Obdachlosenhilfe in der Pandemie: Wenn die Kleiderkammer schließt
Als Frater Emmanuel Rotter in das Benediktinerkloster St. Bonifaz in München eintrat, hatte er Obdachlosen gegenüber eher Vorurteile. Der gelernte Schreiner und Krankenpfleger kam vom Land und hatte dort kaum Erfahrung mit solchen Menschen. Das änderte sich schnell: Als er während des Noviziats vor knapp dreißig Jahren Dienst an der Pforte tat, kamen immer wieder auch Obdachlose zu ihm: "Ich habe gemerkt, welche Schicksalsschläge hinter Obdachlosigkeit stehen. Ich musste einige meiner Ansichten revidieren." An der Pforte teilte er Brot aus, manchmal auch ein wenig Geld. "Ich dachte mir dann: Eigentlich müsste man mehr tun können", sagt Emmanuel Rotter. Also ging er durch die Stadt, an die Orte, an denen sich viele Obdachlose aufhielten. "Welche Angebote würdet ihr euch von St. Bonifaz wünschen?", fragte er sie. Wichtig war ihnen ein warmes Essen, ein Ort, an dem sie sich einfach einmal aufhalten konnten, eine Dusche.
"Fremde wie Christus aufnehmen"
Frater Emmanuel setzte sich in seinem Konvent dafür ein, stärker mit Obdachlosen zu arbeiten. Während andere Benediktinerklöster eher Schulen oder Internate unterhalten, sah Rotter sich und seine Mitbrüder in der Pflicht, für die Obdachlosen da zu sein. "Wir leben in einer Großstadt – da haben wir natürlich andere Schwerpunkte als ein Kloster auf dem Land." Schon in der Benediktsregel heißt es, die Mönche sollten gastfreundlich sein: "Alle Fremden, die kommen, sollen aufgenommen werden wie Christus" (RB 53). Frater Emmanuel bezog das gerade auch auf die Obdachlosen. Im Lauf der Zeit richtete er eine Dusche für die Bedürftigen ein, eine eigene Arztpraxis und eine Kleiderkammer. Jeden Vormittag gibt es warmes Essen – bis zu 250 Menschen kommen täglich in das Kloster und werden dort versorgt.
Diese Arbeit wurde mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie herausfordernd: Durch den großen Andrang konnten Rotter und seine Mitarbeiter den Mindestabstand nicht mehr garantieren. Viele der ehrenamtlichen Helfer sind zudem höheren Alters und gehören zur Risikogruppe; auch sie müssen größere Menschenansammlungen meiden und können nicht mehr ohne weiteres helfen. Folglich mussten die Kleiderkammer und die Dusche geschlossen werden; die Arztpraxis konnte bleiben. Allerdings konnten die Helfer kein warmes Essen mehr ausgeben – daher gibt es jetzt Lunchpakete mit belegten Semmeln, Obst und Getränken. Ganz aufgeben wollte Emmanuel Rotter nicht: "Wir mussten aber keinen Tag ganz schließen. Wir hatten keinen Tag Unterbrechung." Mittlerweile konnten Kleiderkammer und Dusche zumindest eingeschränkt wieder in Betrieb genommen werden.
Auch für die Obdachlosen selbst ist Corona eine Herausforderung: "Ihnen fehlen Orte, an denen sie sich aufhalten können. Behördengänge sind noch schwieriger geworden als ohnehin schon", berichtet Rotter. Unter denen, die sich in St. Bonifaz mit Essen versorgen, ist auch Emmanuel - der mit dem Frater den Namen teilt. Er kommt aus Spanien, seinen Nachnamen möchte er nicht öffentlich lesen. Ihm fehlt vor allem die Gesellschaft: "Das Leben ist schlimmer mit Corona. Kommunikation ist fast gar nicht mehr möglich. Wir kommen immer auch hierher, um miteinander zu plaudern – das geht jetzt nicht mehr", sagt er. "Das Leben ist härter geworden."
Obdachlosigkeit zeigt gesellschaftliche Entwicklung
Noch härter als ohnehin schon – Frater Emmanuel Rotter beobachtet Obdachlosigkeit seit nun beinahe dreißig Jahren. "Bei der Obdachlosenarbeit sieht man schnell gesellschaftliche Veränderungen", meint er. Nach der Wende kamen viele Menschen aus den ostdeutschen Bundesländern, ab 2010 gehörten vermehrt Geflüchtete zu den Gästen in St. Bonifaz. Einige schaffen den Weg zurück in ein bürgerliches Leben, andere nicht. Die Probleme, die sie auf die Straße treiben, seien vielfältig, meint Frater Emmanuel. Oft haben die Betroffenen bereits Probleme, sind alkoholkrank oder leiden an einer psychischen Erkrankung. Es folgen nicht selten der Verlust von Arbeit, sozialen Kontakten, der Wohnung – und die Menschen landen auf der Straße. Ihnen zu helfen ist die Berufung von Frater Emmanuel. "Für uns ist es schon ein Erfolg, wenn unsere Gäste zu uns kommen und wir ihnen helfen können." Diese Hilfe hat sich unter den Corona-Bedingungen zwar erschwert, unmöglich geworden ist sie aber nicht.