Himmelklar – Der katholische Podcast

Ulf Poschardt: Gottesdienste sind der falsche Ort für Parteitagsreden

Veröffentlicht am 02.12.2020 um 00:30 Uhr – Lesedauer: 

Köln ‐ Die Kirchen könnten spirituellen Sehnsüchten kaum noch etwas bieten. Stattdessen hörten sich Prediger oft wie Grünen-Politiker an, sagt der Journalist Ulf Poschardt. Auch manch kirchliche Aktion sei nicht zu Ende gedacht – etwa "United4Rescue".

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"Ein Kirchentag ist kaum noch zu unterscheiden vom Grünen-Parteitag": Mit seiner Meinung hält Ulf Poschardt, Chefredakteur der "Welt"-Gruppe, nicht hinterm Berg. Die Kirchen sind ihm zu politisch geworden, gerade die Evangelische Kiche in Deutschland (EKD). Für die Weihnachtszeit unter Corona-Bedingungen wünscht er sich kreative Ansätze der Kirchen. Außerdem verrät er, weshalb die Jesuiten für ihn ein "intellektuelles Gegengift" sind.

Frage: Sie betreuen als Chefredakteur der "Welt"-Gruppe die "Welt" und "Welt am Sonntag". Für Sie ist der Lockdown sicher eine stressige Zeit.

Poschardt: Ja und nein. Diese Corona-Situationen, die uns alle gleichermaßen vor große Herausforderungen stellen, führt dazu, dass es ganz viel Informationsbedürfnis gibt. Und dem kommen wir sehr gerne nach. Wir haben unglaubliche Reichweiten und viele neue Abonnenten. Und insofern ist es inspirierend zu sehen, dass der Journalismus da auch eine hohe Verantwortung wahrnehmen darf, dass es mitunter stressig ist und bis an die Grenzen der Belastungsfähigkeit geht. Stichwort Corona-Gipfel, und dann auch noch amerikanische Wahlen und so weiter. Das ist schon ein sehr dichtes und auch sehr forderndes Jahr. Aber wenn man gerne Journalist ist, dann macht man das auch sehr gerne.

Frage: Sie sind meinungsstarker Journalist. Sie sind eine Stimme im gesellschaftlichen Dialog, zum Beispiel über Ihren Twitter-Kanal. Wir erinnern uns vor drei Jahren an die Diskussion, die Sie mit angestoßen haben, ob und wie politisch Weihnachtsgottesdienste sein sollten. Ich will aber den Kontext erst einmal verstehen. Sie sind christlich geprägt. Ihr Vater war Methodistenprediger. Sie haben auch Ihren Zivildienst in einer Gemeinde gemacht. Sie haben bei den Jesuiten in München studiert. Dieser ganze Kontext, dieses Christliche, diese christliche Prägung, was spielt das für eine Rolle für Sie?

Poschardt: Herkunft ist Zukunft. Also ich glaube, dass man ganz stark geprägt ist. Ich bin sehr stark geprägt worden durch diese Erziehung. Das war auch immer etwas, was mich sehr inspiriert hat. Um die Gegenwart zu verstehen, ist das wichtig, aber auch ganz besonders, wenn man aus einem freikirchlichen, protestantischen Elternhaus kommt. Meine Mutter ist aus Dänemark, da kommt der nordische Protestantismus noch dazu. Der ist ja auch ganz speziell. Und dann hat man da natürlich, glaube ich, ein gutes Verständnis, wie auch die lebensweltlich kulturellen Implikationen des Protestantismus eigentlich dieses Gegenwarts-Deutschland prägen. Für mich waren die Jesuiten so eine Art "katholisches Gegengift" und die haben mich schon intellektuell sehr beeindruckt und bleiben auch für mich eigentlich, wenn es um christliche Intellektualität geht, die wirklich entscheidende Größe.

Frage: Wenn ich mir Ihre Kritik so ansehe: Würden Sie sagen, dass es mehr Theologie, mehr Nachdenken und weniger Politik und Parteipolitik in den Kirchen braucht? Ist das richtig?

Poschardt: Absolut. Das ist einfach so bitter. Es ist eigentlich im Grunde genommen dieser säkularisierte Protestantismus, den wir ja insbesondere auch nach der Wiedervereinigung so kennengelernt haben, in einer atheistisch-kommunistisch geprägten DDR-Gesellschaft. Das ist jetzt eigentlich der tonangebende Sound im Protestantismus selbst geworden. Das ist so miteinander bis zur Unkenntlichkeit verschmolzen.

Mir geht es um verschiedene Sprachebenen. Das war ja auch das, was ich bei dieser Predigt, die an sich ja hervorragend war, kritisiere. Aber da wurde alles versaut. Nach klugen Reflexionen am Weihnachtsabend in so einer Christvesper, bei so einer wirklich schönen Stimmung, kommt dann das, was ich als Journalist die 360 Tage vorher tagein, tagaus als Talkshow oder Parteitagsrede gehört habe. Das ist schwierig. Und man muss ja nur mal gucken, wenn man sich protestantische Bischöfe anhört, wenn die über die Welt reden, oder einen evangelischen Kirchentag so anguckt: Es ist ja von einem Grünen-Parteitag nur noch in kleinen Dosen zu unterscheiden.

Bild: ©picture alliance / landov (Symbolbild)

"Es gibt ja hunderte von verschiedenen Arten, eine Predigt und eine Liturgie auszuleben. Und meines Erachtens steht da nicht drin: Du musst einen Leitartikel aus der Zeit reproduzieren", sagt Ulf Poschardt.

Frage: Das Gegenargument ist ja, dass Kirche politisch sein muss, weil auch das Evangelium politisch ist, und sich zum Beispiel für die Erhaltung der Schöpfung einsetzt. Sie sagen, Sie stört eher die Parteipolitik in der Kirche. Wo hört denn das Eine, Legitime, auf, und wo beginnt für Sie die Parteipolitik?

Poschardt: Es geht einfach um die Sprache. Die Kanzel ist kein Ort für Parteitagsreden. Dafür gibt's Parteitage. Und der Evangelische Kirchentag ist kein Grünen-Parteitag. Dafür gibt's den Parteitag. Man muss eigentlich dringend darauf hinwirken, dass es zumindest ansatzweise versucht wird, diese beiden Dinge so auseinanderhalten zu können, dass auch derjenige etwas findet, der politisch dissident ist für diese Art von Protestantismus, als jemand, der sagt: Ich will meinen Glauben leben und ich will Spiritualität leben und ich komme in die Kirche, um mit der Kantorei das christliche Liedgut zu hören, miteinander zu beten, nachzudenken, über Bibelstellen nochmal nachzudenken, aus der Geschichte des Christentums erfahren. Es gibt ja hunderte von verschiedenen Arten, eine Predigt und eine Liturgie auszuleben. Und meines Erachtens steht da nicht drin: Du musst einen Leitartikel aus der Zeit reproduzieren.

Frage: Wie stehen sie dann zum Beispiel zum Bündnis "United4Rescue", das unter Federführung der EKD ein Rettungsboot aufs Mittelmeer geschickt hat? Das ist ja auch unter anderem durch großes Engagement der Grünen entstanden.

Poschardt: Natürlich ist diese Art von Engagement in sozialen Dingen und auch für die Schwächsten der Schwachen etwas Lobenswertes. Natürlich kann man das als Kirche machen, wenn man es sich damit nicht so einfach machen würde. Die Probleme enden ja nicht in dem Moment, wo man die Leute auf so ein Schiff geholt hat, sondern es stellt sehr vertrackte Fragen nach der Pull-Funktion solcher Rettungsaktionen. Es stellt die Fragen: Inwieweit arbeitet man den Schleusern in die Hände? Stellt die Fragen: Inwieweit sind das Flüchtlinge im klassischen Sinne? Oder haben wir da einfach sozusagen eine Migrationsbewegung, die eigentlich nicht von unserem Asylrecht gedeckt ist? Was heißt das für unsere Freunde in der Europäischen Gemeinschaft, in Italien, die das nicht haben wollen und denen wir als deutsche Kirche sozusagen unseren moralischen Kurs aufdrücken?

Mir geht das unterkomplex Politische da auf den Wecker. Man macht es sich halt ganz einfach. Man sonnt sich im Glanz der guten Tat und wie das dann alles weitergeht, welche Konsequenzen es hat, spielt keine Rolle. Wir erleben ja auch, wie sehr die Flüchtlingskrise das Land zerrissen hat. Das alles wird ausgeblendet und man hat es sozusagen für sich in Anspruch genommen, dass man artikuliert, was die Guten und Anständigen denken, fühlen und dann auch tun. Das will ich überhaupt nicht despektierlich machen. Aber das Unterkomplexe – und dann auch das Politik-nicht-zu-Ende-gedacht-Habende – das finde ich schon fatal. Manche Interviews mit Bedford-Strohm oder Margot Käßmann sind einfach nur noch schwer an Kitsch zu übertreffen. Und da fühle ich mich als mündiger, christlich geprägter Bürger einfach nicht ernst genommen. Das ist sozusagen auch so ein anti-aufklärerischer Sentimentalismus. So eine Selbstrührung und so eine Selbsterhöhung, was auch folgt aus dieser moralischen Überheblichkeit, einer Hierarchie, abwertend auf alle zu gucken, die die Dinge vielleicht anders sehen.

Und ich glaube, da muss die Evangelische Kirche, die EKD, sich überlegen, ob sie auf diesem Kurs weitermachen will. Es gibt ja massenweise Austritte, die Finanzkraft schwindet. Also es ist ja allen klar, dass es so irgendwie nicht weitergehen kann. Aber ich sehe noch nicht die Konzeption einer weniger politischen als vielmehr spirituellen Kirche. Und da ist ja, wenn ich es ganz neoliberal sehe, ein riesiger Markt. Die Menschen sehnen sich ja nach Orientierung. Man sieht es ja an den kuriosen Heilsbringern, pseudoreligiösen Bewegungen und dieser Sehnsucht nach Spiritualität. Aber da bieten die Kirchen nichts an. Stattdessen reproduzieren sie mediale Linksliberale oder vermeintlich liberale ökologische Klischees. Und zwar wirklich gestanzt bis zum Umfallen.

Sea-Watch 4
Bild: ©KNA/Michael Althaus (Archivbild)

Mit Aktionen wie "United4Rescue" macht es sich die EKD zu einfach, findet Ulf Poschardt.

Frage: Runtergebrochen auf die Corona-Zeit und den aktuellen Lockdown: Würden Sie sagen, da haben die Kirchen richtig reagiert, oder fehlt da auch der richtige Ton, die spirituelle Orientierung?

Poschardt: Ich kann das nur als Zaungast registrieren. Ich glaube, es gab Gemeinden, die da was Großartiges gemacht haben. In Berlin hat zum Beispiel Pastor Reiche fantastisch den Garten vor der Kirche zum neuen Kirchenraum gemacht und hat sonntags – es war ja ein sehr sonniger und warmer Frühling und Sommer – die Kirche nach draußen verlegt. Er hat damit auch die Kirche zurückgebracht in den offenen Raum der Stadt. Das fand ich extrem beeindruckend, wie Pastor Reiche überhaupt ein großartiger Pastor ist, auch in der Seelsorge. Er hat sich um ganz viele Menschen in dieser schwierigen Zeit auch gekümmert, was ich gehört habe.

Aber wir hatten auch ein Interview mit der ehemaligen Ministerpräsidentin von Thüringen, Christine Lieberknecht. Die hat den Kirchen in der Corona-Krise schwere Versäumnisse erklärt und hat beklagt, dass man in der Corona-Zeit hunderttausende Menschen alleingelassen hat – Kranke, Einsame, Alte, Sterbende. Das kann ich jetzt so nicht bestätigen. Aber sie ist ja wirklich eine sehr kluge Frau. Sie war auch ein bisschen entsetzt darüber, dass die Kirche sich bei allen gesellschaftlichen, politischen Auseinandersetzungen immer zu Wort meldet, aber in der Corona Krise am Anfang dazu vor allem geschwiegen hat. Und das fand sie sehr bedauerlich.

Frage: Nun haben wir unseren Lockdown in Deutschland verlängert bekommen, zu Weihnachten wird es allerdings die Möglichkeit geben, sich mit mehreren Menschen zu treffen. Würden Sie sich da mehr Einmischen von Seiten der Kirchen wünschen?

Poschardt: Ich glaube diese Verantwortungsfrage muss man sich stellen. Fällt den Kirchen etwas ein? Ich glaube, das Bedürfnis in einer zunehmend säkularen Welt ist natürlich da. Wenn man einmal im Jahr nur noch in die Kirche geht, dann ist das in der Regel der Gottesdienstbesuch am Heiligen Abend. Und wenn man den jetzt wegen Corona auch noch verlieren würde, glaube ich, würde vielen Menschen der letzte Anker in der gelebten christlichen Biografie fehlen. Insofern müsste man mal sehen, welche Kirchen sich da was einfallen lassen, ob die noch mehr Gottesdienste machen, ob die Hygiene-Konzepte entwickeln, ob sie sich Zoom-Predigten ausdenken. Ich habe keine Ahnung. Ich glaube nur, dass die Kirchen das als eine Herausforderung verstehen müssen. Und da sehe ich noch nicht so viel Aktivitäten. Aber vielleicht muss ich da genauer hinsehen. Ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

Frage: Was bringt Ihnen Hoffnung in der aktuellen Lage?

Poschardt: Dass der Mensch mit Verstand begabt ist und dass uns das auszeichnet, dass wir so sind, wie wir sind, als Menschen, nämlich in der Lage sind, innovativ und empathisch zu sein. Und da würde ich immer wiederholen, was meine Jesuiten-Professoren gesagt haben, dass das das eigentliche Wunder ist, was man sich mit Wissen, Neugier und Intellektualität alles konstruieren kann. Und ich bin sehr, sehr sicher, dass die Impfstoffe dazu führen werden, dass wir ein weniger pathologisches Jahr erleben werden, im nächsten Jahr.

Von Renardo Schlegelmilch