Legobauer: Der Vatikan hat mich umgehauen
500 Stunden für die Planung, noch einmal 300 Stunden für den Bau: Selbst aus Legosteinen und im Maßstab 1:650 war der Bau der Vatikanstadt ein großes Projekt. Letztendlich ist das fertige Modell 131 mal 173 Zentimeter groß. Gebaut hat es der Chicagoer Architekt Rocco Buttliere, der am Illinois Institute of Technology studiert hat und bereits mehr als 50 bedeutende Bauwerke mit Legosteinen nachgebaut hat. Im Interview erzählt er von den besonderen Herausforderungen des Vatikan.
Frage: Herr Buttliere, Sie sind ein Architekt mit Universitätsabschluss – warum bauen Sie mit Legosteinen anstatt mit "richtigen" Ziegeln?
Buttliere: Seit ich mich erinnern kann, baue ich mit Lego und an der Universität habe ich das einfach weitergemacht. Das ist schon etwas Besonderes, denn die meisten hören damit dann auf. Aber für mich als angehenden Architekten war es sehr sinnvoll, bei den Legosteinen zu bleiben und das, was ich an der Uni lernte, in das Lego-Bauen mit einfließen zu lassen. Als ich dann mit der Universität fertig war, hatte ich zum Glück genug Möglichkeiten, meine Werke auszustellen und bekannt zu machen. Dadurch sind nach und nach Leute auf mich zugekommen und haben Modelle bei mir bestellt. Deshalb habe ich mich nach meinem Abschluss mit dem Lego-Bau auf Bestellung und Ausstellungen selbstständig gemacht.
Frage: Das heißt, Interessenten kommen auf Sie zu und wollen das Modell eines bestimmten Bauwerks haben?
Buttliere: Manchmal wollen sie einen Nachbau von einem Modell, das ich schon für mich selbst gebaut habe. Mittlerweile ist es aber meistens so, dass sie schon mit einer Idee zu mir kommen und wir dann gemeinsam ein Konzept entwickeln.
Frage: War der Vatikan auch eine Bestellung oder war das Ihre eigene Idee?
Buttliere: Den habe ich für mich gebaut, ich hatte zwischen zwei Bestellungen noch Zeit.
Frage: Wie sind Sie auf den Vatikan gekommen?
Buttliere: Vergangenes Jahr im November war ich wegen einer Lego-Show in Florenz. Danach bin ich dann für ein paar Tage nach Rom gefahren und habe den Vatikan besucht: Den Petersplatz, den Dom und die Vatikanischen Museen – und ich war ziemlich erstaunt. Wenn ich Museen besuche, recherchiere ich vorher nicht die wichtigsten Stücke darin, sondern ich lasse mich überraschen. Der Vatikan hat mich total umgehauen. Es war so viel da, das ich nicht erwartet hatte, diese ganzen weltberühmten Skulpturen und Fresken. Das hätte ich mir nie so vorgestellt. Dieses kulturelle Erbe hat mich dann so weit gebracht, dass ich ein Modell der ganzen Vatikanstadt bauen wollte. Besonders fasziniert hat mich natürlich die Architektur: Ich hatte noch nie Renaissance- oder Barockbauten nachmodelliert. Es war also eine neue Herausforderung und es hat Spaß gemacht, an diesem Modell zu arbeiten, in dem so viel passiert, wo es so viele verschiedene Farben und Stile gibt.
Frage: Die Planung des Modells hat deutlich länger gedauert als dessen eigentlicher Bau. Wie ist der Arbeitsprozess denn abgelaufen?
Buttliere: Das Design hat 500 Stunden an 70 Tagen gedauert. Zu diesem Prozess gehört viel Recherche, außerdem baue ich das Modell erstmal in einer Software. Dabei vergleiche ich meinen Entwurf mit 3D-Modellen der echten Vatikanstadt aus dem Internet, wo ich mir dann auch kleinere Gebäude aus der Nähe ansehen kann. Zudem mache ich mich über die Geschichte der einzelnen Bauteile schlau. Zusammen mit viel Ausprobieren komme ich so zu einem digitalen Plan, der dann umgesetzt wird – das ist dem Bauprozess "echter" Häuser sehr ähnlich.
Frage: Was war die besondere Herausforderung beim Vatikan?
Buttliere: Fast alles. Mit jedem Modell versuche ich meine Grenzen auszutesten und Steine zu nutzen, die ich noch nie verwendet habe. Der Vatikan war besonders interessant, weil es dort so eine große Vielfalt an Architekturstilen gibt – und das ein entsprechendes Äquivalent bei den Legosteinen erfordert. Das Vatikanmodell besteht auch 67.000 Steinen und 1.300 davon sind Einzelstücke. Verglichen mit einem normalen Lego-Set ist das ganz schön viel. Das spricht für die große architektonische Varianz des Vatikan, von ganz alten bis hin zu sehr modernen Bauten.
Frage: Dieser ganze Staat baut ja auf einer spirituellen Idee auf – welchen Einfluss hatte das?
Buttliere: Ich bin eher spirituell als religiös, aber bei meinem Besuch im Vatikan habe ich schon eine große Tiefe gespürt. Das ist nicht nur das Alter aller Dinge dort, sondern deren Wirkung. Das ist sehr inspirierend und hat meine Erwartungen bei Weitem übertroffen. Beim Bau habe ich versucht, mich in diese Zeit und deren Kontexte hineinzuversetzen. Ich habe mir deshalb viele Informationen über die Päpste und Künstler des Vatikan beschafft. Das könnte mehrere Romane füllen, darin steckt so viel Inspiration! Allein der Versuch, die Beziehung zwischen Papst Julius und Michelangelo zu verstehen, war für mich eines der interessantesten Beispiele für eine Künstler-Mäzen-Beziehung, die in eine Kunst mündet, die bis heute existiert und mich zu einem eigenen Modell inspiriert hat.
Frage: Was hat Sie im Vatikan am meisten überrascht?
Buttliere: Vor allem, wie viele antike römische und griechische Skulpturen sich dort befinden. Auch die schiere Größe des Petersdoms: Allein die Buchstaben an der Spitze des Gewölbes sind jeweils zwei Meter hoch! Und diese Größe ist kein Selbstzweck, sondern will etwas vermitteln. Es erstaunt jeden, der diese Kirche betritt. Dieser Eindruck war ausschlaggebend für mein Modell.
Frage: Sie haben auch schon andere Kirchen gebaut wie Notre-Dame in Paris, Santa Maria del Fiore in Florenz oder die Hagia Sophia. Wie hat sich der Vatikan davon unterschieden?
Buttliere: Die Hagia Sophia und Santa Maria del Fiore werden beide von Kuppeln gekrönt und beide waren zu ihrer Erbauungszeit extrem innovativ. Ich hatte mit Kuppeln also schon ein bisschen Erfahrung. Aber der Petersdom ist dann doch so viel massiver, sodass ich zwar ein paar Techniken meiner früheren Bauten nutzen konnte, letztendlich die Kuppel aber doch ganz für sich selbst planen musste. Besonders bei Kirchen verwende ich außerdem auf die Fassade auf der Westseite die meiste Zeit. Denn die ist meistens ganz anders als der restliche Außenbau. Auch architektonisch weichen viele dieser Fassaden ab, weil sie dem Betrachter eine Art Visitenkarte der Kirche geben wollen – dafür nutzen sie eine Vielzahl von Formen und Figuren. Dieses Phänomen habe ich schon bei mehreren Kathedralen bemerkt und der Petersdom war keine Ausnahme. Ich habe tatsächlich mehr Zeit auf die Gestaltung der Fassade verwendet als auf die Kuppel – das ist schon interessant.
Frage: Was passiert jetzt mit dem Modell? Steht das nur in Ihrem Wohnzimmer oder haben Sie damit schon eine Tour geplant?
Buttliere: Wegen Corona steht es erstmal nur in meinem Wohnzimmer. Ich arbeite aber schon seit langem mit einem Veranstalter für tourende Lego-Ausstellungen zusammen, hoffentlich kann das Modell dann nächstes Jahr mit meinen anderen Arbeiten auf die Reise gehen. Erstmal in den USA, ich würde damit aber auch gerne nach Europa kommen – natürlich am liebsten nach Italien.