Besorgt über wachsende Stigmatisierung Nicht-Heterosexueller

Europarat: Kirche in Polen trägt aktiv zu Diskriminierung von LGBT bei

Veröffentlicht am 03.12.2020 um 14:23 Uhr – Lesedauer: 

Straßburg ‐ Gehe es um Respekt gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen, nehme Polen den letzten Platz in der EU ein, stellt der Europarat fest. Katholische Kirchenführer trügen aktiv zur Stigmatisierung von Homo-, Bi- und Intersexuellen sowie Transgender bei.

  • Teilen:

Die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatovic, zeigt sich besorgt über eine erneut wachsende Diskriminierung von Homosexuellen in Polen. Wenn es um Respekt gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen gehe, nehme das Land den letzten Platz in der EU ein, heißt es in einem am Donnerstag in Straßburg veröffentlichten Bericht. Auch katholische Kirchenführer in Polen trügen aktiv zu Stigmatisierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender und Intersexuellen bei, so Mijatovic.

Nach einer schrittweisen Öffnung der polnischen Gesellschaft seien die vergangenen Jahre von einer "besorgniserregenden Wende zum Schlechteren" gekennzeichnet. In keinem anderen EU-Staat außer Rumänien gebe so ein hoher Anteil von LGBTI-Personen an, Ziel von hassmotivierten oder sexuellen Angriffen geworden zu sein, so die Menschenrechtskommissarin unter Berufung auf den jährlichen "Rainbow Index" von ILGA-Europe, eines Dachverbandes von Organisationen nicht-heterosexueller Aktivisten. 79 Prozent der Befragten in Polen bekundeten demnach, bestimmte Orte aus Angst vor Angriffen oder Belästigung zu meiden.

Äußerungen hoher Kirchenvertreter hätten in dem katholisch geprägten Land in jüngeren Jahren "aktiv zur Stigmatisierung von LGBTI-Personen beigetragen", sagte Mijatovic. Sie verwies auf eine Stellungnahme der Polnischen Bischofskonferenz gegen eine Toleranz-Erklärung des Warschauer Bürgermeisters Rafal Trzaskowski. Die Warnung von Krakaus Erzbischof Marek Jedraszewski vor einer "Seuche in den Farben des Regenbogens" im August 2019 sei seitens der Kirchenleitung und der Regierung bislang unwidersprochen geblieben. Stattdessen befürworte die Bischofskonferenz Beratungszentren für Menschen, die eine "natürliche sexuelle Orientierung" wiedererlangen wollten, so die Menschenrechtskommissarin.

Polens Bischöfe weisen EU-Kritik an Abtreibungsurteil zurück

ie Polnische Bischofskonferenz die vom Warschauer Verfassungsgericht verfügte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes gegen Kritik des Europaparlaments. "In einer demokratischen Rechtsordnung darf es kein Recht geben, einen unschuldigen Menschen zu töten", betonte ihr Vorsitzender Erzbischof Stanislaw Gadecki am Donnerstag. Den Titel der verabschiedeten Resolution, "Entschließung des Europäischen Parlaments zu der De-facto-Abschaffung des Rechts auf Abtreibung in Polen", nannte er "irreführend", denn ethisch und völkerrechtlich existiere kein "Recht auf Abtreibung".

Gadecki verwies darauf, dass der zweite Artikel der Charta der Grundrechte der EU jedem Menschen "das Recht auf Leben" gebe. Zudem stehe im dritten Artikel "das Verbot eugenischer Praktiken, insbesondere derjenigen, welche die Selektion von Menschen zum Ziel haben". Das Recht auf Leben sei ein grundlegendes Menschenrecht und habe immer Vorrang vor einem "Wahlrecht" der schwangeren Frau, so der Erzbischof.

Der Erzbischof von Posen, Stanislaw Gadecki, ist derzeit Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz.
Bild: ©KNA

Der Erzbischof von Posen, Stanislaw Gadecki, ist derzeit Vorsitzender der Polnischen Bischofskonferenz.

Polens Verfassungsgericht hatte im Oktober entschieden, dass Schwangerschaftsabbrüche auch bei einer schweren Fehlbildung des Fötus unzulässig sind. Damit sind Abtreibungen künftig nur noch legal, wenn die Gesundheit der Schwangeren in Gefahr ist oder die Schwangerschaft das Ergebnis einer Straftat ist. 2019 fielen fast alle registrierten Abtreibungen laut offizieller Statistik unter das für verfassungswidrig erklärte Kriterium: exakt 1.074 von insgesamt 1.100.

Die EU-Abgeordneten hatten vor einer Woche mit 455 gegen 145 Stimmen die Entschließung verabschiedet. Sie verurteilt das Abtreibungsurteil der höchsten polnischen Richter "auf das Schärfste". Der Richterspruch bedeute einen Rückschlag für Frauenrechte in Polen und setze "die Gesundheit und das Leben von Frauen aufs Spiel". Er führe zu einer größeren Zahl an illegal und unter gefährlichen Bedingungen heimlich durchgeführten Abtreibungen.

Das Urteil löste in Polen eine große Protestwelle aus. Die nationalkonservative Regierung verschob deshalb die Veröffentlichung der Gerichtsentscheidung im Amtsblatt auf unbestimmte Zeit. Erst mit ihr wird der für verfassungswidrig erklärte Passus aus dem Abtreibungsgesetz gestrichen. Staatspräsident Andrzej Duda will die Gesetzesverschärfung abmildern. Er schlug dem polnischen Parlament vor, Schwangerschaftsabbrüche zu erlauben, wenn es laut medizinischer Diagnose wahrscheinlich ist, dass das Kind tot geboren werde oder so krank sei, dass es trotz Behandlung "unweigerlich" gleich nach der Geburt sterbe. Die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ringt in der Frage aber noch um ihren Kurs. (tmg/KNA)