Boff: Bolsonaro voller "Hass, Verachtung, Lüge und Vulgarität"
Der brasilianische Befreiungstheologe Leonardo Boff fordert mit einer scharfen Kritik an der Regierung von Jair Bolsonaro die Absetzung des Präsidenten. In einem am Sonntag in mehreren spanischsprachigen Medien veröffentlichten Text beklagt er, dass man von Präsident Bolsonaro "bürgerliche Tugenden und ein Zeugnis menschlicher Werte" erwarten würde, stattdessen seien seine Worte "voller Hass, Verachtung, Lügen und Vulgarität". Der Präsident greife das an, was in einer Gesellschaft am wertvollsten sei: Kultur, Wissenschaft, Bildung, Gesundheit und ökologischen Reichtum. Es sei demütigend zu sehen, dass keine der staatlichen Institutionen den "patriotischen Mut" habe, "innerhalb des gesetzlichen Rahmens" die Amtsenthebung eines Präsidenten zu betreiben, der "eindeutige Anzeichen politischer, ethischer und psychologischer Unfähigkeit zeigt, einer Nation von den Ausmaßen Brasiliens vorzustehen", so der brasilianische Theologe.
Boff beklagt, dass die brasilianische Demokratie schon immer schwach gewesen sei. Mittlerweile sei sie zur Farce geworden, da die Regierung die Verfassung nicht respektiere und Gesetze mit Füßen trete. Die staatlichen Institutionen würden nur dann tätig, wenn die Interessen von Unternehmen bedroht seien. Die Regierung sei geprägt von "Beleidigungen, Verleumdungen, Fake News, Lügen und gewaltsamen Angriffe auf Schwarze, Arme, Quilombolas [Nachkommen ehemaliger Sklaven], Indigene, Frauen und LGBT-Aktivisten".
Vier dunkle Schatten über Brasilien
Über Brasilien lägen "vier dunkle Schatten": Der "Schatten des Völkermords" an den Indigenen, der "Schatten der Kolonialisierung", der das Land und seine Ressourcen geplündert habe, der "Schatten der Sklaverei" der auf den Zuckerplantagen "verheizten" Schwarzen und der "Schatten einer rückständigen Elite, die den fragilen Staat seit jeher besetzen und ihn zu ihrem Vorteil nutzen". Bolsonaro sei ein Beispiel für die von Boff beklagte "rückständige Elite". Eine "ultrakonservative und intolerante Politik mit faschistischen Anklängen" habe sich gewaltsam Bahn gebrochen. Kein Land habe in den vergangenen 50 Jahren eine solche Barbarei erlebt wie Brasilien, "die es dem deutschen und italienischen Nationalsozialismus angenähert" habe. Das Land sei dem Spott der Welt ausgesetzt und habe sich zu einem Ausgestoßenen unter den Staaten entwickelt.
Jair Bolsonaro ist seit Januar 2019 Präsident Brasiliens. Aufgrund seines mangelhaften Managements der Pandemie in dem südamerikanischen Land, das über 100.000 Corona-Tote und eine schwere Wirtschaftskrise zu beklagen hat, rechneten Beobachter mit einem Amtsenthebungsverfahren. Im Juli haben 152 amtierende und emeritierte brasilianische Bischöfe schwere Vorwürfe gegen den Präsidenten erhoben. Jüngste Umfragewerte attestieren dem Präsidenten allerdings die höchsten Zufriedenheitswerte seiner Amtszeit; als Grund dafür werden großzügige Corona-Beihilfe in Höhe von umgerechnet etwa 100 Euro im Monat gesehen. Unter Bolsonaro hat die Abholzung des Regenwalds im Amazonasgebiet noch einmal deutlich an Geschwindigkeit gewonnen, zudem laufen Ermittlungen aufgrund von Fake-News-Netzwerken, in die die Familie Bolsonaros verstrickt sein soll.
Der 1938 geborene Leonardo Boff ist ehemaliger Franziskaner und wurde 1992 in den Laienstand versetzt, nachdem er jahrelang im Konflikt mit Bischöfen und der Glaubenskongregation aufgrund seiner Nähe zu marxistischen Thesen und seiner Kritik am Episkopat war. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Theologie der Befreiung und beschäftigt sich vor allem mit einer Ausweitung der Befreiungstheologie auf ökologische Fragen. An Jair Bolsonaro übt er regelmäßig scharfe Kritik, unter anderem hatte er Bolsonaros Politik im Juni auf seinem Twitter-Account als Völkermord bezeichnet. (fxn)