Kirche habe zu lange weggeschaut

Bischof Genn kritisiert Arbeitsbedingungen in Fleischindustrie

Veröffentlicht am 19.08.2020 um 16:12 Uhr – Lesedauer: 

Düsseldorf ‐ Seit die prekären Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie zu Corona-Massenausbrüchen geführt haben, steht die Branche massiv in der Kritik. Auch Münsters Bischof Felix Genn beklagt die derzeitige Situation – und übt Selbstkritik.

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Münsters Bischof Felix Genn hat die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie kritisiert. "Es ist beschämend, wie lange wir in der Kirche weggeschaut haben", sagte der Bischof laut dem diözesanen Online-Portal "kirche-und-leben.de" am Mittwoch bei einer Dialogveranstaltung in Warendorf. "Die Menschen in allen betroffenen Sparten würdig unterzubringen und gerecht zu bezahlen, sollte selbstverständlich sein."

Genn forderte zudem eine "verantwortliche Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit" in der Landwirtschaft. Die Bewahrung der Schöpfung gehöre "zur DNA der Kirche": Man dürfe "die Erde nicht ausnutzen, sondern bebauen und bewahren". Zugleich gelte es, die schwere Situation der Bauern im Blick zu halten; ihre Familienbetriebe dürften nicht "unter die Räder kommen".

Genn rief die Landwirte auf, den Prozess der Veränderungen aktiv mitzugestalten. Sie hätten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Auftrag im Zusammenleben der Menschen, der nur im Dialog mit anderen gesellschaftlichen Akteuren erfüllt werden könne, sagte der Bischof, der selbst einer Bauernfamilie in der Eifel entstammt. Auch die Kirche selbst stehe in dieser Diskussion in der Pflicht - "etwa bei der Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen in Kirchenbesitz oder beim Einsatz regionaler Produkte in kirchlichen Einrichtungen".

Bild: ©dpa/picture alliance/Friso Gentsch

Seit Jahren kritisiert Pfarrer Peter Kossen die Bedingungen für Arbeitsmigranten, unter anderem in der Fleischbranche.

Genn äußerte sich in der Freckenhorster Landvolkshochschule zum Abschluss eines einjährigen Agrardialogs mit Vertretern aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Handel, Umweltschutzorganisationen und Kirche. Bei dem Dialog auf Initiative des Bistums Münster, der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) und der Landjugendbewegung (KLJB) wurden laut kirche-und-leben.de Leitlinien entwickelt, die zum Erntedankfest im Oktober vorgestellt werden sollen. Laut der vorläufigen Fassung fordern die Initiatoren eine multifunktionale Landwirtschaft, die Lebensmittelerzeugung, Produktion nachhaltiger Rohstoffe, Landwirtschaftspflege, Naturschutz und soziale Sicherheit der bäuerlichen Familie verbindet.

Am Mittwoch teilte die Staatskanzlei in Düsseldorf mit, dass Sozialpfarrer Peter Kossen (52) zusammen mit dem Fußballer Mario Götze (28) und Astronaut Reinhold Ewald (63) den nordrhein-westfälischen Landesverdienstorden erhält. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) überreicht die Auszeichnung für herausragende Verdienste um das Gemeinwohl am Sonntag in Köln. Insgesamt werden 14 Persönlichkeiten aus Anlass des 74. Jahrestages der Gründung von NRW geehrt, wie die Staatskanzlei am Mittwoch mitteilte.

Der in Lengerich tätige Geistliche Kossen sei spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie in zwei fleischverarbeitenden Betrieben bundesweit als hartnäckiger Kämpfer gegen menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen und für Menschenwürde und Gerechtigkeit bekannt, hieß es zur Begründung. Kossen prangert bereits seit Jahren die prekären Lebensbedingungen der Leiharbeiter in Fleischindustrie und Landwirtschaft an. Er ist Priester des Bistums Münster. (rom/KNA)