Ein Beliebtes Ziel von Pilgern im Heiligen Land

Der Berg der Seligpreisungen

Veröffentlicht am 31.10.2020 um 12:47 Uhr – Lesedauer: 
Die Kirche der Seligpreisungen
Bild: © KNA-Bild

Bonn ‐ Traditionell wird an Allerheiligen der Anfang der Bergpredigt gelesen. In Israel gibt es einen Ort, an dem Pilger sich besonders an diese Bibelstelle erinnern: den Berg der Seligpreisungen. Ob dies tatsächlich der Ort ist, an dem Jesus die Bergpredigt gehalten hat, lässt sich leicht beantworten.

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"Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich": Traditionell wird am Fest Allerheiligen der Anfang der Bergpredigt Jesu gelesen, wie sie im Matthäusevangelium überliefert ist. Den Auftakt zu dieser langen Rede, in der Jesus sein eigenes Schriftverständnis ausfaltet, bilden die Seligpreisungen. In ihnen werden jene Menschen als selig bezeichnet, die sich nicht nur einlassen auf ein Leben in der Nachfolge Jesu, die vielmehr tatkräftig daran mithelfen, das Reich Gottes schon in dieser Welt und Gesellschaft anbrechen zu lassen.

Sie sind Menschen, die selig sind, weil sie um des Gottesreiches willen Ungerechtigkeiten und Verfolgungen erleiden, weil sie aber auch aktiv etwas dazu beitragen, dass die verheißene Welt schon heute erlebbar wird. An Allerheiligen feiert die Kirche all jene, die diese Voraussetzungen erfüllen, die deswegen als Heilige verehrt werden. All jene Männer und Frauen, die offiziell zur "Ehre der Altäre" erhoben wurden, weil sie Vorbilder sind für ein gelingendes christliches Leben. Aber vor allem all jene, deren Name nicht in einem Heiligenkalender aufgeführt ist, die in der Verborgenheit des Alltags Gottes Reich lebendig werden ließen. Gemäß den Vorgaben Jesu, sind sie selig.

Jesus und seiner Verkündigung auf die Spur kommen

Es gibt einen wunderbaren Ort im Heiligen Land, an dem sich unzählige Pilger an die Bergpredigt Jesu erinnern: Der Berg der Seligpreisungen liegt in Galiläa, genauer gesagt direkt am Nordufer des See Genesareth. Dort befindet sich auf einem kleinen Hügel eine Kirche, die als "Heiligtum der Seligpreisungen" verehrt wird. Die Kirche liegt im Blickfeld der anderen, bedeutenden Orte rund um den See: Kapharnaum, als "Stadt Jesu"; Tabgha, der Ort der Brotvermehrung; Migdal, die Heimat von Maria, der Apostolin der Apostel. Hier, in der leicht hügeligen Landschaft, kann man nicht nur die Atmosphäre einer besonderen Gegend einatmen. Hier kann man sich auch leicht hineinversetzen in die Zeit Jesu, als er durch die Städte und Dörfer Galiläas zog und das Evangelium von der nahegekommenen Gottesherrschaft verkündete. Weit abseits der großen Städte lässt sich, bei einer Wanderung von Tabgha zum Heiligtum der Seligpreisungen, Jesus und seiner Verkündigung sehr konkret auf die Spur kommen.

Der Berg Tabor – Ort der Verklärung?

Im Norden Israels erhebt sich der Berg Tabor. Dieser Berg wird von vielen Heilig-Land-Pilgern als jener Berg angesehen, auf dem sich die Verklärung Jesu ereignet haben soll. Unser Autor hat sich die Geschichte des Bergs genauer angeschaut.

Ob die Stätten, an denen heute der Ereignisse aus dem Leben Jesu gedacht wird, wirklich am richtigen Ort liegen, lautet eine Frage, die Pilger im Heiligen Land gerne stellen. Im Blick auf den Berg der Seligpreisungen lässt sich diese Anfrage relativ leicht beantworten: Denn der Evangelist Matthäus scheint mit der Bergpredigt nicht ein tatsächliches Ereignis aus dem Leben Jesu zu überliefern, sondern komponiert herausragende Jesus-Worte bewusst in der Form einer großen Predigt. Schon das Setting ist dabei wegweisend: "Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich und seine Jünger traten zu ihm."

Die Einleitung zur Bergpredigt verweist nicht auf einen besonderen Berg, der zum Beispiel rund um den See Genesareth zu suchen wäre. Matthäus greift vielmehr ein alttestamentliches Motiv auf: Das Bild von Mose nämlich, der auf den Berg Sinai hinaufgeht, um von Gott die Gesetze für das Volk Israel zu empfangen.

Wahl für die heutige Stelle eher zufällig

Dieser Rekurs zieht sich durch die gesamte Bergpredigt hindurch: In den sogenannten Antithesen nimmt Jesus jeweils ein Gesetz aus dem Alten Testament auf, um es in seinem Sinne neu auszulegen. Damit wird bei Matthäus noch einmal die Verbindungslinie zwischen Mose und Jesus gezogen: Der eine ist gewissermaßen der Gesetzgeber des Alten Bundes, der Andere wird zum Ausleger des Gesetzes für den Neuen Bund. Dabei hebt Jesus das Gesetz des Mose aber nicht auf; er interpretiert es nur anders und verschärft es im Blick auf den liebevollen und barmherzigen Umgang miteinander. Matthäus stellt Jesus und Mose auf dieselbe Stufe; das kommt eben dadurch zum Ausdruck, dass die Szenen der Gesetzgebung des Alten und des Neuen Bundes jeweils gleich gestaltet sind.

Es ist daher auch müßig, zu fragen, ob das Heiligtum der Seligpreisungen am richtigen Ort steht. Auch die "Gesellschaft für die Unterstützung der italienischen Missionare", die in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts den Bau der Kirche verantwortete, hat sich nicht lange mit der Frage nach einem historisch korrekten Ort beschäftigt. Der Gesellschaft war es vielmehr wichtig, einen Platz am See Genesareth zu finden, an dem sich in der hügeligen Landschaft Galiläas an die Bergpredigt Jesu erinnern lässt. Dass die Wahl auf die heutige Stelle gefallen ist, ist daher eher ein Zufall. Doch wenngleich es sich wahrscheinlich nicht um den Ort handelt, an dem Jesus die überlieferten Worte der matthäischen Bergpredigt gesprochen hat, so lädt die idyllische Stelle heute doch zum Verweilen und Nachdenken ein.

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In den 1930er Jahren jedenfalls fasste die italienische Gesellschaft den Plan, einen Gedächtnisort an die Bergpredigt im Heiligen Land zu errichten. In den Jahren 1937/38 wurde das Kirchlein nach den Plänen des italienischen Architekten Antonio Barluzzi, der sich auch für andere Kirchbauprojekte im Land verantwortlich zeigte, errichtet. Von außen betrachtet scheint die Kirche tatsächlich etwas unscheinbar: Mit ihrem Kolonnadenumgang und der kleinen Kuppel fügt sie sich gut in die umgebende Landschaft ein. Das Innere ist in Form eines Oktogons gestaltet, in Anlehnung an die acht Seligpreisungen Jesu. In den acht Fenstern des Baus ist daher auch jeweils eine Seligpreisung in lateinischer Sprache zu lesen. Der Außenbereich der Kirche wurde in den 1980er Jahren neu gestaltet; aufgrund der zunehmenden Anzahl an Pilgergruppen errichtete man hier auch Gebetsplätze, um im Freien Gottesdienste feiern zu können.

Modernes Heiligtum greift auf uralte Tradition zurück

Die Tradition der Erinnerung an die Seligpreisungen am See Genesareth ist übrigens nicht neu. Eine alte christliche Gedenkstätte befindet sich über einer Grotte, in der Nähe der heutigen Brotvermehrungskirche von Tabgha. 1935 wurde sie ausgegraben und vom franziskanischen Archäologen Bellarmino Bagatti erforscht. Schon bei der spätantiken christlichen Pilgerin Egeria wird eine solche Gedächtnisstätte erwähnt. Bei ihr heißt es: "Dort, auf dem Berg in der Nähe liegt die Höhle, zu der der Erlöser hinaufstieg, und wo er die Seligpreisungen sprach." Das jedenfalls ist ein zentraler Hinweis darauf, dass schon in byzantinischer Zeit der Ort, an dem Jesus die Bergpredigt gehalten hatte, hier am Nordufer des Sees Genesareth verehrt worden ist. Das moderne Heiligtum der Seligpreisungen greift damit auf eine uralte Tradition zurück, die schon viele Jahrhunderte hier am Seeufer existierte.

Die heutige Kirche ist von ihrer Gestaltung unscheinbar und schlicht, sie fügt sich in die idyllische Landschaft Galiläas ein. Damit nimmt sie die Gedanken auf, die Jesus in den Seligpreisungen und der gesamten Bergpredigt formuliert: Um das Reich Gottes hier und heute anbrechen zu lassen, braucht es nicht in erster Linie die großen und aufsehenerregenden Taten. Gottes Reich beginnt dort zu wachsen, wo Menschen von Liebe angetrieben miteinander menschlich und barmherzig umgehen. Wo Menschen im Kleinen und Unscheinbaren heute das mit Leben erfüllen, was Jesus vorgelebt hat. Dann kann in einem jeden Leben der Goldglanz des Gottesreiches aufscheinen, dann können Menschen seliggepriesen werden, weil sie sich durch ein heiligmäßiges Handeln auszeichnen. Weil sie zwar nicht im Heiligenkalender der Kirche stehen, aber weil sie mitten in ihrem Alltag auf unaufdringliche Weise etwas von Gottes Nähe und seiner liebenden Barmherzigkeit erfahrbar werden lassen.

Von Fabian Brand