Archäologe: Das ist das mutmaßliche Haus von Jesus, Maria und Josef
Stimmt es oder stimmt es nicht? Ken Dark, Professor für Archäologie und Geschichte an der Universität Reading in England, hat nach eigenen Aussagen offenbar das Elternhaus Jesu in Nazareth entdeckt. Die Ruinen eines typischen Familienhauses aus dem ersten Jahrhundert befinden sich unter einem Kloster von Ordensschwestern im Zentrum von Nazareth in Israel. "Tatsächlich bin ich noch nie einem professionellen Archäologen begegnet, der an meiner Interpretation der Ausgrabungsstätte zweifelt", sagt Dark katholisch.de auf Anfrage.
"Es gibt keinen Grund, die Möglichkeit auszuschließen, dass die Leute, die dort die erste Kirche – eine Höhlenkirche aus dem vierten Jahrhundert – gebaut haben, das Haus aus dem ersten Jahrhundert zu Recht als Jesu Elternhaus identifiziert haben", so Dark. Für diese Theorie gibt es aus Sicht des Archäologen eine Reihe an Belegen.
Religiös bedeutsamer Ort
Ein Beleg sei etwa die hohe Qualität des Baus. Der Erbauer habe ein sehr gutes Verständnis über die Bearbeitung von Steinen gehabt, so Dark. Dies stimme mit dem Beruf Josefs aus der Bibel überein. Das altgriechische Wort "Tekton" werde zwar für gewöhnlich mit "Zimmermann" übersetzt, bezeichne in Wirklichkeit aber einen Handwerker, der mit dem Bauen vertraut ist.
Darüber hinaus sei die später über dem Haus errichtete Kirche die größte im byzantinischen Nazareth des fünften bis siebten Jahrhunderts gewesen – möglicherweise sogar dessen Kathedrale. "Wenn dem so ist, dann muss derjenige, der die Kirche mit dem gut erhaltenen und wahrscheinlich verehrten Haus in der Krypta gebaut hat, es für einen religiös sehr bedeutsamen Ort gehalten haben", sagt Dark. "Vor allem angesichts dessen, was Texte uns über andere Orte von religiöser Bedeutung für die Byzantiner im Zentrum Nazareths sagen."
Denn unweit des Klosters der Nazareth-Schwestern befindet sich die berühmte Verkündigungskirche. Christen glauben, dass an dieser Stelle der Erzengel Gabriel – wie in der Bibel überliefert – Maria erschienen ist und ihr mitteilte, dass sie einen Sohn gebären würde. Die Verkündigungskirche habe man in etwa zur gleichen Zeit erbaut wie die Kirche der Schwestern von Nazareth, so Dark. Demnach sei das, was man für den Ort der Kirche der Nazareth-Schwestern annahm, als mindestens genauso wichtig angesehen worden, wie die Verkündigung selbst. "Das lässt nicht viele Möglichkeiten für das zu, von dem die Kirchenbauer glaubten, dass es dort stattgefunden hat", ist der englische Archäologe überzeugt.
Zudem sei von den vielen byzantinischen Kirchen, die im Heiligen Land gebaut wurden, nur eine weitere über einem Haus aus dem ersten Jahrhundert errichtet worden und erhalten: die Kirche über dem angeblichen Haus des heiligen Petrus in Kapernaum. Also ein weiterer Ort, der mit Jesus und den Evangelien eng in Verbindung gebracht wird. "Das legt nahe, dass die Darstellung eines Hauses auf diese Weise etwas wirklich Ungewöhnliches und Bedeutsames war", so Dark. "Es wirft auch die Frage auf, woher die Kirchenbauer wussten, dass es sich um Häuser aus dem ersten Jahrhundert handelte, wenn nicht eine gewisse Tradition über sie erhalten geblieben war?"
Anthropologische Forschungsarbeiten legten außerdem nahe, dass es durchaus möglich sei, dass das Wissen über einen bedeutsamen Ort vom ersten bis zum vierten Jahrhundert, als dort die erste Kirche gebaut wurde, erhalten geblieben sein könnte.
Seit 2004 arbeitet Ken Dark an Ausgrabungen in der Nähe von Nazareth, seit 2006 an den Ausgrabungen unter dem Kloster der Nazareth-Schwestern. Im selben Jahr habe er das erste Mal ernsthaft darüber nachgedacht, dass das freigelegte Haus tatsächlich das Elternhaus Jesu sein könnte.
Doch warum hat niemand vorher diesen Ort untersucht? Eine kurze Studie des berühmten franziskanischen Archäologen Bellarmino Bagatti aus den 1930er Jahren habe die Möglichkeit ausgeschlossen, dass es dort etwas von großer Bedeutung zu finden gebe, sagt Dark. Weil Bagatti in der Folge zu einem der führenden Experten des 20. Jahrhunderts für die Archäologie von Nazareth wurde, wurden seine Bewertungen von anderen Wissenschaftlern übernommen. Bagatti habe jedoch nicht die gesamte Klosteranlage untersucht und Archive früherer Ausgrabungen ignoriert.
Archäologie könne Hausbesitzer nicht identifizieren
Und das, obwohl die Stätte in den 1880er Jahren entdeckt und in der Folge von den Ordensschwestern selbst ausgegraben wurde – allerdings ohne archäologische Fachkenntnisse. "Die Möglichkeit, die Gebäudereste mit Sicherheit zu datieren, wurde dadurch erschwert", sagt Yardenna Alexandre, Archäologin der Israelischen Altertumsbehörde, auf Anfrage von katholisch.de. Eine zuverlässige Zuordnung der für eine Datierung wichtigen Keramikreste zu den Gebäuderesten sei so nicht möglich. "Um die genaue Datierung der häuslichen Gebäudereste zu bestimmen, wäre es notwendig, eine neue wissenschaftliche Ausgrabung in der unmittelbaren Umgebung durchzuführen", vermutet sie. Die Archäologie könne genaue Hausbesitzer nicht identifizieren – "es sei denn, sie hinterlassen einen schriftlichen Hinweis an der Tür."
Und auch Professor Ken Dark gibt zu, dass die Belege zwar eindeutig seien, aber es keinen endgültigen Beweis für seine These gebe. "Nichts davon beweist, dass das Haus aus dem ersten Jahrhundert tatsächlich das Haus ist, in dem Jesus aufgewachsen ist", so Dark. "Aber es stärkt das Argument natürlich."