Standpunkt

Wie ein Diakon einer Sterbenden den Beichtwunsch ausredete

Veröffentlicht am 27.10.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Während der Corona-Krise wollte eine sterbende Frau vor ihrem Tod beichten. Doch der Diakon sagte, das mit den Sünden sei heute nicht mehr so schwerwiegend. Für Andreas Püttmann ist die Begebenheit Amtsmissbrauch – und symptomatisch für den Zustand der Kirche.

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Seit Monaten wird die pastorale Antwort der Kirche auf die Covid-Pandemie kontrovers diskutiert. In Beschwerden, da komme zu wenig Orientierung, Nähe zum Menschen oder Widerständigkeit gegen liturgische Einschränkungen, kann ich nicht einstimmen. Ich habe eine kreative Kirche erlebt, die einerseits ihrem Postulat des Lebensschutzes gerecht wurde und sich im Verzicht solidarisch zeigt, andererseits das vernünftig Mögliche an Gottesdienst und Seelsorge doch realisiert und in vielen Stellungnahmen und Publikationen an der sozialethischen Debatte teilnimmt.

Eine Begebenheit hat mich allerdings alarmiert. Sie hat nichts mit Corona zu tun. Ich begleitete telefonisch einen guten Freund, dessen hoch betagte, krebskranke Mutter unzweifelhaft dem baldigen Tod entgegen ging. Er kümmerte sich aufopferungsvoll darum, dass sie zuhause bleiben und medizinisch-pflegerisch gut versorgt in Würde sterben konnte. Dazu gehörte für die Katholikin auch die geistliche Vorbereitung. Gegenüber dem Diakon der Pfarrei äußerte sie den Wunsch zu beichten. Der aber wiegelte ab: Das mit den Sünden sehe man heute nicht mehr als so schwerwiegend an, da solle sie sich mal keine Sorgen machen. Die Kraft zu insistieren hatte die Schwerstkranke nicht mehr. Ihre Kinder waren zu perplex und ohnehin emotional nicht in der Lage, dem offiziellen Vertreter ihrer Kirche Kontra zu geben. Immerhin konnten sie noch die Krankensalbung arrangieren.

Man soll Einzelfälle nicht verallgemeinern. Doch frage ich mich, ob dieser Vorfall etwas Symptomatisches für den Zustand unserer Kirche hat. Für eine vermeintlich menschenfreundliche Bagatellisierung von Sünde und Schuld. Für eine selektive Wertschätzung der Sakramente. Für mangelnden Respekt vor traditioneller Frömmigkeit. Für theologische Wurstigkeit im kirchlichen Amt. Vielleicht auch für Konkurrenzdenken, wer was mit kirchlicher Vollmacht tun darf.

Pater Alfred Delp schlug der Kirche vor, "geistige Begegnung als echten Dialog, nicht als monologische Ansprache" zu suchen. Erst recht einer Sterbenden müsste man jeden Wunsch von den Lippen ablesen, statt sie paternalistisch zu belehren, ihre Sünden seien unbedeutend – ohne zu wissen, welche es sind. Das Ausreden des Wunsches nach dem Sakrament der Buße und Versöhnung ist übergriffig und Amtsmissbrauch. Schon Delp empörte solche "Anmaßung. Die Sorgfalt und Zuverlässigkeit, zu denen das technische Leben die Mehrzahl der heutigen Menschen zwingt, geben ihnen auch ein Auge für die Schlamperei und Sudelei, mit denen wir in der Kirche unsere ,Funktionen’ im weitesten Sinn des Wortes verrichten". Gerade in den sakramentalen Diensten der Kirche, die heute noch angenommen werden, sind Gewissenhaftigkeit, Einfühlung und Qualität gefragt.

Von Andreas Püttmann

Der Autor

Andreas Püttmann ist Politikwissenschaftler und freier Publizist in Bonn.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.