Wie eine Jugendkirche ihre komplexe Zielgruppe erreichen will
Die Jugend für den Glauben zu gewinnen, ist für die Kirche eine große Herausforderung, die mit unterschiedlichem Erfolg bewältigt wird. Besonders die Zielgruppe ist dabei nicht immer ganz klar und auch nicht, ob sie erreicht wird. Thomas Klima leitet die Jugendkirche Kana in Wiesbaden (Bistum Limburg). Im Interview erzählt er von verschiedenen Kirchlichkeiten und einem neuen Sinn für Vernetzung.
Frage: Herr Klima, wissen Sie genau, wer in Ihre Jugendkirche kommt?
Klima: Die Jugendkirche Kana gibt es seit 15 Jahren. So etwas wie eine Personalgemeinde oder einen größeren festen Kreis jener, die sich uns zugehörig fühlen und regelmäßig kommen, gab es in dieser ganzen Zeit nicht wirklich. Die Arbeit hier ist eher sozialraum- und lebenszeitorientiert. Es gibt Menschen, die sich für unsere liturgischen Angebote interessieren, die sind aber meist etwas älter: Zwischen 18 und 30 etwa, die in der Region studieren und ein passendes religiöses Angebot suchen. Jugendliche kommen etwa mit ihren Messdiener- oder Firmgruppen zu uns. Ansonsten sind die oft in ihren Pfarreien und Gemeinden so eng vernetzt und verzahnt, dass sie nicht den Weg zu uns finden. Wir haben also oft Menschen bei uns, die in ihrer Pfarrei nicht ankommen.
Andere junge Menschen kommen themenspezifisch zu uns, etwa durch unsere queere Arbeit, die wir gerade aufbauen. Da haben wir ein großes Bedürfnis nach Kirche, Diskussion, Reibung und Wärme bemerkt. Andere schätzen wiederum unsere digitalen Angebote, wenn wir liturgische Feiern abseits der Eucharistie streamen. Es ist also nicht so, dass wir etwas anbieten und die Jugendlichen dann zu uns kommen, sondern es ist permanent mit Aufbauarbeit verbunden und wir müssen uns immer auf neue Bedürfnisse einstellen. Eine Wohlfühlzone zum Ausruhen gibt es da nicht.
Frage: Unter einer Jugendkirche stellen sich viele Menschen ja eher ein Angebot für junge Menschen zwischen 14 und 16 Jahren vor. Sind die jungen Erwachsenen also eher ein Zufallsfang oder wollen Sie die auch ansprechen?
Klima: Auch mit den Jugendlichen haben wir zu tun, etwa bei schulnahen Jugendangeboten etwa wie Bildungstagen oder bei der außerschulischen Bildungsarbeit wie bei Gruppenleiterschulungen. Gerade hierbei sind die Jugendlichen in der Regel in ihrer Pfarrei stark verwurzelt. Dann übernehmen wir die Funktion eines Kompetenzzentrums. Von dieser Gruppe bleiben dann Einzelne, die unser Angebot interessant finden. Im Sonntagsgottesdienst sind dann tatsächlich eher die 18- bis 30-Jährigen. Ob das so richtig ist, kann man – wie so Alles – in der Tat hinterfragen.
Frage: Planen Sie Ihre Angebote eher nach denen, die kommen oder denen, die sie gerne in der Jugendkirche hätten?
Klima: Ich orientiere mich weniger an einzelnen Altersstufen als vielmehr an der momentanen Popularkultur: Was ist die Sprache, was sind die Themen der Gegenwart und wie kann da eine Verheutigung des Evangeliums stattfinden? Die Welt ist komplizierter geworden: Die 14-Jährigen von heute hören zu 70 Prozent deutschen Hiphop, das hat selbst mit unserer progressivsten Musikkultur in der Kirche nichts zu tun. Das herrscht eine große Sprach- und Kulturproblematik in der Kirche und wir suchen nach neuen Formen und Inhalten. Ich setze bei mir an, wofür ich stehe, was ich sagen und vermitteln kann, wo ich authentisch bin – und dann gucke ich, was davon bei der Jugend anschlussfähig ist. Qualität, Ehrlichkeit und Authentizität sind für mich Kriterien – das nehmen auch junge Menschen sehr gut an. Aktuelle Musik muss inhaltlich gut eingebettet werden, dann funktioniert sie. Es darf schlicht nicht aufgesetzt wirken.
Frage: Würden Sie sich denn eine spitzere Zielgruppe wünschen, also beispielsweise jeweils eine Jugendkirche für Jugendliche und junge Erwachsene?
Klima: Das fände ich nicht zielorientiert. Es gibt grundlegende Fragen, die sich in der Pfarrei und in der Jugendkirche stellen. Wir erreichen ja auch jüngere Menschen – aber halt nicht mit Liturgie, sondern mit Schularbeit und offenen Jugendangeboten. In diesem Kontext muss Kirchlichkeit neu erfahrbar gemacht und ausbuchstabiert werden, denn eine "klassische" kirchliche Vergemeinschaftung brauchen die meisten Jugendlichen nicht. Wir brauchen nicht immer noch mehr Angebote, sondern wir müssen auf die Bedürfnisse und die Lebenswirklichkeit unserer Zielgruppe schauen – das ist immer wieder aufs Neue eine Suche. Die geschieht auch in der Vernetzung mit anderen Akteuren, seien es kirchliche oder kommunale. So können wir Menschen in unterschiedlichen Zusammenhängen erreichen.
Frage: Wie machen Sie das?
Klima: Zum Beispiel durch unsere queere Arbeit, mit der wir ein ganz schwieriges Feld zwischen Jugend und Kirche bespielen. Wir gehen auf diese Gruppe zu, bieten uns an und schaffen Räume zum Austausch. Andererseits engagieren wir uns in einem Netzwerk verschiedener Träger aus Kultur und Sozialbereich, wo wir etwa mit dem evangelischen Jugendring und dem Stadtjugendring gemeinsam Aktionen planen, unter anderem zum Thema Kinderarmut und Grundbedürfnissen bei jungen Menschen. Da kommen dann Jugendliche aus der offenen Jugendarbeit zu uns in die Kirche. Darüber hinaus gehen wir mit unseren Themen in andere Einrichtungen und schaffen so neue Sichtweisen und Vernetzungen. Wenn es einen Fehler gab, den wir in den 15 Jahren bisher gemacht haben, dann, dass wir uns zu sehr als Einzelakteur an Ort und Stelle betrachtet haben, zu dem die Leute kommen können. Diese "Kommt zu uns"-Einstellung war der Fehler: Wir müssen zu den Menschen hingehen und gleichzeitig einen Ort in der Hinterhand haben.
Frage: Welche neuen Formen gibt es da denn?
Klima: Kirche ist kein festes Gebäude und keine feste Menschengruppe mehr. In den meisten Projekten von uns ploppt Kirche auf und ist für den Moment wahrnehmbar, kann nach dem Projekt verschwinden, taucht dann woanders aber wieder auf; wenn wir zum Beispiel beim CSD mitlaufen, neue Liturgieformen im Netz ausprobieren oder in unserem Jugendcafé im Rheingau. Dort haben wir einen Raum eingerichtet – aber nicht für uns allein, sondern auch für Studierende, die Jugendpflege, die Politik, die örtliche Pfarrei. Viele andere Träger sind da unter einem Dach versammelt. Durch dieses Zusammenleben entsteht eine ganz neue Kirchlichkeit, weil dort durch und mit uns ganz neue Themen auf den Tisch kommen.
Frage: Pfarreien haben oft Angst, dass ihnen Jugendkirchen die junge Generation wegnehmen. Wie sieht bei Ihnen das Verhältnis aus?
Klima: Von gut bis schwierig bis nicht vorhanden ist alles dabei. Manche Pfarreien reagieren nicht auf unsere Anfragen nach einer Kooperation oder auf unsere Angebote. Bei anderen haben wir feste Beziehungen und gestalten zum Beispiel regelmäßig einen Gottesdienst zusammen. Von daher kann alles passieren.
Frage: Neben den vielen Kirchenfernen hat sich seit einiger Zeit auch ein Strang sehr konservativer junger Christen entwickelt. Sie machen jetzt queere Arbeit. Gibt es da nicht Konflikte?
Klima: Die erlebe ich nicht – denn dazu müssten diese Gruppen miteinander reden. Zwischen unserem queeren Klientel und einer Anbetungs-Gruppe gibt es aber schlicht keine Berührungspunkte. Als wir an unserer Kirche eine Regenbogenfahne aufgehängt haben, hatten wir mit Gegenwind gerechnet – es ist aber nichts passiert.
Frage: Was sehen Sie als Ihre großen Aufgaben für die Zukunft?
Klima: Vernetzung, Teil der Stadtkultur Wiesbadens werden und dort zu einem bedeutungsvollen Leben beitragen. Wir müssen liturgisch eine Sprach- und Kulturfähigkeit entwickeln und zu einer Pluralität finden. Ich finde die Eucharistie wichtig, aber ich möchte aus einer "Eucharistitis" heraus, denn es gibt auch andere Formen, die für junge Menschen ebenso sinnstiftend und dabei lebensnaher sein können. Ein wichtiger Bezugspunkt ist auch die Schule, weil die einen ganz zentralen Bestandteil des Lebens Jugendlicher ausmacht. Nicht zuletzt die queere Arbeit ist ein Bereich, in dem wir uns sehr engagieren. Einerseits weil der für uns wichtig ist, andererseits aber auch, weil Kirche da noch viel nachholen und gutmachen muss.