Evangelische Kirche beschließt Studie zu sexualisierter Gewalt
Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will mit einer Studie sexualisierte Gewalt in den eigenen Reihen aufarbeiten. Damit soll geklärt werden, "welche besonderen Risikofaktoren für Missbrauch in der evangelischen Kirche und der Diakonie bestehen, etwa in Bezug auf Kinder- und Jugendarbeit, Jugendfreizeiten und Pfadfinderarbeit", wie Bischöfin Kirsten Fehrs als Sprecherin des EKD-Beauftragtenrates zum Schutz vor sexualisierter Gewalt am Donnerstag in Hannover erklärte. In den Blick genommen würden nicht nur Pfarrpersonen, sondern auch andere haupt- und nebenberufliche Mitarbeiter sowie Ehrenamtliche. "Wir wollen Geschehenes rückhaltlos aufarbeiten, um so dafür Sorge zu tragen, dass künftiges Leid und Gewalt in Kirche und Diakonie bestmöglich verhindert werden", betonte Fehrs.
Von einem unabhängigen Forschungsverbund sollen den Angaben zufolge von Oktober an in mehreren Teilstudien Ursachen und Spezifika von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche untersucht werden. Die 3,6 Millionen Euro teure Studie solle innerhalb von drei Jahren Ergebnisse liefern und werde "intensiv" von Betroffenen begleitet. Am Mittwochabend hatten die 20 Landeskirchen mit einem einstimmigen Beschluss in einer digitalen Sitzung der Kirchenkonferenz der Beauftragung einer umfassenden Aufarbeitungsstudie zugestimmt.
Studie ist Teil eines Maßnahmenpakets
Die jetzt beschlossene Studie gehört zu einem Maßnahmenpaket zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, das die EKD-Synode im November 2018 beschlossen hatte. Seitdem hat die evangelische Kirche etwa einen Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt sowie eine Anlaufstelle für Betroffene eingerichtet. In den Landeskirchen gibt es Unabhängige Kommissionen. Der Schutz vor sexualisierter Gewalt ging außerdem in rechtliche Regelungen einer landeskirchenübergreifenden Gewaltschutzrichtlinie ein. Ein geplanter Betroffenen-Beirat, dessen Einrichtung sich wegen der Corona-Pandemie verzögert habe, könne im Laufe des Sommers berufen werden, hieß es. "Diesen eingeschlagenen Weg werden wir konsequent weitergehen", betonte Fehrs. Nur so könne man "glaubwürdig Kirche sein".
Die Kirchenkonferenz stimmte zudem den Inhalten eines "Letter of Intent" zur weiteren Zusammenarbeit zwischen EKD und dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) zu. "Mit dem Schreiben werden gemeinsame Perspektiven für das weitere strukturelle Vorgehen bei den nächsten Schritten der Aufarbeitung in den Blick genommen", hieß es. Bis Ende September sollten sie sich weiter konkretisieren.
In der katholischen Kirche hatte bereits die sogenannte MHG-Studie der deutschen Bischöfe sexuellen Missbrauch auf Basis von Akten aus den Jahren 1946 bis 2014 untersucht. Darin fanden sich Hinweise auf bundesweit 3.677 Betroffene sexueller Übergriffe und auf rund 1.670 beschuldigte Priester, Diakone und Ordensleute. Die Studie wurde 2018 vorgestellt und war ein Auslöser für den aktuellen Reformdialog Synodalen Weg. Die Bischöfe beschlossen zudem Ende April mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung eine Vereinbarung, wonach in den Bistümern unabhängige Kommissionen den Missbrauch transparent und nach einheitlichen Kriterien aufarbeiten. In den Kommissionen sollen Bistumsvertreter, Experten aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz und Verwaltung sowie Betroffene sitzen. Bislang haben zehn der 27 deutschen (Erz-)Bistümer unabhängige Missbrauchtudien in unterschiedlichen Formaten initiiert. Mit ihren Untersuchungen knüpfen die Diözesen Aachen, Essen, Hamburg, Hildesheim, Köln, Limburg, Mainz, München und Freising, Münster und Paderborn an die MHG-Studie an. Zuletzt hatte das Bistum Limburg seine Missbrauchsstudie vorgestellt. (tmg/KNA)