Papst Franziskus begründete Aktionstag 2016

Erzbischof Burger zum Welttag der Armen: Wir haben nur diese eine Erde

Veröffentlicht am 14.11.2020 um 12:50 Uhr – Lesedauer: 

Freiburg ‐ "Jeder Hungernde ist einer zu viel", findet der Freiburger Erzbischof Stephan Burger. Es gehöre zur katholischen Soziallehre, sich zu engagieren – am von Papst Franziskus begründeten "Welttag der Armen" und darüber hinaus.

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Nächstenliebe und Hilfe für Arme und Kranke – Papst Franziskus mahnt, dass kein Christ die Augen vor Not und Elend verschließen darf. Mit dem seit 2016 international organisierten "Welttag der Armen" will die katholische Kirche aufrütteln. Caritas-Bischof Stephan Burger erläutert im Interview, warum und wie jeder Einzelne handeln muss.

Frage: Herr Erzbischof, was will der kirchliche Aktionstag am Sonntag bewegen?

Burger: Der Aktionstag ist eine direkte Initiative von Papst Franziskus. Er fordert dazu auf, sich den Menschen am Rand der Gesellschaft zuzuwenden und sie in die Mitte zu rücken: die Armen, Benachteiligten und Bedürftigen. Dieses Bewusstsein soll der weltweit begangene Aktionstag noch einmal neu schärfen.

Frage: Aber kommt diese Botschaft auch vor Ort in den Kirchengemeinden an? Oder ist das soziale Engagement nicht gut bei den Profis von der Caritas aufgehoben?

Burger: Eine solche Grenzziehung und Aufgabenverteilung wäre völlig falsch. Denn Caritas ist Kirche und Kirche ist Caritas. Ich bin sehr dankbar für die professionelle Arbeit der Caritas, die sich bundesweit in zahllosen Einrichtungen und Initiativen für Bedürftige engagiert und existenziell notwendige Hilfen anbietet. Aber ein wichtiges Charakteristikum der Caritas ist auch das hohe Engagement der vielen Ehrenamtlichen in unseren Gemeinden.

Für unser aller Alltag sollte das biblische Gleichnis vom barmherzigen Samariter Maßstab sein. Zu helfen wie der Samariter es tut, ist Auftrag der Kirche und damit Auftrag für jede und jeden in der Kirche, ist gelebte Caritas. Der Welttag der Armen bietet die Gelegenheit, noch einmal genau hinzuschauen, wen ich in meinem Umfeld, in meiner Nachbarschaft unterstützen könnte. Oder welche Familie nicht am gesellschaftlichen Leben teilhat.

Frage: Was also soll am 15. November passieren?

Burger: Es wäre wichtig, wenn es nicht nur bei theoretischen Überlegungen und Predigten bliebe, sondern gelänge, ganz konkret auf andere Menschen zugehen. Ein Besuch im Krankenhaus oder Pflegeheim zum Beispiel, Interesse an und Unterstützung von inklusiven Einrichtungen, je nachdem, was auch die Corona bedingten Einschränkungen erlauben und ermöglichen.

Frage: Eine einmalige Aktion also?

Burger: Es geht nicht um eine einmalige Aktion an diesem Tag. Es geht darum, mit diesem Tag bewusst in den Blick zu nehmen, was über diesen Tag hinaus unsere Aufmerksamkeit erfordern sollte. In dieser von Corona geprägten Zeit, sehe ich an vielen Stellen Menschen, die sich gerade jetzt ihrer Verantwortung für den Nächsten bewusstwerden und helfen. Die soziale Verantwortung gilt es zu schärfen.

Dazu gehört auch der ganze Bildungsbereich. Nicht umsonst engagiert sich die Kirche auch in Kindergärten, Schulen und in der Erwachsenenbildung, um Kindern, Jugendlichen wie auch Erwachsenen, die bislang keine oder zu wenig Chancen hatten, Bildungschancen und damit Lebensperspektiven zu eröffnen.

Franziskus winkt und laechelt.
Bild: ©KNA/Stefano Dal Pozzolo/Romano Siciliani

Papst Franziskus begründete den "Welttag der Armen" 2016

Frage: Der Aktionstag macht auch auf den weltweiten Kampf gegen Armut und Hunger aufmerksam. Nach Berechnungen der Vereinten Nationen hungern derzeit weltweit 690 Millionen Menschen. Die Corona-Pandemie verschärft die Lage. Kann das Ziel einer Welt ohne Hunger bis 2030 noch erreicht werden?

Burger: Gibt es denn eine Alternative dazu, alles zu versuchen? Jeder Hungernde ist einer zu viel. Es gehört zur katholischen Soziallehre, für die gerechte Verteilung der Güter Sorge zu tragen. Wir dürfen uns niemals mit Hunger und Armut abfinden, geschweige denn wegschauen.

Frage: Was aber, wenn in Folge der Neuverschuldung vieler Staaten in der Corona-Krise in den kommenden Jahren weniger Geld etwa für Entwicklungszusammenarbeit und im Kampf gegen Armut da sein wird?

Burger: Dazu darf es nicht kommen. Uns muss bewusst sein, dass es für Herausforderungen wie Migration, Klimaschutz oder die aktuelle Gesundheitskrise keine nationalen Lösungen geben kann. Europa darf sich nicht abschotten und irrigerweise glauben, so besser durch die Krise zu kommen. Das Coronavirus zeigt ja überdeutlich, dass es vor Grenzen und Mauern keinen haltmacht.

Frage: Was wollen die Kirchen hier beitragen?

Burger: Mit ihren Hilfswerken engagiert sich die katholische Kirche weltweit seit Jahrzehnten beispielhaft und sehr erfolgreich. Dazu gehört die direkte Katastrophenhilfe wie auch nachhaltige und längerfristige Projekt- und Aufbauarbeit, von der Förderung der Infrastruktur bis hin zu Beratungs- und Bildungsangeboten, Gesundheitsfürsorge und vieles andere mehr. Diese Hilfe wird den Menschen nicht einfach übergestülpt. Es geht darum, den lokalen Partnern auf Augenhöhe zu begegnen und miteinander zu entwickeln, was an konkreter Hilfestellung benötigt wird. Hier leistet die Kirche personell wie finanziell einen wichtigen und wesentlichen Beitrag.

Frage: Sollten sich Christen und die Kirchen auch für Umwelt- und Klimaschutz engagieren?

Burger: Ja und nicht umsonst thematisiert Papst Franziskus dieses Anliegen immer wieder in seinen Ansprachen und Texten. Wir müssen uns bewusst machen, dass unser hoher Lebensstandard und unser Wohlstand in Deutschland und Europa auch mit der Ausbeutung von Ressourcen und Menschen in anderen Erdteilen erkauft wurde und noch immer wird. Hier müssen wir schnellstens umsteuern.

Nicht umsonst fordern weltweit 233 Bischöfen, und ich gehöre dazu, ein Lieferkettengesetz. Es darf künftig nicht mehr angehen, dass wir gedankenlos einfach konsumieren und es uns egal ist, ob dafür bei der Produktion Menschen ausgebeutet und Umwelt zerstört wird. Wir haben nur diese eine Erde und dafür tragen wir alle Verantwortung.

Von Volker Hasenauer (KNA)