Mitautor von Ökumene-Dokument: Argumente dagegen müssen fundiert sein
Die Kritik der Glaubenskongregation an einem Dokument des Ökumenischen Arbeitskreises beschäftigt auch die Bischofskonferenz. Gut so, findet der Eichstätter Fundamentaltheologe Christoph Böttigheimer, der dieser Arbeitsgruppe angehört. Im Interview verteidigt er das Papier und fordert die Veröffentlichung des Briefs aus dem Vatikan.
Frage: Herr Böttigheimer, Sie sind Mitglied des Ökumenischen Arbeitskreises (ÖAK) und haben am Dokument "Gemeinsam am Tisch des Herrn" mitgearbeitet. Hat Sie der Brief der Glaubenskongregation mit seiner Kritik überrascht?
Böttigheimer: Wir waren uns sehr wohl bewusst, dass auch eine kritische Rezension des Papiers erfolgen könnte. Das ist im theologischen Diskurs nichts Ungewöhnliches. Was nun den Brief aus dem Vatikan anbelangt, ist es für mich etwas schwierig darauf zu reagieren, weil er mir nicht vorliegt. Aber es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass der ÖAK nicht für eine ökumenische Mahlgemeinschaft votiert hat und schon gar nicht für eine Interzelebration. Diese Kritik gab es bereits in den vergangenen Monaten. Es geht uns um einen vorgelagerten Schritt: die wechselseitige Öffnung und Teilnahme an einer konfessionellen Mahlfeier. Damit soll den Fortschritten Rechnung getragen werden, die in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ökumenisch erzielt wurden.
Frage: Worauf beziehen Sie sich?
Böttigheimer: Es ist unsere Überzeugung, dass sich sowohl in Fragen der Ekklesiologie als auch in der Eucharistie und der Frage des Amtes solche fundamentalen Annäherungen ergeben haben, dass die Unterschiede nicht mehr als kirchentrennend angesehen werden können. Wenn die Glaubenskongregation von "gewichtigen" Gründen redet, wie es in der Berichterstattung heißt, müssen diese Punkte eigens benannt werden. Es ist ein Problem der Konsensökumene, dass immer gesagt werden kann, der erreichte Konsens oder die erreichte Konvergenz seien noch nicht ausreichend. Diese Kritik muss aber fundiert begründet und dabei der grundlegenden ökumenischen Maxime gefolgt werden, dass nicht die Einheit der Kirchen, sondern deren Trennung der Rechtfertigung bedarf. Wer gegen eine wechselseitige Einladung zur Mahlfeier votiert, muss diesen Schritt theologisch begründen und darlegen können, warum diese Gründe so gewichtig sind, dass der Schritt, den der ökumenische Arbeitskreis mit guten und theologisch fundierten Gründen dargelegt hat, noch nicht verantwortet werden kann.
Frage: Sie fordern also eine gute theologische Begründung?
Böttigheimer: Unbedingt! Einfach zu sagen: Das bisherige reicht nicht, ist ein ökumenisches Totschlag-Argument. So kann man jede Annäherung verhindern. Es müsste seitens der Glaubenskongregation deshalb genauso theologisch differenziert argumentiert werden, wie es das Papier des Arbeitskreises tut. Ob das geschieht, entzieht sich aber, wie gesagt, bislang meiner Kenntnis.
Frage: Der Brief aus dem Vatikan kritisiert, dass im Papier des ÖAK die Fragen des "katholischen Grundverständnisses von Kirche, Eucharistie und Weiheamt" nicht ausreichend geklärt seien. Hat der Vatikan damit völlig Unrecht?
Böttigheimer: Ich denke schon, dass es eine wechselseitige Teilnahme an der Eucharistie oder dem Abendmahl geben kann und dieser Schritt theologisch sehr gut begründet ist. Es haben in der jüngeren Vergangenheit weit über den ÖAK hinaus ökumenische Diskurse stattgefunden. Genau auf diesen Gebieten – der Ekklesiologie, der Theologie der Eucharistie und des Amtes – haben sich bedeutende Annäherungen ergeben. Die Frage ist jedoch auch, welche Bedeutung der Eucharistie innerhalb der Kirche zukommt, also worum es hierbei letztlich geht. Wird hier Kirche gefeiert? Wird hier das Weiheamt absolut gesetzt in Bezug auf die Zelebration der Eucharistie? Natürlich sind das alles Fragen, die wir sehr wohl in unser Dokument miteinbezogen haben und die berücksichtigt werden müssen. Doch zunächst geht es bei Eucharistie und Abendmahl ganz zentral um die Feier des Glaubens selbst.
Frage: Daraus ergibt sich die gegenseitige Einladung zu Eucharistie und Abendmahl?
Böttigheimer: Wenn sich im Glauben keine grundlegenden Differenzen mehr ergeben, muss man ernsthaft darüber nachdenken, warum eine solche gegenseitige Einladung nicht ausgesprochen werden sollte. Außerdem hat der ÖAK lediglich dafür votiert und es nicht gefordert. Wir haben darauf hingewiesen, dass nun sozusagen die Früchte der Ökumene geerntet werden und Konsequenzen gezogen werden müssen. Wer dagegen argumentiert und meint, dass hier die Annäherungen immer noch nicht ausreichen, um konkrete Schritte bezüglich der Eucharistiepraxis folgen zu lassen, muss seinerseits präzise erklären, was nötig wäre, um eine Öffnung konfessioneller Mahlfeiern für Christinnen und Christen aus anderen Traditionen verantworten zu können.
Frage: Was die Glaubenskongregation am Dokument des ÖAK kritisiert, ist die Devise "Christus lädt ein" zur Eucharistie, die problematisch sei und sich damit über die eucharistische Ekklesiologie des II. Vatikanums hinwegsetze…
Böttigheimer: Die Rezeption des Konzils ist noch längst nicht abgeschlossen. Sie wird im Hinblick auf Ekklesiologie und Amtstheologie kontrovers geführt. Natürlich ist "Christus lädt ein" ein verkürzendes Schlagwort; ebenso verkürzt ist es aber auch zu sagen, "die Kirche lädt ein". Wenn das Haupt der Kirche Christus ist, hängt ja beides sehr eng miteinander zusammen und somit kann das, was in der Eucharistie gefeiert wird, weder allein auf Christus noch auf die Kirche fokussiert gesehen werden: Beides bedingt sich gegenseitig. So ist klar, dass die Kirche nicht sich selbst feiert, sondern die Gemeinschaft mit Christus. Wenn es nicht allein um die Gemeinschaft mit der Kirche geht, sondern auch um die Gemeinschaft mit Jesus Christus, dann spielt natürlich der Christusglaube eine ganz zentrale Rolle und nicht nur die formale Kirchenzugehörigkeit.
Frage: Die Glaubenskongregation hat auch bemängelt, dass die Taufe im Dokument des ÖAK zu stark betont wurde und die weiteren Initiationssakramente Firmung und Kommunion zu wenig Bedeutung erfahren hätten. Gab es also eine zu starke Fokussierung auf die Taufe?
Böttigheimer: Dass die Eucharistie in der Taufe implizit mit angesprochen und enthalten ist, wird allein schon daran deutlich, dass zu ihr das Verlangen gehört, mit Christus verbunden sein. Diese Verbundenheit wird in den Sakramenten, insbesondere der Eucharistie, gefeiert. Deshalb verstehe ich nicht, wenn hier womöglich eine Vernachlässigung anderer Initiationssakramente kritisiert wird. Aus der Taufe ergibt sich schon der Impetus hin zur Eucharistie und davon handelt das ganze Dokument.
Frage: Es wird zudem verwiesen auf andere ökumenische Papiere der vergangenen Jahre, die den konfessionellen Überzeugungen größeren Raum geben…
Böttigheimer: Natürlich gibt es eine beinahe unüberschaubare Flut von ökumenischen Dokumenten. Unser Dokument versucht jedoch nicht, jeden Aspekt all dieser Papiere noch einmal detailliert aufzunehmen, sondern es verweist zu Beginn darauf, dass es im Kontext weiterer Dokumente steht. Wir wollten auf Grundlage bereits anderweitig veröffentlichter Überlegungen einen konkreten Vorschlag machen. Dass dabei natürlich nicht jedes theologische Argument neu entfaltet wird ist zutreffend, aber das ist auch nicht der Anspruch gewesen. Wohl wird aber hier theologiegeschichtlich etwas Innovatives geleistet, mit dem breiten Hinweis auf die liturgische Vielfalt in der Geschichte der Kirche. Das ist ein gutes Beispiel für das, dass hier auch Neues herausgearbeitet wurde. So kann man am Ende dafür votieren, sich gegenseitig zur je eigenen konfessionellen Feier einzuladen, weil es eben nicht die eine Feier gibt, wie es die Vielfalt an eucharistischen Feiern in der Geschichte der Kirche lehrt.
Frage: Wäre es ein Rückschlag für die Ökumene, wenn nun nach dem Brief der Kongregation entgegen der Ankündigung des DBK-Vorsitzenden Georg Bätzing beim ÖKT in Frankfurt doch nicht das Dokument zur Anwendung kommt?
Böttigheimer: Ob der Brief eine Anwendung unterbindet, ist letztlich eine Entscheidung der Bischofskonferenz. Die Bischöfe werden sich bei ihrer Herbstvollversammlung in diesen Tagen mit dieser Frage auseinandersetzen. Und das müssen sie inhaltlich tun und sich dementsprechend positionieren. Es geht im wesentlich um theologische Fragen, die wissenschaftlich erörtert werden müssen. Es kann schließlich nicht sein, dass ein Brief aus dem Vatikan die Entscheidungsfindung in den Bischofskonferenzen erübrigt! Es muss eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Einwänden geben, die der Brief enthält. Und mit der Frage, ob diese Einwände so triftig sind, dass sie das, wofür im Papier des ÖAK votiert wird, unmöglich machen.
Frage: Würden Sie sich wünschen, dass eine gegenseitige Teilnahme an Eucharistie und Abendmahl beim ÖKT stattfinden könnte?
Böttigheimer: Natürlich, ganz klar wünsche ich mir das. Allein schon, weil dieser Wunsch evangeliumsgemäß ist. Dass wir gemeinsam feiern ist der Grundgedanke des Evangeliums; dass wir getrennt feiern ist das, was nicht sein soll, der Skandal. Wenn unser Dokument nicht zur Anwendung kommen sollte, müsste die Bischofskonferenz in der Öffentlichkeit schon theologisch fundierte Argumente für die fortdauernde Trennung am Tisch des Herrn und den Brief aus Rom in seinem Wortlaut vorlegen.
Abendmahl und Eucharistie: Wer darf wo?
Wer darf in der katholischen Kirche die Eucharistie empfangen? Und dürfen Katholiken zum evangelischen Abendmahl gehen? Katholisch.de erklärt: Das müssen Katholiken, Protestanten & Co. beachten.Frage: Der Brief argumentiert auch damit, dass eine ökumenische Öffnung hin zu den Protestanten einer Ökumene mit den Orthodoxen im Weg stehen könnte. Können Sie dieses Argument nachvollziehen?
Böttigheimer: Dieses Argument ist oft zu hören. Nachvollziehen kann ich es nur bedingt, denn mit dieser pauschalen Formulierung wird suggeriert, Einheit und Ökumene seien diplomatisches Abwägen. Aber darum kann es nicht gehen. Wir müssen versuchen, uns gemeinsam der Wahrheit des Evangeliums anzunähern. Was hier als theologisch einsichtig erkannt wird, muss in unterschiedlichen Dialogen eingebracht werden. Sowohl innerhalb des Dialogs mit der evangelischen Kirche als auch mit der orthodoxen Kirche. Für das, was als wahr erkannt wird, muss mit Wahrhaftigkeit eingetreten werden. Es kann schließlich nicht sein, dass etwas, das als wahr erkannt wurde, nur deshalb nicht zur Anwendung kommt, weil sich daraus negative Konsequenzen ergeben könnten. Wenn also aus Rücksicht auf die Orthodoxie keine Konsequenzen gezogen würden, heißt das natürlich im umgekehrten Sinn, dass dieser Schritt negative Konsequenzen für die Ökumene mit den evangelisch-lutherischen Christen hätte. Die West-West-Ökumene darf nicht gegen die West-Ost-Ökumene ausgespielt werden. Es muss um überzeugende Argumente gehen und diese müssen in jede Richtung eingebracht werden.
Frage: Wie ist die Stimmung im ÖAK angesichts des Briefs aus dem Vatikan, denn es stecken schließlich zehn Jahre Arbeit im Dokument?
Böttigheimer: Der ÖAK trifft sich jährlich, Corona-bedingt hat es dieses Jahr kein Treffen gegeben. Dort hätten wir uns über die Rezeption des Papiers ausgetauscht. Uns war vorher klar, dass es womöglich nicht auf ungeteilte Zustimmung stoßen würde. Aber die Kritik aus dem Vatikan bedeutet natürlich keine Nivellierung unserer Arbeit. Die Glaubenskongregation ist eine Stimme unter vielen im theologischen Diskurs. Was der ÖAK vorgelegt hat, steht im Raum und wird durch eine negative Rezeption nicht einfach obsolet. Diese Kritik wird je nachdem wirksam werden, wie theologisch fundiert sie ist. Es kommt darauf an, was im Austausch theologischer Argumente letztlich überzeugt.
Frage: Sie fordern also eine Veröffentlichung der genauen theologischen Kritik aus dem Vatikan?
Böttigheimer: Ja, unbedingt! Die Wahrheitsfindung, der Gehalt des Evangeliums kann innerhalb der Kirche grundsätzlich nur auf dialogische Weise zum Tragen kommen, und Dialog heißt auch Transparenz. Das ist mitunter ein schmerzhafter Prozess, aber ich glaube, die katholische Kirche in Deutschland hat mittlerweile zum Großteil erkannt, dass es ohne Dialog keine Glaubenspraxis und -tradierung geben kann. Und wenn auch nicht alle ungeteilt hinter der Methode des Dialogs und des gegenwärtigen Dialogprozesses stehen, so ist er doch alternativlos, weil er vom Evangelium gefordert wird. Die Offenbarung ist uns dialogisch zuteil geworden und kann darum auch nur so erschlossen werden.