Angelika Kamlage fotografiert verstorbene Babys

Sternenkindern ein Andenken voller Liebe ermöglichen

Veröffentlicht am 12.11.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Weil sie schon als Baby sterben, ist die Zeit von Sternenkindern auf der Erde nur kurz, die Trauer wiegt dafür meist umso schwerer. Angelika Kamlage fotografiert diese Kinder und ihre Familien. Im katholisch.de-Interview erzählt sie von den starken Gefühlen dabei.

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Sternenkinder stehen zwischen den Welten. Als Kinder, die kurz vor, während oder bald nach der Geburt gestorben sind, haben sie die Welt nur kurz gesehen. Wenn sie weniger als 500 Gramm wiegen oder vor der 24. Schwangerschaftswoche sterben, gelten sie rechtlich gesehen nicht einmal als Mensch. Die Stiftung "Dein Sternenkind" will diese kleinen Menschen mit nur einer Stippvisite auf der Erde in Erinnerung behalten, indem sie Fotografen schickt, die meist die einzigen Bilder von den Kindern machen – vollkommen ehrenamtlich. Unter den mehr als 550 Fotografen, die sich der Initiative angeschlossen haben, ist auch Angelika Kamlage, die in der Nähe von Stuttgart wohnt. Im Interview erzählt sie von dieser besonderen Aufgabe.

Frage: Frau Kamlage, warum fotografieren Sie Sternenkinder?

Kamlage: Mir ist die Initiative "Dein Sternenkind" schon 2014 aufgefallen, auch Kollegen hatten mich darauf angesprochen. Ich leite selbst Fototrauerkurse für Kinder- und Jugendliche – da war der Schritt nicht mehr so weit. Seitdem ich verstorbene Babys fotografiere und darüber schreibe, bekomme ich viele Zuschriften von Sternkind-Eltern, die mir von ihren Erlebnissen berichten. Sternenkinder sind immer noch ein Tabu in unserer Gesellschaft.  Manche Menschen finden das auch eklig – da möchte ich dazu beitragen, den Eltern Erinnerungen und Trost zu schenken und das Thema bekannter zu machen. Denn das ist kein Tabu, sondern ein großer Schmerz für die Eltern. Diese Bilder sind also ein wichtiger Dienst an ihnen.

Frage: In welchem Zusammenhang entstehen diese Fotos?

Kamlage: Jeder Fotograf, der sich beteiligt, hat eine Alarm-App auf dem Handy, durch die wir seitens der Initiative benachrichtigt werden, wenn sich Krankenhäuser, Hebammen oder Eltern über die Homepage oder durch einen Anruf melden. Alle Fotografen sind in sogenannte Alarm-Kreise eingeteilt. Wenn ein Kind stirbt, wird der jeweilige Alarm-Kreis benachrichtigt. Manchmal haben die Eltern die Diagnose bekommen, dass das Kind im Bauch verstorben ist, ohne dass man weiß, warum, und die Geburt in der Einleitung ist. Manchmal bekommen wir auch erst Nachricht, wenn ein Kind tot geboren wurde oder auch bei der Geburt stirbt. Ich habe aber auch schon ein drei Monate altes Baby fotografiert, das unter anderem mit einem schweren Herzfehler auf die Welt gekommen ist, drei Monate behandelt wurde und dann gestorben ist.

Frage: Wie oft kommen solche Anfragen?

Kamlage: Manchmal ist es tagelang ruhig, manchmal habe kommen mehrere Alarme am Tag. Je nachdem, wo die Aufträge liegen, fahren Kollegen auch schon mal vier oder fünf Stunden. Das alles völlig ehrenamtlich, auch die Fahrtkosten werden nicht ersetzt.

Bild: ©Angelika Kamlage

Im besten Fall entstehen bei den Shootings schöne Familienbilder mit einem Sternenkind.

Frage: Wie reagieren die Eltern auf Sie?

Kamlage: Die Eltern sind oft von ihren Gefühlen überwältigt: Man freut sich monatelang auf ein Kind und bekommt dann die Nachricht, dass es verstorben ist. In dieses Zusammenspiel vieler so starker und unterschiedlicher Gefühle kommt dann jemand Fremdes dazu, schaut nach dem toten Kind und schafft liebevolle Erinnerungen. Die Eltern erlebe ich dabei sehr verschieden: von sehr aufgelöst bis sehr gefasst, aber voller Erstaunen und Dankbarkeit.

In der Regel treffe ich da auf eine Situation, die von Liebe geprägt ist. Ich führe mit den Eltern oft ganz tiefe, dichte Gespräche, für eine ganz kurze Zeit baut sich da eine persönliche Beziehung auf. Man unterhält sich über Leben und Sterben, manche Eltern können es aber auch noch gar nicht fassen, dass das Kind gestorben ist und können nicht reden. So oder so spüre ich von den Eltern oft eine große Dankbarkeit für den Dienst, den ich Ihnen erweise. Dadurch fühle ich mich oft mehr als die Beschenkte denn als diejenige, die etwas schenkt.

Frage: Gehen Sie an Sternenkinderfotos anders heran als an Fotos lebender Menschen?

Kamlage: Nein. Man muss im Hinblick auf Arrangements natürlich auf die Situation Rücksicht nehmen, denn nicht alles ist möglich. Je kleiner die Kinder sind, desto zarter und zerbrechlicher sind sie. Es kommt oft auf den Zustand eines Kindes an, von welcher Seite ich es zeigen, ob und wie ich es drapieren kann. Grundsätzlich schaue ich tote Babys genauso an, wie ich lebende Babys bei Familienshootings anschaue. Ich schaue, was diesen kleinen Menschen ausmacht, wo man zum Beispiel die Eltern in seinen Gesichtszügen wiedererkennt – wenn sich da zum Beispiel die Himmelfahrtsnase der Mutter wiederfindet. Das versuche ich ins Bild zu setzen wie bei normalen Familienbildern. Ich helfe den Eltern, mit dem Kind nochmal in Kontakt zu kommen. Sie ziehen ihr totes Kind an, halten es im Arm – das werden im besten Fall sehr schöne Familienbilder. Da wird auch mal gelacht, da ist viel Liebe im Raum, die sich in Gesten und manchmal auch in Tränen ausdrückt.

Bild: ©Privat

Die Fotografin Angelika Kamlage porträtiert Sternenkinder.

Frage: Wissen Sie, was die Eltern dann mit diesen Fotos machen?

Kamlage: Grundsätzlich weiß ich das nicht. Es gibt einen von "Dein Sternenkind" standardisierten Vertrag zwischen den Eltern und mir. Darin steht unter anderem, dass ich kostenlos fotografiere, die Bilder nachbereite und auf einem Stick und in Form von ein paar Abzügen den Eltern schicke. Die sind so verpackt, dass die Eltern selbst entscheiden können, ob und wann sie sich die Fotos ansehen. Nicht jeder kann das sofort, manche brauchen auch erstmal einen Abstand, um von der großen Traurigkeit nicht umgeworfen zu werden. Teil der Vereinbarung ist auch, dass ich mich nie mehr bei den Eltern melde. Wenn sie Kontakt möchten, können die Eltern aber mich kontaktieren. Ich habe schon gehört, dass manche Familien die Fotos aufhängen, in ein Album kleben oder einfach an einem sicheren Ort aufbewahren. Weiterhin speichere ich die Bilder auf einem speziellen Server, damit Eltern auch nach Jahren noch nach den Bildern fragen können – aus welchen Gründen auch immer.

Frage: Sie kommen in eine Situation, die für viele Menschen eine Horrorvision darstellt – fällt Ihnen die Verarbeitung schwer?

Kamlage: Als fühlender Mensch kann man gar nicht anders, als mit den Eltern mitzufühlen. Gleichzeitig will man aber auch professionell sein, die Eltern unterstützen und eine Verbindung herstellen. Die Verarbeitung mache ich nach den Fotos. Entweder gehe ich in die Krankenhauskapelle, in eine Kirche auf dem Weg oder setze mich in meine Gebetsecke zu Hause. Dann zünde ich eine Kerze für das Kind und für mich an, um der kleinen und meiner Seele ein bisschen Frieden und Gebet zu gönnen. Ich glaube, dass Gott überall mitgeht und dass ich mich aufgehoben fühlen darf. Darüber hinaus sind alle Sternkind-Fotografinnen und Fotografen per Chat miteinander verbunden, um Erlebnisse verarbeiten zu können – auch mithilfe ehrenamtlicher Supervisoren. Das ist ein Stück gelebter Kirche, indem wir aufeinander schauen, miteinander denken und gucken, dass es uns gegenseitig gut geht.

Von Christoph Paul Hartmann