Franziskus für Lebenspartnerschaft: Ein neues Kapitel in der Kirche?
Wieder löst ein Satz von Papst Franziskus ein mediales Beben aus – und wieder sagt er ihn nahezu beiläufig. Diesmal geschah es nicht auf einer "fliegenden Pressekonferenz", sondern in einer am Mittwoch uraufgeführten Filmbiografie über ihn, in der der Pontifex selbst zu Wort kommt. "Homosexuelle haben das Recht, in einer Familie zu leben", sagt er in einer Szene. Sie seien Kinder Gottes. "Was wir benötigen, ist ein Gesetz, das eine zivile Partnerschaft ermöglicht." Betroffene sollten rechtlich abgesichert sein. Dafür habe er sich auch eingesetzt, so der Papst.
Ob er damit auf seine Zeit als Erzbischof von Buenos Aires anspielt? Bereits damals signalisierte er, die Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in seinem südamerikanischen Heimatland dulden zu wollen – allerdings vor allem wohl deshalb, um eine Öffnung der Ehe auch für homosexuelle Paare zu verhindern. Als die argentinische Regierung 2010 schließlich jedoch genau dies tat, sprach der damalige Kardinal Jorge Mario Bergoglio von einem "Schachzug des Teufels".
Es gibt nichts mehr zu verhindern
Doch inzwischen gibt es in dieser Angelegenheit im Grunde genommen nichts mehr zu verhindern. In vielen, besonders westlich geprägten Staaten, aber auch in einigen Ländern Lateinamerikas, wurde sogar schon die Ehe gleichgeschlechtlicher Paare als Rechtsinstitut eingeführt – in Deutschland gibt es sie zum Beispiel seit 2017. Und selbst viele Staaten, die die Öffnung der Ehe für Homosexuelle nach wie vor ablehnen, gestehen ihnen zumindest eine irgendwie geartete "Zivilunion" zu – beispielsweise Italien.
Papst Franziskus, so kann man sagen, spricht sich also ohne Hintergedanken und aus Überzeugung von der Richtigkeit der Sache für die eingetragene Lebenspartnerschaft aus. In der Vergangenheit hatten sich zwar schon öfter katholische Bischöfe und Kardinäle dahingehend geäußert, dass Homosexuelle seitens des Staates Rechtssicherheit bräuchten – beispielsweise der ehemalige Bischof von Bozen-Brixen, Karl Golser (2008-2011), bei der Einführung der eingetragenen Lebenspartnerschaft in Italien, die vonseiten der Kirche mit heftigster Kritik begleitet wurde. Dass das nun aber auch ein Kirchenoberhaupt tut, ist vor dem Hintergrund dessen, was die Kirche zum Thema eingetragene Partnerschaften speziell und Homosexualität im Allgemeinen offiziell lehrt, schon eine Sensation. Aus heiterem Himmel kommt diese Einstellung wohl nicht: Bereits Anfang des Jahres soll Franziskus beim Ad-limina-Besuch der US-Bischöfe in Rom betont haben, homosexuelle Paare sollten zwar nicht heiraten dürfen, aber Zugang zu öffentlichen Leistungen bekommen.
Noch 2003 stellte die vatikanische Glaubenskongregation, im Pontifikat Johannes Pauls II. und unter Präfekt Joseph Ratzinger, klar: "Nach der Lehre der Kirche kann die Achtung gegenüber homosexuellen Personen in keiner Weise zur Billigung des homosexuellen Verhaltens oder zur rechtlichen Anerkennung der homosexuellen Lebensgemeinschaften führen." Es war die Zeit, in der viele Staaten begannen, Homosexuellen die Möglichkeit einzuräumen, ihre Partnerschaft eintragen zu lassen. Deutschland hatte dies bereits zwei Jahre zuvor getan. Und laut Katechismus der katholischen Kirche sind homosexuelle Handlungen ohnehin "in sich ungeordnet" (2357) – auch wenn den einzelnen Homosexuellen "mit Achtung, Mitleid und Takt zu begegnen" sei.
Kein Wunder, dass die jüngsten Äußerungen des Papstes bei Bischöfen und Theologen rasch für ein großes Echo sorgten. Besonders Vertreter aus der US-Kirche äußerten sich. Der als konservativ bekannte Bischof von Providence im US-Bundesstaat Rhode Island, Thomas Tobin, sagte, die Kirche könne eine Akzeptanz solcher "objektiv unmoralischen" Beziehungen nicht gutheißen. Der US-Jesuit James Martin, der sich für die Anerkennung homo-, bi- und transsexueller Gläubiger in der Kirche einsetzt, sieht das erwartbar anders: "Ich denke, das ist ein deutlicher Schritt vorwärts", sagte der Priester.
Schon mehrfach deutete Franziskus während seiner Amtszeit an, dass er in Sachen Homosexualität einen anderen Zugang als seine Vorgänger wählt. Unvergessen – und auch diese Äußerung hatte einst hohe Wellen geschlagen – ist sein Satz: "Wer bin ich, ihn zu verurteilen?" Damals war er nach einer Reise von einem Journalisten darauf angesprochen worden, wie er einem Homosexuellen begegne, der Gott suche. Doch zu offiziellen Verlautbarungen der Kirche hinsichtlich einer Neubewertung von homosexuellen Partnerschaften führte das bislang nicht. Auch mischten sich zu den als fortschrittlich gedeuteten Aussagen des Papstes immer wieder solche, die für Irritationen sorgten. So erklärte er, bei einer sich zeigenden Homosexualität von Kindern gebe es "viele Dinge, die man mit der Psychiatrie machen kann, um zu sehen, wie die Dinge sind". Später distanzierte er sich allerdings davon.
Die neuesten Aussagen seien ein Zeichen dafür, dass sich Papst Franziskus mit dem Thema homosexuelle Partnerschaften intensiv auseinandergesetzt habe, sagt der Brixener Moraltheologe Martin M. Lintner gegenüber katholisch.de. Er vermutet, dass diese Einsicht bei ihm durch Begegnungen mit Homosexuellen gewachsen sei – und sieht sie auch auf der Linie, die sich durch Franziskus' Pontifikat durchziehe: Der Papst nehme die Menschen mit ihren Wünschen, Bedürfnissen und Hoffnungen, aber auch Verwundungen wahr. "Wenn er gegenüber diesen Menschen Wertschätzung empfindet, ist es auch konsequent, dass er ihren Wunsch nach Partnerschaft anerkennt – und in der sexuellen Orientierung allein keinen Grund erkennt, dass sie diesem Wunsch nicht nachkommen dürfen", erklärt Lintner.
Franziskus beurteile den Menschen nicht mehr allein auf dem Hintergrund der Lehre. Laut dem Moraltheologen zeigt sich dieses Muster auch im nachsynodalen Schreiben "Amoris laetitia": "Auch dort geht es darum, zu sehen, wie der Mensch, der in seine Lebenswirklichkeit eingebunden ist, versucht, nach bestem Wissen und Gewissen sein Leben zu gestalten – und dass das eben nicht nur darin besteht, Normen umzusetzen." Das betreffe alle Menschen – auch solche mit einer homosexuellen Orientierung.
Der Papst zeigt Problembewusstsein
Auch wenn Papst Franziskus niemals nur als Privatmann sprechen kann, hat nicht jede seiner Aussagen gleich lehramtliche Autorität. Der Regisseur des Films, Evgeny Afinejewski, sagte Medienberichten zufolge nach der Premiere, Franziskus habe nicht versucht, die Kirchenlehre zu ändern, sondern nur seine Meinung zum Ausdruck gebracht, dass Homosexuelle die gleichen Rechte haben sollten wie Heterosexuelle. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehemaliger Präfekt der Glaubenskongregation, kommt – wenn auch wohl aus anderem Antrieb als Afinejewski – zu einer ähnlichen Schlussfolgerung. Er schreibt in einer Stellungnahme: "Die vorliegende Äußerung ist eine rein private Meinungsäußerung, der jeder Katholik freimütig widersprechen kann und soll."
"Natürlich ändert der Papst allein mit einer Aussage im Rahmen eines Interviews noch nicht die offizielle Lehre der Kirche bezüglich der Homosexualität", betont auch Martin M. Lintner. Dennoch zeige Franziskus hier als oberste Lehrautorität ein Problembewusstsein für diese Angelegenheit und gehe mit seinem Lösungsansatz dabei weit über das hinaus, was bisher die festgeschriebene Auffassung der Kirche ist. "Das ist schon ein Anzeichen dafür, dass auch auf höchster lehramtlicher Ebene ein Umdenken stattfindet", so Lintner. Denn wenn ein Papst fordere, dass sich die Kirche für eingetragene Lebenspartnerschaften einsetzen solle, impliziere das automatisch auch die Anerkennung derjenigen, die in dieser Form eine auch intime Partnerschaft bilden. "Das kann die Kirche dann nicht mehr so leicht in die Ecke des Sündhaften stellen."
Linktipp: "An keiner Stelle verurteilt die Bibel Homosexualität!"
Der Streitfall um den Frankfurter Neutestamentler Ansgar Wucherpfennig zeigt, wie konfliktreich der kirchliche Umgang mit Homosexualität ist. Dabei verurteilt die Bibel gleichgeschlechtliche Liebe an keiner Stelle, sagt Ilse Müllner im katholisch.de-Interview. Die Theologin erklärt, warum einige Bibelstellen für heutige Ohren missverständlich klingen. (Artikel vom Oktober 2018)
So oder so dürften die Worte des Papstes auf keinen Fall wirkungslos bleiben. In vielen Ländern der Erde, gerade in Afrika, müssen Homosexuelle teilweise immer noch um ihr Leben fürchten. Die staatlichen Stellen erweisen sich dabei als keine guten Schutzherren und berufen sich in ihrer ablehnenden Haltung auch auf die Kirche. In einigen europäischen Staaten – etwa in Polen – weht Homosexuellen ebenfalls ein feindlicher Wind entgegen. Gerade in diesen Ländern seien die Papstäußerungen eine "große Sache", twitterte James Martin. Wenn Franziskus sich nun deutlich für Lebenspartnerschaften ausspreche, so der Jesuit gegenüber US-Medien, sei das eine "starke Botschaft an Orte, an denen sich die Kirche gegen solche Gesetze ausgesprochen hat".
In liberaleren Ländern dürften die Papstworte dagegen die Debatte um den pastoralen Umgang mit Homosexuellen in der Kirche neu befeuern: Stichwort Segensfeiern. Die Segnung von einzelnen homosexuellen Menschen ist zwar bereits möglich, allerdings nicht die Verbindung von zweien. Manche Seelsorger legen innerhalb der kirchlichen Vorgaben bereits eine große Kreativität an den Tag. Aber dass der Papst nun zumindest die zivilrechtliche Anerkennung einer solchen Partnerschaft einfordert, wird für diese Diskussion kaum ohne Folgen bleiben. Der Kirche zugewandte Homosexuellen-Vereinigungen haben bereits den Wunsch geäußert, dass kirchliche Segensfeiern nun "zeitnah" realisiert werden. Mögliche Modelle dafür haben Theologen in den vergangenen Jahren bereits erarbeitet. Allein erlaubt waren sie bisher nicht.