Damaliger Generalvikar sieht keine persönliche Schuld

Erzbischof Heße bestreitet Belastung durch Kölner Missbrauchsstudie

Veröffentlicht am 23.09.2020 um 11:55 Uhr – Lesedauer: 

Hamburg ‐ Eigentlich sollte die Studie zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln schon im März erscheinen – doch rechtliche Gründe haben das verhindert. Nun erläutert der damalige Kölner Generalvikar Stefan Heße, warum er der Darstellung seiner Rolle in der Studie widerspricht.

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Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße weist Darstellungen in der Kölner Missbrauchsstudie zu seiner Rolle im Umgang mit sexualisierter Gewalt während seiner Zeit als Personalchef und Generalvikar des Erzbistums Köln zurück. Der Zeit-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag) liegt ein Auszug aus der noch unveröffentlichten Studie vor, in dem Heße eine "indifferente[], von fehlendem Problembewusstsein geprägte[] Haltung" attestiert wird. Vollständig lautet das Zitat, mit dem der Erzbischof in einem Interview konfrontiert wurde: "Dieser Befund gestattet die Schlussfolgerung, dass es sich bei den Unzulänglichkeiten, einschließlich fehlender Opferfürsorge, nicht um Einzelfälle handelt, sondern um regelmäßig wiederkehrende, durchgängig festzustellende Mängel in der Sachbehandlung von Missbrauchsfällen basierend auf einer indifferenten, von fehlendem Problembewusstsein geprägten Haltung des Dr. Heße gegenüber Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker."

Laut Heße hat es in der von der Münchner Kanzlei "Westpfahl, Spilker, Wastl" vorgenommenen Auswertung der Personalakten des Erzbistums Kölns "handwerkliche Unzulänglichkeiten" gegeben. Eine von ihm selbst angestoßene Aktenauswertung habe eine "vollkommen gegenteilige Sicht" ergeben: "Wir haben die Fälle, mit denen dieser Befund von den Münchner Anwälten begründet wurde, anhand der Akten überprüft, die uns erst nach mehrmaligem Drängen zur Verfügung gestellt wurden. Danach hat dieser Befund, wie Sie es nennen, keine Grundlage", so Heße in dem Interview, in dem er sich von den Autoren der Studie wünscht, sie hätten "gründlicher arbeiten können". Es sei versäumt worden, "das Design [zu] beschreiben und auch zentrale rechtliche Fragen von Anfang an [zu] klären". In einer Stellungnahme des Justiziars des Erzbistums Hamburg wird nach “Christ & Welt”-Informationen gefordert, die Studie "nur im Paket" mit der Darstellung Heßes zu veröffentlichen.

Heße: "Schuld nein, Mitverantwortung ja"

Eine persönliche Schuld schließt der Hamburger Erzbischof aus: "Schuld nein, Mitverantwortung ja." Er habe persönlich Verantwortung übernommen, "aber auch Mitverantwortung für ein System, das zweifelsohne Leid verursacht hat. Diese Verantwortung will ich und werde ich tragen", so Heße. Für sich selbst könne er aber ausschließen, dass er jemals versucht hätte, "Täter zu schützen oder Taten zu vertuschen".

Heße betonte, er habe von Anfang an Kardinal Woelki seine Unterstützung signalisiert und auch selbst an der Studie mitgewirkt, indem er sich 2019 von den Anwälten habe befragen lassen. Außerdem hätten er und sein Justiziar schriftliche Stellungnahmen abgegeben. Er habe dabei auf "datenschutzrechtliche und persönlichkeitsrechtliche Aspekte" hingewiesen. Insgesamt gehe es um sechs Fälle sexualisierter Gewalt, mit denen Heße in seiner Zeit als Personalchef (ab 2006) und Generalvikar (2012-2015) des Erzbistums Köln befasst war.

Im Interview beschreibt Heße das während seiner Zeit im Erzbistum Köln angewandte Verfahren. Missbrauchsfälle seien demnach in der Personalabteilung Chefsache gewesen, daher sei er auch erst als Leiter der Hauptabteilung Personal direkt damit befasst worden, nicht zuvor als stellvertretender Leiter der Abteilung. Mit Prälat Norbert Trippen habe es einen Ansprechpartner für Betroffene gegeben, der Fälle aufgenommen und, so Heße, "so ganz grob" geprüft hat. Heße habe dann auf dieser Grundlage zusammen mit der Justiziarin Akteneinsicht genommen und Gespräche mit Betroffenen und Beschuldigten geführt. Bei nächster Gelegenheit seien Kardinal Joachim Meisner und der Generalvikar informiert worden. Meisner sei über jeden Fall informiert gewesen. Die Praxis, Personalakten nach zehn Jahren zu vernichten, hat Heße nach eigenen Angaben beendet: "Ich habe das einmal erlebt und mir zunächst noch wenig dabei gedacht." Ein Fall einer Betroffenenen, bei der Akten zum mutmaßlichen Täter vernichtet wurden, habe ihn zum Umdenken gebracht. Auch im Erzbistum Hamburg würden heute keine Akten vernichtet.

Tatsächliche Dimension erst spät erkannt

Der persönliche Kontakt mit Betroffenen habe Heße verändert: "Ich war nach solchen Gesprächen immer emotional total fertig." Die tatsächliche Dimension des Missbrauchs in der Kirche sei ihm erst spät bewusst geworden: "Am Anfang kam dieser und jener Fall. Mein Lernschritt war: Es sind keine Einzelfälle", so Heße. Auf diese Aufgabe sei er nicht vorbereitet gewesen: "Dafür war ich auch nicht ausgebildet. Das sehe ich heute als sehr großes Defizit."

Die eigentlich für den März geplante Veröffentlichung der Ergebnisse einer unabhängigen Untersuchung zu Missbrauchsfällen im Erzbistum Köln wurde aus rechtlichen Gründen abgesagt. Laut einer Mitteilung des Erzbistums konnten "nicht alle für eine Veröffentlichung relevanten rechtlichen Fragen abschließend geklärt werden". Ein neuer Termin für die Veröffentlichung ist seither nicht mitgeteilt worden. Das Erzbistum hält aber daran fest, die Studie auch mit einer namentlichen Benennung von Verantwortlichen und ihrer Rolle zu veröffentlichten. (fxn)