Welche Botschaft in den liturgischen Texten zum Totengedenken steckt
Landläufig wird der November als Totenmonat bezeichnet. Dazu tragen nicht nur die beiden Feiertage Allerheiligen und Allerseelen bei, die den Blick auf das Ende der Welt und deren Vollendung in Gottes Herrlichkeit lenken. Auch die dunkle und düstere Stimmung, die das Wetter in diesem Herbstmonat hervorruft, lässt sich gut mit dem Gedanken an die Endlichkeit von allem, was lebt, in Einklang bringen. Die Kirchen jedenfalls greifen diese Stimmung auf: Die Friedhofsgänge zu Allerheiligen und Allerseelen im katholischen Raum oder am Totensonntag in der evangelischen Kirche laden ein, sich an die Verstorbenen zu erinnern und ihrer zu gedenken. Doch die Liturgie der katholischen Kirche lenkt den Blick beim Gedächtnis der Toten nicht nur auf das Ende, sie verweist auch auf den neuen Anfang, der mit dem Sterben verbunden ist. Damit greift sie den Grundtenor auf, der im Großen Glaubensbekenntnis so formuliert ist: "Wir glauben an die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt". Von dieser Erwartung her speist sich die irdische Gedächtnisfeier der Verstorbenen.
Schon die erste Präfation für die Verstorbenen, die das Messbuch anbietet, eröffnet die Perspektive auf die Auferstehung. Dort heißt es: "In ihm (Christus) erstrahlt uns die Hoffnung, dass wir zur Seligkeit auferstehn. Bedrückt uns auch das Los des sicheren Todes, so tröstet uns doch die Verheißung der künftigen Unsterblichkeit. Denn deinen Gläubigen, o Herr, wird das Leben gewandelt, nicht genommen. Und wenn die Herberge der irdischen Pilgerschaft zerfällt, ist uns im Himmel eine ewige Wohnung bereitet." Gleich drei Motivkomplexe prägen die Präfation: Zunächst wird der Blick auf Christus gelenkt, den Auferstandenen, der gewissermaßen als Vorausbild der eigenen Auferstehung dient. So, wie jeder Getaufte beim Eintauchen in das Taufwasser mit Christus in den Tod hinabsteigt, so wird er beim Herausheben aus dem Wasser in Christus neu geboren. Das ist die Hoffnung der Gläubigen: Dass Christus als "Erster der Entschlafenen" von den Toten auferweckt wurde und dass ihm alle folgen, die zu ihm gehören (vgl. 1 Kor 15,20-23).
Der Leib des Menschen wird verwandelt
Um das näher auszudrücken greift die Präfation auf ein paulinisches Bild zurück: Das Leben der Menschen wird nicht ausgelöscht oder vernichtet, es wird "verwandelt". Dieser Verwandlung des Lebens als endzeitliche Neuschöpfung hat Paulus im ersten Brief an die Gemeinde von Korinth sehr augenscheinlich ausgeführt. "Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben", hält Paulus fest, "das Verwesliche erbt nicht das Unverwesliche" (1 Kor 15,50). Der Auferstehungsleib ist nicht einfach der irdische Leib; es ist vielmehr ein irdischer Leib, der transformiert ist in die Kategorien des ewigen Lebens. Oder, wie Paulus es ausdrückt: Es ist ein Leib, der nach dem Himmlischen gestaltet ist (1 Kor 15,49).
Der Tod ist daher nicht das Ende, sondern der Moment dieser Neugestaltung. Daher wird "die Herberge der irdischen Pilgerschaft" auch hinfällig. Christus, den auferstandenen Herrn vor Augen, relativiert sich das irdische Lebenshaus. Denn er ist schon erhöht, um denen, die ihm nachfolgen, im Haus des Vaters eine Wohnung zu bereiten (vgl. Joh 14,2). Er ist schon gestorben und auferstanden, um uns "ein nicht von Menschenhand errichtetes ewiges Haus im Himmel" zu bereiten (2 Kor 5,1). Voller Hoffnung auf dieses Leben in Gottes Herrlichkeit blickt die Präfation auf das Sterben des Menschen. Ein Sterben freilich, das unausweichlich ist, weil "das Los des sicheren Todes" in alles Lebendige eingeschrieben ist. Aber, im Blick auf den auferstandenen Christus, ist es kein vergeblicher Tod, sondern ein Hinübergehen in ein neues Leben, eben seine Verwandlung.
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Eine andere Präfation aus dem Messbuch (Verstorbene IV), spielt einen ganz anderen Gedanken ein: "Denn in deinen (Gottes) Händen ruht unser Leben: nach deinem Willen werden wir geboren und durch deine Führung geleitet. Nach deiner Verfügung empfangen wir den Sold der Sünde und kehren zurück zur Erde, von der wir genommen sind." Der Mensch steht ganz und gar, mit seinem ganzen Leben in Gottes Hand. Es ist das uralte biblische Motiv, dass Gott das Leben der Menschen führt und es mit seinem Segen begleitet. Der 37. Psalm drückt diese vertrauensvolle Zusage so aus: "Befiehl dem Herrn deinen Weg, vertrau ihm – er wird es fügen" (V. 5).
Doch wie kann Gott, der Lebendige, auch den Tod des Menschen verfügen? Wie kann Gott, der den Menschen segnet, auch dessen Sterben billigen? Es ist der paulinische Gedanke, der den Tod als "Lohn der Sünde" (Röm 6,23) versteht, der hier eine entscheidende Rolle spielt. Es ist nicht Gott, der den Tod des Menschen will, sondern es ist das Selbstverschulden des Menschen, der aufgrund der Ursünde des Adam dem leiblichen Tod nicht entrinnen kann. Doch ist diese einseitig-pessimistische Sicht auf den Menschen ein für alle Mal zerbrochen: "Denn der Lohn der Sünde ist der Tod, die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserem Herrn" (Röm 6,23).
Im Kreuzestod des Sohnes ist die Macht von Sünde und Tod zerbrochen. Die paulinische Erbsündentheologie klingt in dieser Präfation nach: Der Mensch steht unter dem Einfluss der Ursünde des Adam, die unausweichlich den Tod mit sich bringt. Aber das ist nicht das Ende des menschlichen Lebens, weil es durch den Kreuzestod Jesu Christi befreit ist von dieser Schuld. Am Ende hat nicht die Sünde das letzte Wort, sondern Gott. Er hat seinen Sohn in die Welt gesandt, um durch seinen Tod den Tod aller Menschen zu vernichten. Weil Gott das neue Leben im Tod schenkt, deswegen kann man sich ganz und gar in seiner Hand geborgen wissen.
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In einer sehr poetischen Sprache setzen sich die Hymnen des Totenoffiziums in der Tagzeitenliturgie mit den Themen Tod und Sterben des Menschen auseinander. Schon der Hymnus der Laudes malt ein sehr hoffnungsvolles Bild: "Wenn wir im Tode leiblich zerfallen, sind wir im Geist schon jenseits der Schwelle ewiger Nacht. / Denn in der Quelle lebenden Wassers tauchte uns Christus bei unsrer Taufe in seinen Tod. / Sind wir im Sterben mit ihm begraben, wissen wir gläubig, dass auch sein Ostern er mit uns teilt." Der Hymnus entfaltet die Tauftheologie, welche die Taufe als Sterben und Auferstehen mit Christus deutet.
Wieder klingt hier Paulus durch, der diese Theologie im Römerbrief sehr nachdrücklich entfaltet (Röm 6,3-9). Gemäß Paulus ist die Taufe Sinnbild für Tod und Auferstehung Christi: In der Taufe wird der Mensch von der Sünde, die den Tod nach sich zieht, befreit; in der Taufe wird "der alte Adam ersäuft", wie Martin Luther formuliert hat. Dadurch wird der Getaufte befreit zum neuen Leben, zu einem Auferstehen vom Tod mit Christus. So, wie Menschen mit ihm Sterben, das Schicksal des Todes mit Christus teilen, so "wissen wir gläubig, dass auch sein Ostern er mit uns teilt". Tod und Auferstehung sind der in Taufe aufs Engste verbunden. Das sind die Motive, aus denen der Laudes-Hymnus schöpft.
"Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen"
Was bleibt, wenn der Tod das unausweichlich besiegelte Schicksal alles Lebendigen ist? Die letzte Strophe des Vesper-Hymnus gibt eine nachdenkliche Antwort: "Herr, deine Pläne bleiben uns dunkel. – Doch singen Lob wir dir, dem dreieinen, ewigen Gott." Selbst im Angesicht des schmerzenden Todes Gott zu loben – das ist eine Herausforderung, insbesondere dann, wenn die Frage nach dem "Warum?" bohrend bleibt. Doch schon der alttestamentliche Ijob weiß: "Der HERR hat gegeben, der HERR hat genommen; gelobt sei der Name des HERRN" (1,21).
Es ist der Glaube an die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt, der angesichts des Todes ein solches Verhalten ermöglicht. Wo wir Menschen nichts mehr tun können, müssen wir nicht wie gelähmt verstummen. Wir dürfen und sollen Gott loben. Nicht, weil er Tod und Vergehen in seine Schöpfung eingestiftet hätte. Sondern weil er durch die Auferstehung seines Sohnes die Welt vom Tod erlöst hat und am Ende die Vollendung schenkt. Weil Menschen im Tod nicht in ein Nichts fallen, sondern auf ewig in Gottes Hand geborgen bleiben, deswegen kann man das Gotteslob singen.