oszillierte hier zwischen den Polen - zwischen denen, die die Reformen unterstützten, darunter manche aufgeklärte Priester und Bischöfe und sogar Äbte und denen, welche die Neuerungen ablehnten", sagt Karl-Heinz Braun. "Grundsätzlich bemühte sich Gerbert dem Willen des Kaisers nachzukommen, aber es missfiel ihm, dass immer weitere Anliegen erlassen wurden." Die Klöster waren bei der Aufnahme von neuen Mönchen beschränkt worden, auch auf die Ausbildung ihres eigenen Nachwuchses wurde massiv Einfluss genommen. Martin Gerbert versuchte zwar während eines längeren Aufenthalts in Wien diese und andere Regeln wieder zu ändern. Es waren jedoch nur kleine Rädchen, die er an den Josephinischen Reformen drehen konnte.
"Bodenhaftung und Bescheidenheit", das zeichnete den Fürstabt aus, sagt Gerfried Sitar. Und Karl-Heinz Braun betont eine "ihm eigene, zähe Energie, Probleme beherzt in Angriff zu nehmen und zu versuchen, diese zu lösen". All dies charakterisiert Martin Gerbert bis zu seinem Tod 1793. Eigentlich wollte er als Zeichen seiner Demut unter dem Eingang zum Kloster bestattet werden, wo alle auf ihn treten, wenn sie hinein wollten. Das aber brachten die Benediktiner dann doch nicht fertig: Er ruht nun vor dem Hauptaltar in der Kirche, deren Bau er selbst mit so viel Herzblut mitgestaltet hat.