Schluss mit 80: Als die Kardinäle in Altersteilzeit geschickt wurden
Kardinal Alfredo Ottaviani schnaubte. Der pensionierte Präfekt des Heiligen Offiziums fühlte sich "beiseite geschoben" und warf dem Papst "Missachtung einer vielhundertjährigen Tradition" vor. Und der französische Kurienkardinal Eugene Tisserant, immerhin Dekan des Kardinalskollegiums, giftete im französischen Fernsehen, Paul VI. sei nur auf den Applaus der Welt aus – denn diese wolle, dass die Alten verschwinden.
Öffentlich stellte Tisserant sogar den Gesundheitszustand Pauls VI. infrage. Bevor er gemeinsam mit ihm auf eine lange Asien-Reise startete, antwortete er auf die Frage, ob der Papst krank sei: "Das sieht man doch!" Ein möglicher Amtsverzicht werde womöglich gar nicht mehr nötig sein. Der Vatikan und der päpstliche Leibarzt beeilten sich mit einem kräftigen Dementi – und auch Tisserant ruderte schließlich während der Reise zurück.
Was aber konnte zwei der höchstrangigen Vatikanvertreter derart aus der Fassung und in Rage bringen? Nun, es war ein Dokument, von dem die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) damals berichtete, es habe im kirchlichen Rom "wie eine Bombe eingeschlagen". Vor 50 Jahren, am 21. November 1970, legte Papst Paul VI. mit seinem Motu Proprio "Ingravescentem aetatem" (Mit der wachsenden Last des Alters) fest, dass Kardinäle mit Erreichen einer Altersgrenze von 80 Jahren ihr Stimmrecht bei der Papstwahl verlieren – und nicht mehr am Konklave teilnehmen dürfen.
Ärger unter den älteren Kardinälen
Damit waren auf einen Schlag 16 Kardinäle qua Alter ihres vornehmsten Rechts "beraubt"; darunter neben Tisserant (86) und Ottaviani (80) weitere illustre Figuren wie der verdiente Kölner Kardinal und Konzilsheld Josef Frings (83), der portugiesische Patriarch von Ostindien und nachmalige Kurienkardinal Jose da Costa Nunes (90) oder der schottische Ex-Dekan der Römischen Rota William Heard (86).
Das sorgte vor allem unter den Senioren für böses Blut – wie es auch schon die Begrenzung der regulären Amtszeit der Bischöfe auf 75 Jahre (August 1966) und die Allgemeine Geschäftsordnung der Römischen Kurie von 1968 getan hatten. Mit letzterer hatte Paul VI. die Altersgrenze für leitende Vatikanämter auf 75 Jahre festgesetzt; allerdings mit einer möglichen Verlängerung durch den Papst – bis maximal zum 80. Geburtstag.
Seit Jahrhunderten bestimmt der jeweilige Papst allein nach seinem Gutdünken Kardinäle als seinen Senat, die dann einst auch seinen Nachfolger wählen. Durch die Begrenzung auf maximal 120 Wähler, steuerbar durch die Altersgrenze, beschränkt der Papst seit Paul VI. zugleich auch am anderen Ende des Spektrums den kirchenpolitischen Einfluss seines Vorgängers – denn die früher nominierten Papstwähler werden ja tendenziell auch früher 80.
Ein Kollateralnutzen: Da die Kardinäle seit vielen Jahrhunderten immer einen aus ihren eigenen Reihen zum Papst wählen, stellte Paul VI. durch sein Dekret quasi sicher, dass der Papst bei seiner Wahl immerhin unter 80 Jahre alt ist; 78 im Fall von Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. und 76 bei Jorge Mario Bergoglio/Franziskus.
Machtlos sind die älteren Kardinäle trotzdem nicht
Zugleich ermöglicht es den Päpsten, verdiente Kirchenmänner und Theologen mit dem Kardinalshut zu belohnen, ohne sie noch in die Kirchenregierung einbeziehen zu müssen. Das hat – zusammen mit der ohnehin steigenden Lebenserwartung und der weltkirchlichen Globalisierung – das Kardinalskollegium auf inzwischen rund 220 Mitglieder anwachsen lassen.
Zwar dürfen die etwa 100 Senioren unter ihnen nicht mehr direkt den Papst wählen. Allerdings sind auch sie dabei nicht immer machtlos. Je nach Kurienerfahrung und Qualität ihres Netzwerks können sie durchaus noch in ihrem Sinne "Politik" machen, bestimmte Anwärter verhindern oder Stimmen für ihren Kandidaten sammeln – so wie es 2013 der britische Kardinal Cormac Murphy-O'Connor für Bergoglio/Franziskus getan haben soll.
Was damals, 1970, genügte, um älteren Kirchenmännern die Kardinalsröte ins Gesicht zu treiben, genügte in den Jahren nach dem Konzil vielen sogenannten progressiven Katholiken schon lange nicht mehr. Diese forderten gar, dass der Papst künftig nicht mehr von ein paar Dutzend Kardinälen, sondern von den Tausenden Bischöfen der Weltkirche gemeinsam gewählt werden solle. Sind die Bischöfe nicht nach katholischer Lehre die Rechtsnachfolger der Apostel? Daher ja auch der Anspruch des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass das "Kollegium der Bischöfe" gemeinsam mit dem Papst die Kirche leiten solle.
Diskussion über Altersgrenze
Auch Paul VI. machte sich zumindest Gedanken in diese Richtung. So schlug er im März 1973 vor, bei künftigen Papstwahlen auch die Patriarchen der mit Rom verbundenen Ostkirchen sowie die 15 Mitglieder des Ständigen Rates der Bischofssynode mit abstimmen zu lassen. Was für eine Erleichterung bzw. Enttäuschung im konservativen bzw. liberalen Lager, als er dann schließlich 1975 doch den Status quo bestätigte.
Vermutlich wider Willen hat Paul VI. mit seinem Dekret eine Diskussion darüber entfacht, ob er selbst denn wohl mit 80 noch Papst bleiben werde. Sogar der konservative Ottaviani sagte in seinem Ärger, der Papst müsse nun auch damit rechnen, dass "alles, was er im späten Alter unternimmt, ebenso in Frage gestellt wird" wie jetzt die Arbeit alter Kardinäle. Der gedankliche Weg bis zum Amtsverzicht von Papst Benedikt XVI. im Februar 2013 war in diesem Sinne gar nicht mehr so weit.