Bischof Wilmer fordert "Kontrolle der Macht" in katholischer Kirche
Der Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer fordert "eine Kontrolle der Macht" und weniger Klerikalismus in der katholischen Kirche. "Wir brauchen einen offenen Diskurs, eine Kirche, die sich kritisch mit ihren Strukturen auseinandersetzt, die teilweise noch aus feudalen Zeiten stammen", sagte der Bischof im Interview von "Spiegel Online" (Dienstag). Klerikalismus bedeute, dass es eine losgelöste Macht von Geistlichen im System gebe. Um dies zu vermeiden, sollte unter anderem getauften Frauen und Männern Verantwortung übertragen werden.
Wilmer hatte im Dezember 2018 mit seiner Aussage für Aufsehen gesorgt, dass Machtmissbrauch in der DNA der Kirche stecke. Man könne das nicht mehr als peripher abtun, sondern müsse radikal umdenken. "Bisher aber fehlt es uns an jeglicher Idee, welche Konsequenzen das für die Theologie haben muss", so Wilmer damals. Widerspruch gab es unter anderem vom Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki. Wenn das Böse der Struktur der Kirche eingestiftet wäre, dann müsste der Staat gleich handeln und die Kirche verbieten, so Woelki. "Nein, es steckt nicht in der DNA der Kirche."
Warum Missbrauchs-Zahlen in Orden erst jetzt erhoben wurden...
Auch zur kürzlich vorgelegten Missbrauchs-Umfrage der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) äußerte sich der Hildesheimer Bischof jetzt: "Dass die Zahlen erst jetzt erhoben und veröffentlicht werden konnten, hat auch mit der Anzahl und Unterschiedlichkeit der deutschen Ordensgemeinschaften zu tun." In seiner Zeit als Generaloberer der Herz-Jesu-Priester habe er in Fällen sexualisierter Gewalt mit staatlichen Behörden zusammengearbeitet.
Die DOK hatte Ende August eine in Eigenregie durchgeführte Umfrage unter 392 Gemeinschaften vorgelegt. Demnach hat es in den zurückliegenden Jahrzehnten Missbrauchsvorwürfe gegen mindestens 654 katholische Ordensleute in Deutschland gegeben. Wenigstens 1.412 Kinder, Jugendliche oder Schutzbefohlene waren von sexuellen Übergriffen betroffen. Die DOK-Vorsitzende Katharina Kluitmann sprach zudem von einer nicht näher bestimmbaren Dunkelziffer. Eine wissenschaftliche Aufarbeitung sei dem Dachverband der Orden nicht möglich, weil es an Geld und Personal mangele.
Die Corona-Krise habe ihm gezeigt, dass Menschen in schwierigen Zeiten stärker zusammenhalten als viele vermuten, sagte Wilmer. "Corona ist eine Offenbarung." Von den Initiativen und Ideen der Mitarbeiter in seiner Diözese sei er beeindruckt gewesen. Seelsorger und karitative Initiativen der Kirche hätten auch während des Lockdowns viel getan.
"Zu Beginn der Pandemie herrschten Schockstarre und eine gewisse Lähmung, die dazu geführt haben, dass wir auf Abstand gingen", erklärte Wilmer. "Wir konnten ja nicht das Leben predigen und zugleich fahrlässig damit umgehen." Kritiker werfen der Kirche vor, während der Phase der strengen Kontaktbeschränkungen im Frühjahr nicht präsent genug gewesen zu sein. (tmg/KNA)