Forscher nehmen Arbeit an EKD-Missbrauchsstudie auf
Die lange angekündigte wissenschaftliche Studie zu sexualisierter Gewalt im Bereich der evangelischen Kirche hat begonnen. Wie die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) am Freitag in Hannover mitteilte, hat der Forschungsverbund "ForuM – Forschung zur Aufarbeitung von sexualisierter Gewalt und anderen Missbrauchsformen in der evangelischen Kirche und Diakonie in Deutschland" – seine Arbeit aufgenommen. Die EKD beteilige sich finanziell mit 3,6 Millionen Euro an der breit angelegten Studie.
Die Studie besteht den Angaben zufolge aus fünf themenbezogenen Teilprojekten. Ziel des Forschungsprojektes sei eine Gesamtanalyse evangelischer Strukturen und systemischer Bedingungen, die sexualisierte Gewalt begünstigten und ihre Aufarbeitung erschwerten. Damit soll eine empirische Basis für weitere Aufarbeitungsschritte entstehen. Ergebnisse der Studie sollen im Herbst 2023 vorliegen, so die EKD.
Koordiniert wird der Forschungsverbund von dem Professor für Soziale Arbeit an der Hochschule Hannover, Martin Wazlawik. Beteiligt sind außerdem die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg (Thomas Großbölting), die Bergische Universität Wuppertal (Fabian Kessl), die Freie Universität Berlin (Friederike Lorenz), das IPP München (Helga Dill und Peter Caspari), das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (Peer Briken und Safiye Tozdan), das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim (Harald Dressing) sowie die Universität Heidelberg (Dieter Dölling).
Landeskirchen stehen hinter der Studie
Der neue Sprecher des Beauftragtenrates der EKD zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Landesbischof Christoph Meyns, erklärte, mit der Studie werde ein wichtiger Punkt des von der EKD-Synode 2018 beschlossenen Elf-Punkte-Plans umgesetzt. "Das nun begonnene Forschungsvorhaben überzeugt unter anderem durch die große Interdisziplinarität der Forschenden und das Element der Betroffenenpartizipation", so Meyns. Ohne die Mitwirkung Betroffener könne eine wissenschaftliche Aufarbeitungsstudie keine aussagekräftigen Ergebnisse liefern. Der Präsident des Kirchenamts der EKD, Hans Ulrich Anke, betonte, dass alle Landeskirchen hinter der Studie stünden.
Verbundkoordinator Wazlawik hob hervor, der Forschungsverbund agiere unabhängig von der evangelischen Kirche, und es sei vertraglich gesichert, dass der Abschlussbericht von den Wissenschaftlern selbstständig veröffentlicht werde. Im kommenden Jahr wollten die beteiligten Wissenschaftler auf verschiedenen Wegen zur vielfältigen Mitarbeit an der Studie einladen.
In der katholischen Kirche hatte bereits die sogenannte MHG-Studie der deutschen Bischöfe sexuellen Missbrauch auf Basis von Akten aus den Jahren 1946 bis 2014 untersucht. Darin fanden sich Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Die Studie wurde 2018 vorgestellt und war ein Auslöser für den aktuellen Reformdialog Synodalen Weg. Die Bischöfe beschlossen zudem Ende April mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung eine Vereinbarung, wonach in den Bistümern unabhängige Kommissionen den Missbrauch transparent und nach einheitlichen Kriterien aufarbeiten. In den Kommissionen sollen Bistumsvertreter, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und Verwaltung sowie Betroffene sitzen. Mehrere der 27 deutschen (Erz-)Bistümer haben bereits unabhängige Missbrauchtudien in unterschiedlichen Formaten initiiert, die an die MHG-Studie anknüpfen. Erst am Dienstag war ein Zwischenbericht der Untersuchung im Bistum Münster vorgestellt worden. (mal/KNA)